Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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13.

Ich bitte doch, Chärea, dich und alle deine Brüder, sagt mir nichts davon, daß ihr durch den Gebrauch, den ihr von euern Reichthümern macht, den Fleiß, die Künste, die Handlung unterhaltet, und den Umlauf der Zeichen des Reichthums befördert, worin, wie ihr sagt, das Leben des Staats bestehe.

»Tausende und Zehntausende, sagt ihr, leben dadurch, daß wir bauen, Gärten anlegen, ein großes Haus unterhalten, eine unendliche Menge entbehrlichster Dinge nöthig haben, u. s. w.«

Darüber ist kein Streit zwischen uns. Aber, wenn ihr euch ein Verdienst daraus machen wolltet, so könnten der Seidenwurm und die Purpurschnecke mit gleichem Rechte behaupten, die vortrefflichsten und wohlthätigsten Geschöpfe in der Welt zu seyn; denn wirklich leben etlichen Millionen Menschen von der Arbeit, die ihnen diese beiden Arten von Gewürme verschaffen.

Nichts ist billiger, als daß ihr eure Reichthümer, ihr möget sie nun geerbt, erworben, erschlichen, erkuppelt, geraubt, oder gefunden haben, zur Belohnung derjenigen anwendet, die für eure Trägheit, Eitelkeit und Üppigkeit arbeiten.

Aber, mein lieber Chärea, es giebt Leute, die nun gerade nichts beytragen können, deine Sinne oder deine Fantasie zu kitzeln, und die darum nicht minder Anspruch an deinen Überfluß haben. Der Unglücklichste, dem du mit einem kleinen Theil davon die Ruhe wieder geben kannst, die sein thränenbenetztes Lager flieht; – die unschuldige Schönheit, welche du von der Schmach, einem Parrhasius zum Modell seiner leichtfertigen TäfelchenParrhasius – pinxit et minoribus tabellis libidines, eo genere petulantis oci se reficiens. Plin. Hist. Nat. L. 35. zu dienen, und von einem noch schimpflichern Mißbrauch ihrer Reitzungen, mit der Hälfte dessen, was dir ein solches Täfelchen kostet, befreyen könntest; – der verlassene Waise, dem Dürftigkeit und Verachtung der Muth niederschlägt, und aus welchem deine Hülfe dem Staat einen guten Bürger, vielleicht einen großen Mann, einen Aristides, einen Sokrates, erziehen könnte; – haben diese alle kein Recht an deinen Überfluß?

Ihr Söhne des Glücks könnt sonst sehr fertig rechnen. Rechnet doch einmahl, wie viel tausend Geschöpfe eurer Gattung darben müssen, damit Einer von euch jährlich vierzig oder funfzig Talente verzehren könne! Solltet ihr nicht Gutes thun, wenn es auch nur wäre, um den Haß von euch abzuwälzen, den der Anblick eurer Wollüste und Verschwendungen dem größten Theil eurer Mitbürger einflößen muß, der mit der sauersten Arbeit seinen Kindern kaum so viel Brot erwerben kann, als ihr täglich euren Hunden zur Suppe reichen laßt? –


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