Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

Ich weiß es mir selber Dank, daß ich mir die künftigen Einwohner meiner Republik nach meiner eigenen Idee habe machen lassen; – oder, richtiger zu reden, daß ich es der bloßen unverdorbenen Natur aufgetragen habe, sie zu machen wie sie es selbst für gut befände. Denn, die Wahrheit zu gestehen, ich würde in zwanzig Jahren nicht mit allen den Veränderungen fertig geworden seyn, die ich mit euern policierten Griechen und Asiaten hätte vornehmen müssen, bis sie nur einiger Maßen in meinen Staat getaugt hätten.

Ich wohnte neulich den Isthmischen Spielen bey. Welch eine unendliche Menge Volks, von Königen und Königinnen, bis zu – Sklavenmäklern und Citronenmädchen, übersah ich da mit Einem Blicke! Wie viele Gattungen und Arten, in fast unzählbaren Subdivisionen! – Staatsmänner, Archonten, Räthe, Redner, Advokaten; Heerführer, Oberste, Hauptleute bis zu den Helden, die des Tages für achtzehn Pfennige dienen; Priester, Poeten Geschichtschreiber, Filosofen, Mahler, Bildhauer, Musikanten, Baumeister, Meister in allen nothwendigen und entbehrlichen Künsten, Wechsler, Kaufleute, Seefahrer, Juwelenhändler, Spezereykrämer, Weinhändler, Köche, Pastetenbäcker; Komödianten, Mimen, Seiltänzer, Gaukler, Taschenspieler, Beutelschneider, Schmarotzer, Kuppler; – und unter allen diesen Kluge, Witzige, Dummköpfe, ehrliche Leute, Spitzbuben, Ehrgeitzige, Niederträchtige, Wucherer, Verschwender, Weichlinge, Narren und Gecken von so vielerley Arten, Gattungen, Geschlechtern, Figuren, Farben und Zuschnitt, daß Aristoteles in seinem ganzen Leben nicht fertig würde, wenn er sie klassifizieren wollte.

Was für ein mächtiger Gott ist der Zufall! dacht' ich bey mir selbst. Welcher Filosof getraute sich, aus so ungleichartigen Bestandtheilen ein erträgliches Ganzes zusammen zu setzen? – Und dieser Zufall hat alle unsre kleinen Reiche und Staaten daraus zusammen gestöbert; und doch sehr ihr, daß es nach Gestalt der Sachen noch so ziemlich erträglich darin zugeht.

Indessen gesteh' ich, der Fehler mag nun an meiner Republik oder an was anderm liegen, daß ich die wenigsten von allen diesen wackern Leuten zu gebrauchen wüßte.

Fürs erste müßte ich die ganze Klasse der Staatsleute abdanken; denn meine Republik muß von sich selbst gehen, wenn sie einmahl aufgezogen ist, oder ich wollte keine faule Mispel um sie geben.

Soldaten? – Meine Leute sollen glücklich seyn ohne es zu scheinen. Man soll es nicht der Mühe werth halten, sie anzufallen; und vor bloßen Räubern fürchten sie sich nicht. Es sind starke nervige Gesellen, welche die Keule so gut zu führen wissen als Ihr einen Luftfächer; sie sollen euch gewiß die Lust, ihre Weiber und Töchter zu entführen, beym ersten Versuche vergehen machen!

Baumeister? – Paläste, Tempel, Amfitheater werden wir nicht nöthig haben; und um uns von gutem Holze kleine saubere Häuschen zu bauen, wenn Jahrszeit und Witterung und die freye Luft verbieten, dazu brauchen wir keine Baumeister.

Wir werden uns mit dem begnügen lassen, was die Natur auf unsrer Insel wachsen läßt, und das werden wir alles für uns selbst brauchen. Wir haben also nichts zu handelnoder zu tauschen: eure Seefahrer oder Negocianten können nur weiter reisen; bey uns ist nichts zu thun.

Eure Wollen- und Seidenfabrikanten sollten wir auch entbehren können. – Ich werde dafür sorgen, daß in den Wäldern unsrer Insel der Bären, Wölfe, Lüchse und Füchse so viel seyn sollen, als meine Leute zu ihrer Winterkleidung vonnöthen haben; und für Sommerkleider will ich die ganze südliche Seite mit Wollenbäumen bedecken. Unsre Weiber und Mädchen sollen die Wolle selbst sammeln, spinnen, weben, auch färben wenn sie wollen, und sich artige, niedliche Gewänder daraus machen; denn sie sind so gern geputzt als die eurigen.

»Und warum Gewänder?« wird ein Gymnosofist fragen.

Erstlich, weil Luft und Sonne den Rosen und Lilien ihrer Haut schädlich seyn würden; und dann, weil ich nicht für gut finde, daß sich die Augen meiner Knaben und Jünglinge mit den Schönheiten ihrer Liebsten so gemein machen sollen, um sie vom ersten Anblick auswendig zu wissen.

