Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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5.

Sie lag, ein wenig zurück gebogen, auf einem kleinen Throne von Polstern, und spielte, wie ich sagte, mit ihrem Schooßhündchen.

Gegen über saß ein junger Mensch, von dem die Natur viel versprach, – und der beym Xenokrates gehört hatte, man müsse die Augen zuschließen, wenn man sich nicht stark genug fühlte, einer schönen Versuchung mit offnen Augen Trotz zu biegen.

Der junge Mensch hatte den Muth nicht, die seinigen ganz zu schließen; aber er sah auf den Boden, – und da fiel ihm (zum Unglück) ein kleiner Fuß in die Augen, wie man sich den Fuß einer aus dem Bade steigenden Grazie einbilden kann, jedoch nur wenig über die Knöchel aufgedeckt.

Es war Nichts für – euch oder mich; aber es war sehr viel für den jungen Menschen. Schüchtern und verwirrt zog er die Augen zurück, sah die Dame an, dann ihren Schooßhund, dann wieder den Fußteppich; aber der schöne kleine Fuß hatte sich inzwischen unsichtbar gemacht.

Er bedauerte es. Er sprach, mit stotternder Stimme, von allem andern – als was er fühlte.

Die Dame streichelte ihren Schooßhund. Das Hündchen liebkosete ihr hinwieder, zerrte mit seiner kleinen Pfote an ihrem Halstuche, sah sie dann mit schalkhaftem – Lächeln, hätte ich gesagt, wenn Hunde lächeln könnten – an, zerrte wieder an ihrem Tuche, und entfesselte unter diesem Spiele – (die Dame betrachtete eben eine Leda von Parrhasius, die etwas rechter Hand gegen über hing) – die Hälfte eines sehr weißen und sehr reitzend gegründeten Busens.

Der junge Mensch blinzelte, erröthete bis an die Ohrenläppchen, und schnappte nach Luft.

Das Hündchen stand mit den Hinterpfoten auf ihrem Schooße, schmiegte sein rechtes Vorderpfötchen an dem schönen Busen an, und sah mit halb offnem Munde – dem Ausdruck des Verlangens – zu ihren Augen auf. Sie küßte das Hündchen, nannt' es ihren kleinen Schmeichler, und steckte ihm den Mund voll Honigplätzchen.

Der junge Mensch hatte keine Kraft mehr auf den Boden zu sehen, und – Ich schlich mich fort.

Unterwegs sah ich Aristippen, mit Rosen bekränzt und ganz Arabien um sich her düftend, von einem Gastmahl des reichen Klinias wohl bezecht zurückkehren. Er schwamm in einem weiten seidnen Gewande, schimmerte um und um von der Beute, die er vor einiger Zeit von Dionysen zu Syrakus gemacht hatte: ein kleiner Hof von muntern Jünglingen schwärmte um ihr her, und, wie Bacchus unter Faunen uns Satyrn, ging er in ihrer Mitte und lehrte sie – seine Weisheit.

Beym Anubis, dem Schutzgott aller Schooßhündchen! ich will meinen Stecken und meine Tasche verloren haben, wenn Aristipp seine Weisheit nicht von Danaens Schooßhunde gelernt hat!

Schmeichelt der Eitelkeit der Reichen und Großen, liebkoset ihren Leidenschaften, oder befördert ihre geheimen Wünsche, ohne zu thun als ob ihr sie merket; – so werden sie euch den Mund mit Honigplätzchen füllen: das ist das ganze Geheimniß.

»Nichts mehr als das?« – Kein Jota!


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