Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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14. Februar.

Es ist doch zu merkwürdig. Gestern sah ich den schwarzen Doktor wieder. Bei Kranzler Unter den Linden saß er am Fenster. Ich ging auch hinein und setzte mich an seinen Tisch. Er sah mich über seine Zeitung hinweg an und tat, als ob er mich nicht wiedererkennt. Nach ein paar Minuten kam ein Backfisch mit Torte und setzte sich neben ihn und aus der Anrede hörte ich, daß es seine Tochter war. Da sah ich, daß nichts mehr zu wollen war. Zahlte und ging, wartete aber draußen, bis er herauskam mit dem Mädchen. Ich wollte ihnen nachgehen und sehen, wo er hinging, er merkte es wohl und setzte den Backfisch in eine Droschke, und kam dann gerade auf mich zu. »Nun, mein Kind?« sagte er, »wünschen Sie etwas?« Ich kniff die Lippen zusammen und sagte nichts. Er ging neben mir her, eine lange Weile bis hinterm Brandenburger Tor. »Ihr schönes Haar hat es mir angetan,« sagte er, »ich möchte es noch einmal sehen.« »Das möchten andere auch,« sagte ich. Er lachte. »Sie haben einen stark entwickelten Geschäftsgeist! Die Art, wie Sie aus der Sehenswürdigkeit Ihres Haares Kapital schlagen, hat mir Spaß gemacht. Sie hatten übrigens nicht unrecht. Wer sehen will, soll 155 zahlen. Ich bin sonst 'n Mann mit soliden Gewohnheiten. Als Arzt habe ich auch keine Zeit zu öfteren Nachtexkursionen. Und mit professionellen Damen verkehre ich prinzipiell nicht. Aber Ihr Haar interessiert mich. Ich werde es mir auch zwanzig Mark kosten lassen, wenn Sie es mir noch mal zeigen wollen.«

»Lassen Sie sich was pfeifen, Sie alter Quasselkopp, Sie oller Kamillentrichter,« sagte ich böse, denn der Ausdruck »professionell« ging mir wieder wie eine stumpfe Säge über die Nerven. »Wer ist professionell, he? Sie professioneller Leichenpräparierer –«

»Na nu! man nicht gleich so herb,« sagte er, »ich will Ihnen ja nichts, und wenn nicht, dann nicht. Adieu, mein Fräulein.« Fort war er und ich stand da und giftete mich, und zu Hause schnitt ich vor Wut der Beidatsch ihre Tischdecke in Stücke, wofür ich fünf Taler blechen mußte, obgleich das dreckige Ding keine fünfzig Pfennig Versatzwert mehr hatte.

Ja, man erlebt so mancherlei Wunderliches auf dem Bummel. Vor ungefähr acht Tagen war ich abends in einem Ballhaus und da troddelte die ganze Zeit ein alter Mummelgreis hinter mir her und wollte partout mit mir anbinden und ich kam nicht dazu, ihn abzuschütteln. Zuerst beachtete ich ihn nicht, denn ich sah gleich, daß nichts dahinter steckte. Ganz propper, mit 'm Anstrich von Eleganz, aber nichts Gediegenes. Der Rock schon an den Nähten 'n bißchen schäbig, Wäsche und Krawatte sauber und ordentlich, aber Nummer Stroh. Ich taxierte ihn gleich richtig: So 'n alter, abgedankter Aristokrat, Lebemann a. D., nichts vor und nichts hinten.

»Lassen Sie mich in Ruh', alter Schafskopp! Sie verderben mir ja das Geschäft,« sagte ich. »Für Sie wird wohl noch 'n alter Schraubendampfer wie die Cimbria drüben gut genug sind . . . drüben sitzt se und lauert uff eenen« . . . Er wich aber nicht von meiner Seite 156 und beteuerte immerfort, ich sei die anmutigste Frau, die er je gesehen hätte. »Und darauf können Sie stolz sein, wenn ich Ihnen das sage! Ich bin weit 'rum gekommen in der Welt und hab' in aller Herren Länder die schönsten Weiber gesehen und besessen. Immer das Exquisiteste. Ganz egal wo – in moulin rouge oder in Wien oder in Madrid und Petersburg und last not least in Dresden . . .«

»Wo die scheenen Mädchen auf die Beeme wachsen –« sagte ich.

