Deutsche Balladen
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Das nächtliche Nebellied

(Ernst Raupach, 1784 – 1852)

            »Ach Mutter, Mutter! laß mich hinaus,
schon schwirret lustig die Fledermaus;
und sieh, wie des Mondes kindliches Licht
zum Nebelkranze die Berge verflicht,
wie fromm und gut
das wilde, brausende Leben ruht!«

So sprach das Fräulein vom Bodenstein.
Sie sehnte sich stets in die Nacht hinein,
und wie der Sphinx mit dämmernder Nacht
zum Rundflug auf duftigen Blumen erwacht,
erwachen auch
des Fräuleins Geister beim Abendhauch.

Die Mutter wohl sprach: »Des Tages Gold,
mein Töchterlein ist dem Guten hold,
des Mondes Silber ist totenbleich,
und die Nacht an Betrug und Tücke reich;
drum bleib, mein Kind,
daß nicht der Versucher dich einst umspinnt!«

Das Fräulein vergaß die Mahnung schnell;
wie ahnend auch scholl der Hunde Gebell,
wie warnend auch klang der Eulen Schrein,
ging träumend sie doch in die Nacht hinein,
ging sonder Graus
ins matt erleuchtete Totenhaus.

Sie schmähte die Wahrheit am Tageslicht,
die frostig zum frostigen Geiste spricht;
und mit den Schatten, schwankend und bleich,
dem Feuerwurm, der Unk' im Teich
und dem Nebelgebild,
mit allen koste sie liebend mild.

Sie schaut auf das dunkelsaphirne Meer
und auf den silbernen Wölklein Heer
und dacht und sehnte sich freventlich:
»O trügen der Wolken Flügel mich,
vom Himmelsrand
zu schauen die Erd' im Nachtgewand!«

Vom Bodenstein hallte die elfte Stund,
da schwebte hervor aus dem düstern Grund
ein Wölklein, dunkel im innern Raum,
ringsum verbrämt mit purpurnem Saum,
und berührte den Fuß,
des staunenden Fräuleins mit purpurnem Kuß.

Es stand ein Jüngling im luftigen Kahn,
wie ein riesiger Knabe fast angetan;
aus Regenbogen war sein Gewand,
das um die Hüften ein Mondstrahl band;
auf dem goldenen Haar
von buntem Gestein die Krone war.

»Fräulein, Fräulein! was sitzest du hier,
die Armut beschauend für und für?
Komm, steig in meinen flüchtigen Kahn!
Ich führe dich schnell auf der Stürme Bahn
zu dem wonnigen Raum,
wo Traum ist Leben und Leben Traum.«

Es bot ihr der Jüngling die rosige Hand;
das Fräulein dem Locken nicht widerstand;
es trug sie ein Zephir aus Blumenduft
bald hin, bald her durch die silberne Luft,
bis an Bergeshöhn
das Wolkenschifflein blieb stille stehn.

Es legte der Wolke Saum sich rund
um des Blocksbergs Felsen als Purpurbund,
und des Jünglings Regenbogenwand
flugs über die Kuppe war ausgespannt;
und der Steuermann
das Fräulein führte den Berg hinan.

Hier stellt dem schwärmenden Mägdlein sich dar
der eigenen Träume verwirrende Schar;
was wachend und schlummernd die Seel' ihr je
geschaffen hatte zu Lust und zu Weh
mit einem Sein
erblickt sie's hier in bunten Reihn.

Auch sah sie der Frauen und Mägdlein viel,
gleich ihr ergeben dem träumrischen Spiel,
und jede, gleich ihr, von der Träume Schar,
die sie selbst geboren, umgeben war;
wie Waldgesang
und Flöten die Rede der Schatten klang.

Nun reihten sich alle beim grünlichen Glanz
der Feuerwürmchen zum schwebenden Tanz,
dann aßen die Brot von Blumenstaub
und tranken Tau von Zypressenlaub
und sangen zum Mahr,
vergessend des sonnigen Lebens Qual.

Das Fräulein saß wieder bei Morgenschein
wohl auf dem Berg beim Bodenstein,
doch war's dasselbe Fräulein nicht mehr,
denn ach! der Busen war liebeleer;
wie des Tages Licht,
so floh sie der Menschen Angesicht.

Den Geistern und Träumen lebte sie bloß,
sie sagte von Mutter und Schwester sich los,
sie sagte sich los von dem liebenden Mann,
der werbend sie schon zur Braut gewann;
in der Höhle Nacht
begrub sie sich vor der Sonne Pracht.

Sie durchschweifte die Nacht mit tränendem Blick
und sehnte sich heiß nach der Höhe zurück;
die Höhe blieb fern, das Herz war matt,
im Strome fand sie die Ruhestatt.
Sanft ruh ihr Gebein!
der Seele wird Gott ja gnädig sein.

 


 


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