Den ganzen Zug der üppigen Künste, die eurer Prachtliebe und Weichlichkeit dienen, weiß ich zu nichts zu gebrauchen. Ich denke sogar, daß wir euch eure Mahler und Bildhauer lassen werden. Ich thu' es ungern; aber die Furcht, daß es einem von ihnen etwann einfallen könnte, seinem Bildchen eine Kapelle zu bauen und sich selbst zum Priester davon zu weihen, überwiegt alle meine Liebe zu diesen Künsten. Im Grunde kann ich ihrer auch sehr wohl entbehren. Findet einer von meinen Jünglingen seine Geliebte so schön, daß er ihre Gestalt verewigt zu sehen wünscht: – so mag ihm Amor helfen, eine lebendige Kopey von ihr zu machen; sie wird allemahl schöner und dauerhafter seyn, als das schönste Bild, das ein Lysippus oder Apelles von ihr machen könnte.

Eure Köche, Pastetenbäcker, Näschereyenkrämer, Parfümierer, u.s.f. – weg damit! Die Natur soll meinen Leuten entweder selbst kochen, oder sie kochen lehren. – Ihr Naschwerk soll ihnen auf Bäumen und Stauden wachsen; – und meine Weibsleute sollen die reinlichsten, niedlichsten und wohlriechendsten Dinge von der Welt seyn, ohne was anders dazu nöthig zu haben, als frisches Brunnenwasser, einen Strauß am Busen, und Rosenblätter auf ihre Matratzen, oder auf den weichen Grasboden, wo ich euch, unter gewissen Bedingungen, erlauben werde sie im Schlaf zu überraschen.

Eure Sofisten, Geschichtschreiber, Dichter, u.s.w. – sie werden mir vergeben; aber ich weiß nichts mit ihnen anzufangen. Die Hälfte von ihrer Gelehrsamkeit wäre genug, meine Kolonisten unwiederbringlich um ihr Bißchen Mutterwitz zu bringen. – Zu Dichtern soll sie die Liebe oder die Freude machen. Aus euern Geschichtschreibern würden sie nur Laster kennen lernen, die sie nicht kennen sollen, oder Tugenden, die ihnen zu nichts nütze wären. Von Filosofie brauchen sie keine andre als die Filosofie des Diogenes, – und diese sollen sie von ihren Müttern und Ammen lernen! – Also, Gott befohlen, meine Herren.

Schauspieler, Mimen, Tänzer, und was unter diese Rubrik gehört; – es mögen in Republiken, wie die eurigen sind, ganz brauchbare Leute seyn! Sie machen das Volk seines Leides vergessen, und desto besser für die Regenten! Aber, bey uns taugten sie nichts. – Tanzen soll meine Jugend von der Fröhlichkeit lernen. Laßt ihnen noch was dazu auf einer ländlichen Pfeife aufspielen, um sie im Takt zu erhalten, so wette ich was ihr wollt, ihr werdet selbst kommen und ihnen ihre kunstlosen Tänze ablernen. Ihr werdet sie auf euern Tanzsählen nachmachen wollen: aber die herzliche Freude, welche die Seele davon ist, werdet ihr nicht nachahmen können; die muß man fühlen; und um sie in ihrer ganzen Lauterkeit zu fühlen, müßtet ihr Einwohner meiner Insel seyn. – Mimen würden sich in einem so einfältigen Volk als das meinige ist nicht verständlich machen können; und Schauspieler, was wollten sie uns aufführen? – Tragödien? – Warum sollte ich die schönen hellen Augen meiner jungen Weiber ohne Noth in erkünstelten Thränen baden? – Komödien? – Wir werden nicht mehr Narrheit unter uns haben, als so viel man schlechterdings braucht um weder gar zu dumm noch gar zu weise zu seyn; und das ist nicht Narrheit genug, um Fratzenbilder hervorzubringen, die ein Parterre wiehern machen. – Kurz, wir wollen schon Mittel finden uns die Zeit zu vertreiben; behaltet immerhin eure Zeitvertreiber für euch selbst! Und zu dem, womit wollten wir sie bezahlen?

»Aber, Ärzte muß man doch haben?« – Schlimm genug, wenn ihr sie haben müßt! – Ich ehre die Hippokraten; sie sollen willkommen seyn, wenn sie zu uns kommen wollen; aber zu thun werden sie wenig finden. – Die Luft auf unsrer Insel ist eine gesunde Luft; und bey der einfältigen Lebensart, die wir führen, bey der Mäßigkeit unsrer Tafel, bey der Heiterkeit unsers Gemüths, ohne Sorgen, ohne Kummer, ohne Ehrgeitz, ohne andre als wohlthätige Leidenschaften und ergetzende Fantasien, die uns in einem angenehmen Gefühl unsers Daseyns erhalten, wozu sollten wir Ärzte bedürfen? – Wir wollen euch zu uns bitten, meine Herren, so bald wir einer gar zu einförmigen Gesundheit überdrüssig sind.

Den ganzen übrigen Troß der Leute, welche von der Behendigkeit ihrer Hände, oder der Geschmeidigkeit ihrer Zunge, oder der Beweglichkeit ihrer Hüften, oder der Gefälligkeit gegen eure Leidenschaften, Absichten und Launen leben, – wollte Gott, daß ihr Mittel fändet eure Staaten von diesem Auskehricht zu reinigen! Es giebt allenfalls noch eine Menge unbewohnter Inseln, wohin ihr sie verpflanzen könnet. – Die unsrige ist schon besetzt.


 << zurück weiter >>