Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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17.

Das Vergangene, sagte ich zu dem Mädchen, war eine Folge des Unglücks, die schöne Lais zur Mutter gehabt zu haben. Bemühe dich, es in jeder andern Absicht zu vergessen, als ich so fern deine Erfahrung dir fürs Künftige nützlich seyn kann. Dieß allein muß nun dein Augenmerk seyn; es wird meistens von dir selbst abhangen. Ein so schönes Geschöpf – ich konnte mich nicht verhindern sie auf die Stirn zu küssen, indem ich es sagte – ist ganz gewiß zu etwas besserm gemacht, als einem Glykon zum Spielzeuge oder einem Kalamis zum Modell zu dienen. Die Natur hat viel für dich gethan, meine Liebe, das Glück nichts; aber, launisch wie es ist, wird es durch unverhoffte Zufälle seine bisherige Nachlässigkeit verbessern.

Es hat den Anfang damit gemacht, daß es mich in deine Hände fallen ließ, sagte das Mädchen.

Verdiente das nicht wieder einen Kuß?

Deine Zukunft, fuhr ich fort, wird von dem Gebrauch abhangen, den du von dem einen und dem andern machen wirst. Weil es Nahmen von schlimmer Vorbedeutung giebt, so wollen wir immer damit anfangen, deinen Nahmen zu ändern. Laidion soll in Glycerion verwandelt werden; und als Glycerion will ich dich mit einem meiner Freunde bekannt machen, der (gegen eine kleine Erkenntlichkeit vielleicht) großmüthig genug seyn wird, dich unter der Aufsicht einer alten Freygelaßnen aus seinem Hause nach Milet zu führen, wo du, mit allem versehen was die Anständigkeit erfordert, durch eine stille und eingezogene Lebensart am ehesten Aufmerksamkeit erregen wirst. Es giebt eine gewisse Art sich zu verbergen, um desto bessere gesehen zu werden. In kurzem werden die Liebhaber so dicht, wie die Bienen um einen Rosenstrauch, um deine Hütte flattern.

Ihre Absicht – merke dirs wohl, gutes Mädchen! – ist weder schlimmer noch besser, als dich so wohlfeil zu haben als möglich: die deinige muß seyn, dich so theuer zu verkaufen als du kannst. Dein eigenes Herz wird dir hierin vielleicht am hinderlichsten seyn. Wehe dir, wenn es zur Unzeit oder für einen Gegenstand gerührt würde, wobey nur die Augen ihre Rechnung fänden! Eine Schöne hat tausend Dinge zu verschenken, die von keiner Erheblichkeit sind; aber ihr Herz muß immer in ihrer Gewalt bleiben. So lange du dieses Palladion erhältst, wirst du unbezwinglich seyn. Bemühe dich, allen deinen Liebhabern gut zu begegnen, ohne Einen zu begünstigen. Theile die Gnaden, die du, ohne dir selbst zu schaden, verschenken kannst, in unendlich kleine Theilchen. Ein Blick sey schon eine große Gunst; und den Zwischenraum vom gleichgültigen zum aufmunternden, und von diesem zum zärtlichen, fülle, wenn es seyn kann, – und ich dächte, ein schönes Mädchen sollte es können – mit hundert andern aus, die stufenweise sich von dem einen entfernen und dem andern nähern. Aber hüte dich, bey diesem Spiele deine Absicht merken zu lassen: das wäre so viel, als wenn du sie warntest, sich in Acht zu nehmen. Gleich schädlich würde es seyn, wenn du die Meinung von dir erwecktest, als ob dein Herz nicht gerührt werden könnte. Laß einem jeden, der es werth zu seyn scheint, einen Strahl von Hoffnung, daß es möglich sey dich zu gewinnen; aber dabey richte alle deine Bewegungen so ein, daß es immer in deiner Macht bleibe, denjenigen zu begünstigen, der zärtlich und schwach genug ist, sich und sein Glück deinen Reitzungen auf Gnade oder Ungnade zu ergeben; – wohl verstanden, daß, nach bedächtlichster Abwägung aller Umstände, der Mann und sein Glück das Opfer werth sey, das du ihm dagegen von dir und deiner Freiheit machst. Einen solchen, wenn die Wunde, die ihm deine Augen geschlagen haben, zu schwären anfängt, kannst du mit gehöriger Vorsicht merken lassen, daß du fähig bist zärtlich zu seyn. –

Aber mir fällt auf einmahl ein, daß du mir sagtest, du könntest nicht zärtlich seyn.

Sie erröthete – Ich glaubte es, flüsterte sie.

Ich nicht, sagte der Sohn des Iketas, indem er ihr mit einem Blicke, der ein Mittelding von Zärtlichkeit und Muthwillen war, in die Augen sah.

Sein Knie berührte von ungefähr das ihrige in diesem Augenblicke.

Er fühlte es zittern.

Willst du nicht fortfahren zu reden? sagte sie.

Ich muß vorher wissen, ob du zärtlich seyn kannst.

»Und wenn du es wüßtest?« –

So muß ich wissen, wie sehr du es seyn kannst.

Ihr Mantel hatte sich, indem sie ihn um ihre Kniee zusammen zog, oben ein wenig aufgethan. – Eine süße Verwirrung zitterte in ihren glänzenden Augen.

Der Sohn des Iketas war damahls fünf und zwanzig Jahre alt.

Seine Neugier hätte nun schweigen sollen. – Hatte sie nicht Ursache dazu?


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