Er schüttelte wehmütig den Kopf und schnalzte mit der Zunge. »Damals am Jüdenhof bei der Braunschweiger Minna. Ich versichere Sie, sie hielt in ihren Salons das ausgesuchteste Material von ganz Europa. Leider wurde sie aus Dresden ausgewiesen. Nachher errichtete sie eine Filiale in Riga, aber die Sache war nicht mehr auf der Höhe wie in Dresden . . .«

»Damals hatten Sie wohl mehr Moneten als jetzt,« sagte ich und sah mir den kleinen Kerl von oben herab an. Da zog er ein Zwanzigmarkstück aus der Westentasche: »Sehen Sie sich mal das Ding an. Es ist eine Art Merkwürdigkeit. Diese zwanzig Meter sind die letzten von sechshunderttausend ihrer Schwestern, die durch meine Finger rollten. Vierzig Jahre habe ich dazu gebraucht – woraus Sie sehen, daß ich 'n solider Mensch bin. Was meinen Sie, wenn wir den Fuchs in Röderer auflösen –«

»'ne Idee von Schiller,« sagte ich, denn der Alte fing an, mich zu interessieren. Wir setzten uns dann oben in eine Ecke und er erzählte mir, daß er ein schuldenfreies Rittergut in Schlesien gehabt hatte und einen Landsitz in Westpreußen und eine Villa in Steiermark. Und war alles hindurch und alles weg, und die zwanzig Märker waren die letzten von seinem Kapitalvermögen. Nun solle er monatlich zweihundert Mark Rente von seinen Verwandten kriegen, zu viel zum Sterben, 157 zu wenig zum Leben, wie er sagt. Und er zeigte mir die Photographien von seinen ehemaligen Besitztümern und verschiedene Papiere, die darauf Bezug haben, woraus ich sah, daß alles seine Richtigkeit hatte.

»Das haben Sie alles versoffen?« sagte ich. Er nickte vergnügt.

»'s tut mir nicht mal leid. Wenn ich mir's zurückwünschte, wär's nur, um es Ihnen heute abend schenken zu können. Leider hab' ich momentan nichts mehr zu verschenken« . . . und wie er die Papiere in die Brieftasche zurücktat, hielt er eins zurück: »Grundbesitzer bin ich doch noch. Das hier ist die Kaufurkunde über ein Grab auf dem Schöneberger Friedhof. Vor zehn Jahren hab ich's mir zugelegt und 'n Gitter für sechshundert Mark drum machen lassen, 'n Stein war auch schon drauf, den hab' ich wieder versilbert.«

»Dann haben Sie doch noch was zu verschenken,« sagte ich.

»Was, die Grabstätte?«

»Ja, warum nicht?« sagte ich. »Unsereins möchte auch wissen, wo ihn die Würmer mal fressen –« Ich zündete mir eine Zigarette an und ließ eine Sekt auf meine Kosten kommen. Und der Alte soff und wurde immer verliebter und zudringlicher. »Ich will Ihnen 'n Vorschlag zur Güte machen,« sagte ich. »Ich geb' Ihnen fünf Bons und dafür übertragen Sie mir Ihren Schöneberger Grundbesitz.«

»'ne tolle Idee! 'ne tolle Idee!« griente der Alte.

»Wieso toll?« sagte ich. »Ich möchte auch wissen, wo sie mich mal einbuddeln.« Er wollte erst nicht recht anbeißen, aber ich hielt an. Zuerst nur aus Unsinn und nachher aus Ernst. Und ehe ich mir's selber versah, wurden wir handelseins. Ich krieg das Schöneberger Grundstück mitsamt dem Gitter und er kriegt zehn Bons. Ein toller Handel. »Ja,« sag' ich, »wer garantiert mir 158 aber so und so, daß die Sache von Ihrer Seite auch perfekt wird?«

»Ha, dafür bin ich Kavalier! Parole d'honneur,« sagte er und wirft sich in die Brust. Eine ganze Menge Zeugen waren bei dem »Geschäftsabschluß« anwesend und mindestens zwanzig Pullen Sekt sind drauf geschmissen. Ein paar Tage später kriegte ich die Urkunde auf meinen Namen zugestellt. Der Alte war so nobel gewesen, auch noch die Umschreibung auf meinen Namen aus seiner Tasche zu bezahlen. Also hab' ich jetzt eine Grabstätte als meinen Besitz. Ich bin schon mehrere Male draußen gewesen. Das erstemal in Begleitung des Alten. Er sagt, er hätte auch noch Anspruch auf einen Platz im Erbbegräbnis auf seinem ehemaligen Rittergut. Das war mir angenehm zu hören, denn sonst hätte es mir doch leid getan, ihm seinen letzten Grundbesitz abzuknöpfen, das Gitter ist sehr schön, und eine hübsche Trauerweide steht darauf. Zum Frühjahr will ich mir eine Bank und einen Stein darauf machen lassen und Efeu und Blumen hinpflanzen. Meine Bekannten lachen mich aus und sagen, ich wäre verrückt. Aber mir macht es Spaß. Ich will mir einen richtigen kleinen Garten drauf anlegen und meine Sommerfrische drauf abhalten.

* * *


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