Deutsche Balladen
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Der Tod am Krankenbett des Kaisers

(Franz Grillparzer, 1791 – 1872, geschrieben im März 1826)

Ballade zum Dank für die Genesung des Kaisers Franz II

        Um Mitternacht, in Habsburgs alten Mauern
geht ein Verhüllter, rätselhaft zu sehn!
Man sieht ihn schreiten, weilen nun, und lauern –
dann heben seinen Fuß und weiter gehn.
Vom Haupte zu den trägen Fersen nieder
umhüllend rings fließt nächtiges Gewand,
die Falten scharf; so zeichnen sich nicht Glieder,
wo Leben noch die straffen Sehnen spannt.

Was hält er? ist's ein Stab? es blinkt wie Waffen –
des Schnitters Waffe haltend zieht er ein!
Und wo des Mantels Säum' im Gehen klaffen,
blickt kahl entgegen fleischentblößt Gebein.
Ich kenne dich! du Würger der Lebend'gen!
Was suchst im Heiligtume, Scheusal, du?
Hier darf das Alter nur die Tage end'gen,
die Pflicht zu leben, gibt ein Recht dazu.

Jetzt steht er still, dort wo das Pförtchen schließet;
o schließe gut, o Pförtchen, schließ ihn aus!
Doch aus dem Kleide, das ihn rings umfließet,
streckt er die dürre Knochenhand heraus.
Wie an die Flügel er die Finger stellet,
da springen sie, weitgähnend, aus dem Schloß
und ein Gemach, vom Lampenschein erhellet,
liegt seinem Aug, liegt seinem Arme bloß.

Und drin ein Mann auf seinem Schmerzensbette,
wie ist die edle Stirn von Tropfen feucht!
Zwei Frauen neben ihm: wer säh's und hätte
die Gattin nicht erkannt, die Mutter leicht?
Und eine Krone liegt zu Bettes Füßen:
»Das ist ein König!« spricht der bleiche Gast,
»und zwar ein guter, soll ich glauben müssen,
das früh ergraute Haar zeugt nicht von Rast.

Wohl auch als Gatte mocht er sich bewähren,
darum bewacht die Gattin jeden Hauch.
Durchs Schloß erschallen Seufzer, fließen Zähren,
ein guter Herr und Vater also auch.
Und dennoch kann das alles mich nicht hindert,
der Gattin Tränen halten mich nicht auf;
den Vater raub ich täglich seinen Kindern,
was vorbestimmt ist, habe seinen Lauf!«

Und er tritt ein. Da summen leise Klänge
vom Schloßhof her in sein gespanntes Ohr.
Dort woget Volk, kaum faßt der Raum die Menge,
und jeder forscht, und jeder blickt empor.
Ein Weinender fragt einen, der da weinet,
und Tränen machen ihm die Antwort kund,
»ob Hoffnung sei?« Was trüb der Blick verneinet,
pflanzt durch die Menge sich von Mund zu Mund.

Und alle Hände sind zum Flehen gefaltet,
auf jeder Lippe zittert ein Gebet;
der Todespfeil, der einen Busen spaltet,
den blut'gen Weg zu aller Herzen geht. –
Da hält der Würger an, sieht nach dem Kranken,
dann nach der Menge, wogend ohne Ruh, –
es stockt der Fuß, der Arm beginnt zu wanken,
und endlich – schreitet er der Türe zu.

Schon hört er nicht mehr das Gebet der Menge,
die Bess'rungskunde jubelnd zu sich ruft;
und an dem Ende der verschlungnen Gänge
schwingt er, ein Nachtgewölk, sich in die Luft.
Im Gehen aber scheint er noch zu sprechen:
»Nicht über meinen Auftrag geht die Pflicht;
ich ward gesandt, ein einzig Herz zu brechen,
so viele tausend Herzen brech ich nicht!«

 


 


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