Deutsche Balladen
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Die Zwerge in der Mühle

(August Schnezler, 1809 – 1853)

        Das Wasser rauscht zum Wald hinein,
er rauscht im Wald so kühle,
wie mag ich wohl gekommen sein
vor die verlaßne Mühle?
Die Räder stille, morsch, bemosst,
die sonst so fröhlich herumgetost,
Dach, Gäng' und Fenster alle
im drohenden Verfalle.

Allein bei Sonnenuntergang
da knisterten die Äste,
da schlichen sich den Bach entlang
gar sonderbare Gäste,
viel Männlein grau, von Zwergenart,
mit dickem Kopf und langem Bart,
sie schleppten Müllersäcke
daher aus Busch und Hecke.

Und alsobald im Müllerhaus
beginnt ein reges Leben,
das Glöcklein schellt daneben;
die Männlein laufen ein und aus,
mit Sach hinein und Sack heraus,
und jeder von den Kleinen
scheint nur ein Sack mit Beinen.

Und immer toller schwärmten sie
wie Bienen um die Zellen,
und immer toller lärmten sie
durch das Getos der Wellen;
mit wilder Hast das Glöcklein scholl
bis alle Säcke waren voll,
und klar am Himmel oben
der Vollmond sich erhoben.

Da öffnet sich ein Fensterlein,
das einzige noch ganze,
ein schönes, bleiches Mägdelein
zeigt sich im Mondesglanze
und ruft vernehmlich durchs Gebraus
mit süßer Stimme Klang hinaus:
»Nun habt ihr doch, ihr Leute,
genug des Mehls für heute!«

Da neigt das ganze Lumpenpack
sich vor dem holden Bildnis,
und jeder sitzt auf seinem Sack
und reitet in die Wildnis;
Schön Müllerin schließt's Fenster zu
und alles liegt in alter Ruh,
des Morgens Nebel haben
die Mühle ganz begraben.

Und als ich kam am andern Tag
in trüber Ahnung Schauern,
die Mühle ganz zerfallen lag
bis auf die letzten Mauern;
das Wasser rauschet neben mir hin,
es weiß wohl was ich fühle,
und nimmermehr will aus dem Sinn
mir die zerfallne Mühle.

 


 


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