Deutsche Balladen
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Die Giftmörderin

(Johann Heinrich Jung, 1740 – 1817)

        Es ritt ein Ritter wohl übers Feld,
er hatte kein'n Freund, kein Gut, kein Geld.
Sein Schwesterlein war hübsch und fein:
»Ach Schwesterlein! ich sage dir Adie,
ich sehe dich ja nimmermehr;
ich reite weg in ein fremdes Land,
reich du mir deine weiße Hand!
Adie! Adie! Adie!«

»Ich sah, mein schönstes Brüderlein,
ein buntig, artig Vögelein,
es hüpfte im Wachholderbaum;
ich warf's mit meinem Ringelein,
es nahm ihn in sein Schnäbelein
und flog weg in dem Walde fort;
Adie! Adie! Adie!«

»Schließ du dein Schloß wohl feste zu,
halt dich fein still in guter Ruh;
laß niemand in dein Kämmerlein:
Der Ritter mit dem schwarzen Pferd
hat dich zumalen lieb und wert;
nimm dich vor ihm gar wohl in acht,
manch Mägdlein hat er zu Fall gebracht,
Adie! Adie! Adie!«

Das Mägdlein weinte bitterlich;
der Bruder sah noch hinter sich
und grüßte sie noch einmal schön.
Da ging sie in ihr Kämmerlein
und konnte da nicht fröhlich sein:
den Ritter mit dem schwarzen Pferd
hätt' sie vor allem lieb und wert.
Adie! Adie! Adie!

Der Ritter mit dem schwarzen Roß
hätt' Güter und viel Reichtum groß;
er kame zum Jungfräulein zart,
er kame oft um Mitternacht
und ginge, wann der Tag anbrach.
Es führt sie in sein Schlösselein
zum anderen Jungfräulein fein.
Adie! Adie! Adie!

Sie kam dahin in schwarzer Nacht,
sie sah, daß er zu Fall gebracht
viel edele Jungfrauen zart.
Sie nahm wohl einen kühlen Wein
und goß ein schnödes Gift hinein
und trank's dem schwarzen Ritter zu,
es gingen beiden die Äuglein zu.
Adie! Adie! Adie!

Sie begruben den Ritter im Schlosse fein,
das Mägdlein inbei ein Brünnelein;
sie schläft da im kühlen Gras.
Um Mitternacht da wandelt sie umher
im Mondenschein, dann seufzet sie so sehr,
sie wandelt da im weißigen Kleid
und klaget da dem Wald ihr Leid.
Adie! Adie! Adie!

Der edle Bruder eilt herein
bei diesem klaren Brünnelein
und sah es, sein Schwesterlein zart,
»Was machst du, mein Schwesterlein, allhier?
du seufzest so, was fehlt dann dir?«
»Ich hab den Ritter in schwarzer Nacht
und mich mit bösem Gift umgebracht:
Adie! Adie! Adie!«

Wie Nebel in dem weiten Raum
flog auf das Mägdlein durch den Baum,
man sah sie wohl nimmermehr.
Ins Klöster ging der Rittersmann
und fing ein frommes Leben an.
Da betete er fürs Schwesterlein,
auf daß sie möchte selig sein.
Adie! Adie! Adie!

 


 


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