Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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6.

Wenn sich doch eure Könige und Fürsten vorstellen könnten, wie angenehm es ist, eine Menge von Leuten glücklich zu machen! In meinem Leben hat mir nichts ein so vollkommnes Vergnügen gemacht, als die Vorstellung, hundert und dreyßig tausend liebenswürdige junge Geschöpfe wenigstens auf vier und zwanzig Stunden glücklich gemacht zu haben.

Meine Ehegesetze sind in Ordnung gebracht; in zwanzig Jahren hoff' ich meine Insel ziemlich bevölkert zu sehen.

Ob es eine ewige Liebe giebt? – Das weiß ich nicht. So viel ist gewiß, daß es unbesonnen wäre, einander ewige Liebe zu schwören, so geneigt man mit sechzehn Jahren dazu ist; aber ewige Liebe schwören müssen – Nein, meine Kinder, ich will euch keinen Anlaß geben, einander desto eher überdrüssig zu werden!

Wem die Freyheit, die ich meinen Insulanern lasse, anstößig ist, der muß (denk' ich) gewohnt seyn, die Welt mit dem halben Durchmesser des kleinen Kreises zu messen, den er um sich selbst, und den Ort wo er etwas zu bedeuten hat, eine oder zwey Stunden scheibenweise herum zieht. Es ist nichts alberner, als alles lächerlich oder ärgerlich finden, was anders ist als bey uns. In Grunde läuft doch der ganze Unterschied darauf hinaus, daß ihr euch die Freyheit selbst nehmt, die ich meinen Unterthanen lasse, weil ich nicht gern Gesetze gebe, bloß damit ich fein viel zu dispensieren und zu strafen bekomme.

Ich sehe nicht warum die Ehen in meiner Insel nicht dauerhaft seyn sollten. Ehrgeitz, Interesse, Unverträglichkeit der Gemüther, tödtliche Feindschaft, Unvermögen, oder wie die andern Ursachen eurer Ehescheidungen heißen, finden bey uns nicht Statt. – Doch erlaube ich meinen Leuten, in gewissen Umständen einen Tausch zu treffen, in so fern es mit gutem Willen der sämmtlichen Interessenten geschieht.

Diejenigen, welche, ohne jemahls zu tauschen, vierzig Jahre mit einander gelebt haben, werden öffentlich mit einem Kranze von Schasmin und Myrten gekrönt, und erhalten dadurch das Recht, bey allen Festen mit einem solchen Kranz um die Stirne oben an zu sitzen, und bey den Versammlungen zuerst ihre Meinung zu sagen.

Eine Schöne – (häßliche giebt es überhaupt in meiner Insel nicht) welche überzeugt werden kann, zwey Liebhaber zugleich zu begünstigen, wird verurtheilt, drey Monate lang bey allen Festen und öffentlichen Lustbarkeiten mit sechs Daumen hohen spitzen Schuhen, und einem achtzehn Daumen hoch aufgethürmten Aufsatz von Ziegenhaaren zu erscheinen. – Eine Strafe, die in den Augen meiner Insulanerinnen so entsetzlich ist, daß es auf dem ganzen Erdboden – keine behutsamern Geschöpfe giebt als sie.

Übrigens ist auf meiner Insel nicht erlaubt, sich in fremde Liebesangelegenheiten einzumischen. Der oder diejenige, welche sich beygehen ließe, einem zärtlichen Paar in eine Grotte nachzuschleichen, oder einem Manne zu verrathen, daß man seine Frau mit einem andern hinter einem Rosenstrauche habe sitzen sehen, wird ohne die mindeste Nachsicht in einen Nachen gesetzt, und mit einem guten frischen Landwinde, unter höflicher Empfehlung an die Tritonen und Nereiden, ins hohe Meer geschickt. Eine einzige solche übelthätige Kreatur würde hinlänglich seyn, den Samen der Zwietracht in meiner ganzen Insel auszusäen.

Ihr werdet mir einwenden, daß es bey so gestalten Sachen unmöglich sey, eine Schöne jemahls zu überweisen, daß sie zwey Männer zugleich begünstige.

Schwer ist es, ich gesteh' es, aber nicht unmöglich. Denn es würde unmöglich gewesen seyn, von dem Gesetze, dessen ich eben erwähnte, den Mann oder die Frau nicht auszunehmen, welche selbst unmittelbar bey einem solchen Fall interessiert wären. Gesetzt, ich sähe meine eigene Frau mit einem andern die Einsamkeit suchen, so ist mir (falls ich unhöflich genug wäre sie zu überraschen) nicht nur erlaubt, sie zur Strafe der spitzigen Schuhe und der Pyramide von Ziegenhaaren zu ziehen: sondern ich bin auch berechtigt, ihren Liebhaber anzuhalten, mir, wofern ich anders Lust zum Tausche habe, seine Frau gegen die meinige abzutreten.

Indessen versichern mich meine Geister, welche die Gabe haben, die Begebenheiten der moralischen Welt auf etliche Jahrhunderte hinein so genau auszurechnen, als unsre Sternseher die Sonnenfinsternisse, – daß dieser Fall sich in den ersten fünf und zwanzig Jahren meiner Republik kaum fünf- oder sechsmahl ereignen werde; welches (denke ich) fünf oder sechs tausendmahl weniger ist, als in jedem andern Staate (eine gleiche Anzahl von Einwohnern vorausgesetzt) in einem einzigen Monat geschehen könnte.

Amor (für den ich übrigens alle Ehrfurcht hege, die ich ihm schuldig bin) wird mir verzeihen, wenn ich sage, daß er seiner Natur nach ein loser Vogel ist, der sichs schlechterdings nicht wehren läßt, von Zeit zu Zeit eine kleine Schelmerey zu begehen. Ich kann ihn nicht anders machen; und ich fordre alle eure Gesetzgeber und Sittenlehrer heraus, ihn anders zu machen wenn sie können.

Was blieb mir also übrig, als ihm entweder die Flügel gar abzuschneiden, – und wenn ihr auch dazu entschließen könnt, so schneidet ihm eben so wohl auch alles andre ab, was sich abschneiden läßt, – oder die Behutsamkeit unter meinem Volke zu einer der vornehmsten Tugenden zu machen? wie sie es auch in der That ist, ihr möchtet leben wo und in welchen Umständen ihr wolltet.

Das Wort Eifersucht habe ich aus den drey hundert und fünf und sechzig Wörtern, woraus die Sprache meiner Insel besteht, gänzlich ausgeschlossen. – Hab' ich unrecht daran gethan?


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