Deutsche Balladen
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Maria und der Dornbusch

(Helmina von Chezy, 1783 – 1856)

          Auf grünen Wiesen ging Marie,
kein Blümchen leuchtend süß wie sie,
auch wollten alle Blümelein
dem holden Kinde freundlich sein.
Vergißmeinnicht sprach: pflückst mich nicht?
bin doch wie deiner Augen Licht!
Und Goldblum sprach: dein golden Haar
und ich, wie leuchten wir so klar!
Und Veilchen sprach: wie süßen Duft
ich hauchen mag in ferne Luft,
doch will kein Duft so lieblich sein
als deine Demut mild und rein!
Und Quelle sprach: wär ich so klar
wie deine Seele immerdar!
So freuten hold und inniglich
die Blümlein und die Quellen sich.
Nur Dornbuch seufzt und spricht: wie mag
ich nur so freudlos stehn am Hag;
was liebend auch mein Arm erfaßt,
das schilt mich doch nur rauhen Gast,
mich schmückt nicht Farbe, Tau noch Licht,
du süßes Kind! mein denkst du nicht!
Ei sprach Marie, da sie's vernahm,
was soll dir doch der heiße Gram?
Meinst du, daß ich für schlecht dich halt,
weil ernst und schmucklos die Gestalt?
O nein! wer weiß, was dir gewährt!
manch dunkles Los wird süß verklärt!
Und nun mit kindisch regem Sinn
neigt sich Marie zur Quelle hin
und nimmt den Busenschleier fein
und taucht ihn in die Perlein ein
und legt ihn flink aufs grüne Gras,
wie freut der süßen Last sich das!
Und wie nun sinnend ruht das Kind,
da hebet sich ein Wirbelwind,
der hascht zum Spiel das Busentuch
und trägt es fort im schnellen Flug,
der Dornbusch regt die Zweig' behend
und faßt im Nu des Schleiers End'
und hält es fest mit starker Hand,
daß es Maria wiederfand.
Da sieht Marie den treuen Sinn
und blickt zum Dornbusch freundlich hin,
und von der Blicke Glanz berührt,
im Dorn sich Leben quillend rührt
und purpurn, goldig sprießt's und weht:
der Dornbusch voller Rosen steht.
Die leuchten wie die Wangen klar,
die duften wie das goldne Haar ...
Noch heut trägt er den Purpurnschein,
das muß Marienröslein sein!

 


 


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