Deutsche Balladen
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Das Lügenfeld

(Adolf Ludwig Stöber, 1810 – 1892)

            Bei Thann da grünen Triften voll reicher Wiesenflur,
und lustig rauscht dazwischen die himmelblaue Thur;
doch öde liegt inmitten der blütenreichen Welt,
in meilenweiter Strecke, das brache Lügenfeld.

Da spießen keine Saaten, da schallt kein Vogellied,
nur Farrenkräuter wuchern hervor aus schwarzem Ried,
der Bauersmann sich kreuzet und flüchtet schnell vorbei,
ein Fluch hat längst getroffen die lange Wüstenei.

Einst hatte sich da drüben ein Wandersmann verirrt,
da dröhnt es durch die Wildnis, ein Eisenharnisch klirrt,
und aus den dichten Sträuchern und aus dem tiefen Moor
da rasselt wilden Schrittes ein Kriegesmann hervor.

»Was rief dich, Unglücksel'ger, in diese Wildnis her?
Was trieb dich, uns zu wecken aus Träumen tief und schwer?
Da drunten in den Höhlen, in weitverschlungnem Gang,
da schlafen ganze Heere vielhundert Jahre lang!

Verruchter Söhne Frevel, geschworner Treue Bruch,
hat längst auf uns geladen des Himmels Rachespruch.
Vernimm die grause Kunde, du stehst an selber Statt,
wo Ludewig den Frommen sein Heer verraten hat.

Wir schlossen dichte Reihen bis an die Berge fern,
gerüstet, ihn zu schirmen, den kaiserlichen Herrn;
da zog in blanken Waffen der Söhne Schar heran,
von dumpfem Rasseln dröhnte der weite Rasenplan.

So stürmten sie herüber, die freveln Brüder vorn,
in ihren Fäusten Schwerter, in ihren Blicken Zorn;
durch unser Lager schlüpfte der tückische Lothar
und bot uns blanke Münze und glatte Worte dar.

Der Heil'ge Vater selber hat uns den Sinn betört:
es gelte keine Treue, die man dem Sünder schwört!
So schlich er durch die Reihen und streute schlimme Saat –
bis alle wir verblendet uns fügten dem Verrat.

Drauf schlugen die Verruchten des alten Vaters Hand –
er bot sie schon zum Frieden – in schweren Eisenband,
sie rissen ihm die Krone vom Haupte silberweiß
und führten ihn von hinnen, den weltverlaßnen Greis.

Und Ludewig der Fromme das Aug gen Himmel schlug:
Ist denn geschworne Treue und Kindesliebe Trug?
Weh, falsche Söldnerscharen, so feil und so verrucht!
Weh dir, du Lügenstätte, – ihr seid fortan verflucht«

Der Himmel hat vollzogen des Greises Rachewort,
die Bäche sind vertrocknet, der Anger liegt verdorrt,
und keine Saaten spießen, es schallt kein Vogellied;
nur Farrenkräuter schießen hervor aus schwarzem Ried.

Und in den Höhen drunten, in weitverschlungnem Gang,
da schlafen unsere Scharen vielhundert Jahre lang;
da schlafen auch die Brüder, die frevlen Söhne drei;
verrostet sind die Schwerter, verstummt das Siegsgeschrei.

»Fleuch, Wandersmann, von hinnen und sag es aller Welt,
wes Fluch in diesen Gauen uns tief in Schlummer hält!« –
Der Wandermann sich kreuzet und tut zur selben Stund'
im Thanner Münster drüben die Märe beichtend kund.

Auf dem Lügenfeld bei Coolmahr (Oberelsass) unterlag Kaiser Ludwig der Fromme (814 – 840) im Jahr 833 einer Empörung seiner Söhne; Lothar I., Ludwig der Deutsche, Karl des Kahle.

 


 


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