Deutsche Balladen
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Die Glocken zu Speier

(Maximilian Freiherr von Oer, 1806 – 1846)

        Zu Speier im letzten Häuselein,
da liegt ein Greis in Todespein,
sein Kleid ist schlecht, sein Lager hart,
viel Tränen rinnen in seinen Bart.

Es hilft ihm keiner in seiner Not;
es hilft ihm nur der bittre Tod.
Und als der Tod ans Herze kam,
da tönt's auf einmal wundersam.

Die Kaiserglocke, die lange verstummt,
von selber dumpf und langsam summt,
und alle Glocken groß und klein
mit vollem Klange fallen ein.

Da heißt's in Speier weit und breit:
Der Kaiser ist gestorben heut!
Der Kaiser starb, der Kaiser starb;
weiß keiner, wo der Kaiser starb?

Zu Speier, der alten Kaiserstadt,
da liegt auf goldner Lagerstatt,
mit mattem Aug' und matter Hand,
der Keiser, Heinrich V. genannt.

Die Diener laufen hin und her,
der Kaiser röchelt tief und schwer,
und als der Tod ans Herze kam,
da tönt's auf einmal wundersam.

Die kleine Glocke, die lange verstummt,
die Armesünderglocke summt,
und keine Glocke stimmt mit ein,
sie summt so fort und fort allein.

Da heißt's in Speier weit und breit:
Wer wird denn wohl gerichtet heut?
Weg mag der arme Sünder sein?
Sagt an, wo ist der Rabenstein?

 


 


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