Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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14. August.

Tannenduft und quelldurchrieselte Waldgründe. Es zog mich wieder nach dem Harz. Im Juni war ich drei Wochen mit dem Grafen auf seinem Gut. Ich wunderte mich, daß er mich dahin mitnahm. Ich hatte Befehl, mich den Leuten gegenüber Frau von Osdorff zu nennen. Gründe unbekannt. Der Aufenthalt war ganz nett, nur etwas unbehaglich wegen der Heimlichkeit, wir machten immer Umwege, um nur keinen Gutsnachbarn in die Arme zu laufen. Der Graf meinte, ich müßte etwas Landluft (aber realistische) genießen, weil ich mich immer 255 noch nicht so recht erholt habe. Ich hätte an meiner Stelle lieber das arme, sieche Weib, die schwarze Schwalbe, hingeschickt. Eine frühere Bekannte aus meiner Ballhauszeit. Ich traf sie dieses Frühjahr mal auf der Straße, und weil sie so elend und abgerissen aussah und sich so scheu an den Häusern entlang drückte, redete ich sie an. Mein Gott doch, wie jemand so rasch herunterkommen und aus den Kleidern fallen kann. Sie war vor ein paar Jahren eine der schickesten Mädchen und nun so ganz zusammengefallen und reduziert. Sie ist krank. Was ihr fehlt, habe ich nicht herausbekommen, jedenfalls durch und durch siech. Und arm dazu; da natürlich niemand auf so etwas Appetit hat. Sie erzählte mir, daß sie kurze Zeit vorher mal faktisch nichts zu essen gehabt hat und acht Tage lang buchstäblich von Hundefutter gelebt habe. Ich lasse sie seitdem bei mir in der Küche mittags essen.

Das Schloß ist herrlich, ein wuchtiger feudaler Bau im romanischen Stil. Ich fühle mich sehr wohl darin. Mein alter Freund und ich kommen sehr gut miteinander aus; wir sind uns in diesen Wochen innerlich etwas näher gekommen.

Besonders gut gefiel mir die Bibliothek; wenn es regnete, war es immer so gemütlich darin, ich hätte tagelang vom Morgen bis Abend in einem der tiefen Saffiansessel sitzen und lesen können. Eines Nachmittags war ein Gewitter und die Luft sehr schwül, ich war deshalb nach dem Kaffee über meine Lektüre ein bißchen eingeduselt, wachte aber vom Donner wieder auf, und da es blitzte und der Regen wie aus Kannen niederschüttete, stand ich auf, und trat in eine der tiefen Fensternischen, um mir den Aufruhr da draußen ein bißchen anzusehen. Ich hatte das weiße Pointlacekleid mit der langen Schleppe an, weil mein Graf mich doch am liebsten in Weiß sieht, und reckte mich etwas, um über die bunte Verglasung 256 durch die klaren Scheiben sehen zu können; und das falbe Gewitterlicht floß durch das Fenster und erfüllte die Nischen mit einer schwefelgelben Halbhelle.

»Wenn dich ein Maler so sähe, in der Stellung und der Beleuchtung, würde er dich sofort skizzieren und festhalten –« sagte der Graf, »die hohe Spitzbogenumrahmung des Fensters, das farbig gebrochene Licht, der fahle, weich zerfließende Widerschein des Gewitterhimmels und du mitten darin, so hoch, schlank, weiß, königlich – wirklich stimmungsvoll – –«

»Ja, natürlich. So'n altes Schloßinterieur ist durchaus der passende Rahmen für mich,« erwiderte ich trocken.

»Weißt du, daß ich mich vor anderthalb Jahren eine kurze Zeit mal wirklich mit dem Gedanken trug, dich zu heiraten?« sagte er ernst.

»Das kann ich mir kaum vorstellen,« antwortete ich.

»Es ist auch besser so – – für uns beide,« sagte er.

Ich schwieg, aber unwillkürlich vertiefte ich mich in die Vorstellung, Herrin dieses Schlosses geworden zu sein. Ich pfeife auf den Adel und auf alles feudale Unwesen, aber das glaube ich wohl, daß ein solcher herrlicher Besitz, von Generation auf Generation vererbt, seinen Inhabern ein gewisses Hochgefühl, ein Gefühl des Unabhängigseins und des Isoliertstehens von dem lärmenden Menschenhäufchen, das in Staub und Schweiß um seine Existenz kämpft, verleiht. Ich habe mehr Hochachtung vor diesen alten stolzen Gebäuden, die Jahrhunderte an ihren Mauern vorüberfließen ließen, als vor ihren Besitzern.

