Deutsche Balladen
Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die edle Tat

(Kaspar Friedrich Lossius, 1753 – 1817)

    An einem Fluß, der rauschend schoß,
ein armes Mädchen saß;
aus ihren blauen Äuglein floß
manch Tränchen in das Gras.

Sie wand aus Blümchen einen Strauß
und warf ihn in den Strom.
Ach guter Vater, rief sie aus,
ach lieber Bruder komm!

Ein reicher Herr gegangen kam
und sah des Mädchens Schmerz,
sah ihre Tränen, ihren Gram,
und dies brach ihm das Herz.

Was fehlet, liebes Mädchen, dir,
was weinest du so früh?
Sag deiner Tränen Ursach mir,
kann ich, so heb ich sie.

Ach, lieber Herr, sprach sie und sah
mit trübem Aug' ihn an:
Sie sehn ein armes Mädchen da,
dem Gott nur helfen kann.

Denn sehn Sie, jene Rasenbank
ist meiner Mutter Grab,
und ach, vor wenig Tagen sank
mein Vater hier hinab.

Der wilde Strom riß ihn dahin,
mein Bruder sah's und sprang
ihm nach; da faßt der Strom auch ihn,
und ach! auch er ertrank.

Nun ich im Waisenhause bin,
und wenn ich Rasttag hab,
Schlupf ich zu diesem Fluse hin
und weine mich recht ab.

Sollst nicht mehr weinen, lieben Kind!
Ich will dein Vater sein.
Du hast ein Herz, das es verdient,
du bist so fromm und fein.

Er tat's und nahm sie in sein Haus,
der gute reiche Mann,
zog ihr die Trauerkleider aus
und zog ihr schönre an.

Sie aß an seinem Tisch und trank
aus seinem Becher satt. –
Du guter Reicher habe Dank
für deine edle Tat.

 


 


 << zurück weiter >>