Deutsche Balladen
Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

... die hatten sich so lieb

(Achim von Arnim, 1781 – 1831)

            Zwei schöne, liebe Kinder,
die hatten sich so lieb,
daß eines dem andern im Winter
mit Singen die Zeit vertrieb,
diesseits und jenseits dem Wasserfall
höret ihr immer den Doppelschall.

Der Winter bauet Brücken,
sie beide hat vereint,
und jedes mit frohem Entzücken
die Brücke nun ewig meint;
diesseits und jenseits am Wasserfall
wohnten die Eltern getrennt im Tal.

Der Frühling ist gekommen,
das Eis will nun aufgehn,
da werden sie beide beklommen,
die laulichen Winde wehn;
diesseits und jenseits am Wasserfall
stürzen die Bächlein mit wildem Schall.

Was hilft der helle Bogen
womit der Fall entzückt,
von ihnen so liebreich erzogen,
zum erstenmal bunt geschmückt?
diesseits und jenseits am Wasserfall
hört sie klagen getrennt im Tal.

Die Vögel über fliegen,
die Kinder traurig stehn
und müssen sich einsam begnügen,
einander von ferne zu sehn;
diesseits und jenseits am Wasserfall
kreuzen die Schwalben mit lautem Schall.

Sie möchten zusammen mit Singen,
so wie der Vöglein Brut,
den himmlischen Frühling verbringen,
das Scheiden so wehe tut:
diesseits und jenseits am Wasserfall
sehn sie sich endlich zum letztenmal.

Der Knabe kriegt zur Freude
ein Röckchen wie ein Mann,
das Mädchen ein Kleidchen von Seide,
nun gehet die Schule an;
diesseits und jenseits am Wasserfall
gehn sie zum Kloster bei Glockenschall.

Sie sahn sich lange nicht wieder,
sie kannten sich nicht mehr,
das Mädchen mit vollem Mieder,
der Knabe ein Mönch schon wär';
diesseits und jenseits am Wasserfall
kamen und riefen sie sich im Tal.

Das Mädchen ruft so helle,
der Knabe singt so tief;
verstehn sich endlich doch schnelle,
als alles im Hause schlief;
diesseits und jenseits am Wasserfall
springen im Mondschein die Fische all.

Froh in der nächt'gen Frische
sie kühlen sich im Fluß,
sie können nicht schwimmen wie Fische
und suchen sich doch zum Kuß;
diesseits und jenseits am Wasserfall
reißen die Strudel sie fort mit Schall.

Die Eltern hören singen
und schaun aus hohem Haus,
zwei Schwäne im Sternenschein ringen
zum Dampfe des Falls hinaus;
diesseits und jenseits am Wasserfall
hören sie Echo mit lautem Schall.

Die Schwäne herrlich sangen
ihr letztes schönstes Lied,
und leuchtende Wölkchen hangen,
manch Engelein niedersieht;
diesseits und jenseits am Wasserfall
schwebet wie Blüte ein süßer Schall.

Der Mond sieht aus dem Bette
des glatten Falls empor,
die Nacht mit der Blumenkette
erhebet zu sich dies Chor;
diesseits und jenseits am Wasserfall
grünt es von Tränen und überall.

 


 


 << zurück weiter >>