Deutsche Balladen
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Die Schlangenkönigin

(Novalis, 1772 – 1801)

          Der Himmel war umzogen,
es war so trüb und schwül,
heiß kam der Wind geflogen
und trieb sein seltsam Spiel.

Ich schlich in tiefem Sinnen,
von stillem Gram verzehrt.
Was soll ich nun beginnen?
Mein Wunsch blieb unerhört.

Wenn Menschen könnten leben
wie kleine Vögelein,
so wollt ich zu ihr schweben
und fröhlich mit ihr sein.

Wär hier nichts mehr zu finden,
wär Feld und Staude leer,
so flögen gleich den Winden
wir übers dunkle Meer.

Wir blieben bei dem Lenze
und von dem Winter weit,
wir hätten Frücht und Kränze
und immer gute Zeit.

Die Myrte sproß im Tritte
der Wohlfahrt leicht hervor,
doch um des Elends Hütte
sprießt Unkraut nur empor.

Mir war so bang zumute,
da sprang ein Kind heran,
schwang fröhlich seine Rute
und sah mich freundlich an:

Warum mußt du dich grämen?
o weine doch nicht so,
kannst meine Gerte nehmen,
dann wirst du wieder froh.

Ich nahm sie, und es hüpfte
mit Freuden wieder fort,
und stille Führung knüpfte
sich an des Kindes Wort.

Wie ich so bei mich dachte:
was soll die Rute dir?
schwankt aus den Büschen sachte
ein grüner Glanz zu mir.

Die Königin der Schlangen
schlich durch die Dämmerung;
sie schien gleich goldnen Spangen
in wunderbarem Prunkt.

Ihr Krönchen sah ich funkeln
mit bunten Strahlen weit,
und alles war im Dunkeln
mit grünem Gold bestreut.

Ich nahte mich ihr leise
und traf sie mit dem Zweig,
so wunderbarer Weise
ward ich unsäglich reich.

 


 


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