Deutsche Balladen
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Ein grauer, riesiger Jägersmann

(Gustav Freytag, 1816 – 1895)

      Der Sturm durchfährt den Föhrenwald,
die Sterne glänzen bleich und kalt,
Großmuter lauscht mit starrem Blick,
die Bäume brechen, die Dohlen schrein,
und des Försters Kind
erzittert im Wind
und schaut in die schwarze Nacht hinein.

»Großmutter, hörst du das ferne Gebell
dort unten im Busche, scharf und hell?
der Vater, der liebe Vater kommt!«
Der Alten zuckt es im starren Gesicht:
»In der zwölften Stund'
bellt mancher Hund.
Die Hunde des Vaters sind es nicht.«

Und wieder beugt sich das Kind zurück:
»Ein Hifthorn hör ich, ein Jägerstück,
sie blasen das Ende, der Vater kommt!«
Da spricht die Alte mit zitterndem Mund:
»Der die Noten blies,
ins Jagdhorn stieß,
keine Tochter hat er im Erdengrund.«

Zum dritten Male die Dirne lauscht:
»Horch, Mutter, ein Fuß im Walde rauscht,
die Blätter rasseln, der Vater kommt.«
Die Alte sinkt in die Kissen hinein:
»So rauscht und tritt
kein Männerschritt:
Gott schütz und rette dich, Töchterlein!«

Da pocht es im Tor, die Meute bellt,
das Haus ein falber Schein erhellt,
und ein grauer, riesiger Jägersmann,
mit Eulenfedern am breiten Hut,
tritt ein geschwind.
Dem Försterkind
erstart bei seinem Gruße das Blut.

Es liegt im Holze beim Erlenquell
ein alter, wunder Jagdgesell,
er ruft die Tochter, sie hört ihn nicht,
der Sturm nur hört ihn im Föhrenwald,
noch einer hört's,
noch einen stört's,
daß der Alte ruft und die Fäuste ballt.

 


 


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