Deutsche Balladen
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Das Geistergebild

(Friedrich Baron de la Motte Fouqué, 1777 – 1843)

              Gekommen war schon der Abendtau,
auf Wiesen und Feldern lag Nebelgrau.

Für jeglichen Wandrer ward es spat
als noch aus der Hall' ein Fräulein trat.

Da ritt's von den nahen Bergen hernieder,
die Täler klangen vom Hufschlag wider.

Und in des Mondes beginnenden Schein
fuhr Helge vor aus dem nahen Hain.

»Ach,« sprach sie, »Wärst du nicht längst gefallen,
wie sollt es hier innen von Liedern schallen:

So aber bist du ein Geistergebild
und siehst auch schauerlich drein und wild.

Ja, ist dir vom Blut der Harnisch rot,
ganz weiß dein Antlitz von Todesnot.

Auch alle, die reiten hinter dir her,
traf schon des Feindes tödlicher Speer.

Es waren zusammen viel wackre Reiter;
nun bleiche, blutige Grabgeleiter.

O Helge, rühmlich erschlagener Held,
was kommst du zurück aufs heimische Feld?

Ist's an der Zeit, daß die Götter beginnen
den letzten der Kriege vor Asgard Zinnen?

Und stehn die Toten fast alle zu Hauf
aus Walhalls Sälen zum Scheidetag auf?«

So fragte das Fräulein. Der neblige Schein,
der duftige Helge schüttelte: »Nein!«

»Oder haben sie dir den Rückweg gewährt,
und kehrst du wieder zum heimischen Herd?

So komm und lenke seitab in das Schloß,
laß nicht vorüberfliegen dein Roß.

Ich meld es Sigrunen; sie trockne die Wangen,
sie eile, dich bräutlich und froh zu empfangen.«

So rief das Fräulein. Der neblige Schein,
der duftige Helge schüttelte: »Nein!«

»Dann ahn ich's, dann weiß ich's Mit eitler Gestalt
betrügt mich nächtigen Kobolds Gewalt.

Der weiß manch wunderlich Bildnis zu schaffen,
der hüllt sich in mit dir begrabne Waffen.

S'ist Kobold, und sprengt nun im fliegenden Trab
mit all seinem schaurigen Heer in dein Grab.«

So rief das Fräulein, Rückblickte der Schein,
der duftige Helge, und schüttelte: »Nein!«

 


 


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