Wir redeten nachher nicht weiter darüber.

Der Graf scheint weder eifersüchtig noch mißtrauisch mehr zu sein. Hätte auch keine Ursache dazu. Mit Julius komme ich ja so wenig zusammen, und mit D . . . . verkehre ich wirklich nur platonisch. Ende Juli reiste mein Graf nach Holstein, auf das Gut eines Bruders, 257 dessen Sohn Hochzeit hat, und nachher wollte er nach Böhmen. – Auf meinen Wunsch brachte er mich nach Ilsenburg. Seitdem ich damals vor Jahren im Harz war, habe ich eine Sehnsucht dahin. Immer in den Sommermonaten in Berlin – und besonders, als es mir so schlecht ging, schwebte mir die Kühle und Ruhe der harzduftenden Tannenwälder und das malerische Quellengeriesel als etwas paradiesisch Schönes vor. Heimlich hoffte ich auch, bekannte Hamburger dort zu finden. Ich möchte gern diesen und jenen mal wiedersehen. Der Harz ist ja immer gerammelt voll von Hamburgern. Aber bis jetzt ist mir noch niemand Bekanntes begegnet, überall fremde Gesichter. An D . . . . schrieb ich mal eine Ansichtspostkarte und vier Tage später steht er abends in Lebensgröße vor mir. Er hätte eigentlich an die Ostsee gehen wollen, dann aber, als er meine Karte bekam, Lust zu einer Harzreise bekommen, und nun hat er sich hier festgesetzt in Ilsenburg, und wir durchstreifen täglich die Wälder und Berge und sind treue Kameraden. Er kriegt manchmal elegische Anwandlungen. Gestern hatten wir im Walde ein hübsches Plätzchen gefunden. Ich setzte mich auf einen moosgepolsterten Stein und er legte sich lang ins Gras und so verweilten wir da zwei geschlagene Glockenstunden, ohne ein Wort zu sprechen. Es war die reine Waldkirche. Die Quelle rieselte und rauschte und murmelte, und die Ameisen zirpten, und ein Vöglein piepte, und das blaue Himmelslicht floß, wie durch grünes Kathedralglas in den feierlich stillen Waldraum hinab, und es war eine Ruhe ringsum, daß man die Brust hätte öffnen mögen, um den welterlösenden Frieden in sich auf und mit hinaus und mit hinein in das wüste, ruhelose Leben zu nehmen; könnte man doch den Frieden solcher Waldstunde auslösen und heimtragen! Alles so wunderbar andächtig, herrlich ruhig . . . Nur das eigene Herz bimmelt wie Armsünderglöcklein in der 258 Brust: und erinnert einen daran, daß der rechte Frieden wohl nie von außen nach innen gelangt, sondern seinen Ursprung tief innen im eigenen Seelengrund finden muß.

»Ja, ja, Thymian, ich wollte, ich hätte dich zehn Jahre früher kennen gelernt,« sagte D . . . . unvermittelt, als wir weiter gingen.

»Das wäre schon zu spät gewesen,« sagte ich, »denn ich hatte noch nicht lange meinen sechzehnten Geburtstag gefeiert, als ich ein Kind bekam.«

Er schüttelte den Kopf und wollte etwas erzählt haben. In dem Augenblick war ich nicht in der Stimmung, aber am anderen Abend, als wir durch den Wald gingen, sagte ich ihm manches und wie alles gekommen war. Und er sagte, daß er nie heiraten werde, weil er alle Frauen, die für ihn in Betracht kämen, mit mir vergliche, und keine mir das Wasser reiche. Ich bin nicht im gewöhnlichen Sinne eitel, aber das zu hören machte mir doch Freude. Ich möchte ihn auch ungern als Freund verlieren, und das würde ich unzweifelhaft, wenn er heiratete.

Emmy und ihr Schatz sind selig, daß ich ihnen das Geld leihe. Ich habe vor, zum ersten Oktober selbst nach G . . . . zu fahren und das Geld in Empfang zu nehmen. Ich habe Heimweh nach den Gräbern. Gräber sind doch noch das einzige, was ich auf der Welt besitze, was mein ist, ganz mein.

* * *


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