Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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6.

Glaubet mir, Klinias, Chärea, Demarchus, Sardanapalus, Midas, Krösus, und wie ihr alle heißet, – es ist nicht aus Neid – oder aus Verzweiflung daß ich euch niemahls werde gleichen können, oder aus Stolz, der sich durch Verachtung dessen, was er nicht haben kann, leichter zu machen sucht; – ich habe mich genau darüber geprüft – es geschieht aus einer innern Überzeugung, welche sich nichts von mir einreden läßt, daß ich meinen Freunden unmöglich rathen kann, sich um eine Glückseligkeit, wie die eurige, zu bewerben.

Eure Paläste sind geräumig, schön gebaut, mit den auserlesensten Werken der Kunst geschmückt, mit den wollüstigen Geräthschaften der Üppigkeit angefüllt; – eure Gärten gleichen den Gärten des Alcinous und der Hesperiden; – eure Sähle dem Sahl, wo Homers unsterbliche Götter sich in Nektar selig trinken; – eure Knaben sind schön wie Ganymed, eure Sklavinnen wie die Gespielinnen der Liebesgöttin; – euer Leben ist ein immer währendes Gastmahl, mit Musik, Tänzen und Spielen abgesetzt; – euch ist keine Schöne spröde, keine Danae unzugangbar; Riegel, Mauern, hütende Drachen, nichts hält euch auf; euer Gold überwindet alles.

Ein Sofist würde vielleicht viel gegen alle diese Vortheile einzuwenden haben – aber von mir habt ihr keine Schikane zu besorgen. Ich bin kein Verächter des Schönen, kein Feind des Vergnügens, wie mich die Sträußermädchen im Kraneon beschuldigen. Ich hasse schwache Gründe. »Die Wollust entnervt,« sagt Xenokrates: – die Tugend auch, sag' ich; denn sonst würde Fryne nicht so mißvergnügt von dir aufgestanden seyn. – War Alcibiades nicht tapfer? Konnt' er nicht, wenn es seyn mußte, eben so gut auf hartem Boden unter freyem Himmel schlafen, als im Schooße der schönen Nemea? Ließ er sich nicht die schwarze Suppe der Spartaner eben so gut schmecken als die niedlichen Gerichte des üppigen Tissafernes? – Keine Einwürfe, ich bitte euch, die nur von Einer Seite wahr sind, und die man mit tausend Beyspielen widerlegen kann! – Gestehen wir die reine Wahrheit! Guter Wein aus Cypern schmeckt, in so fern ihr nicht durstig seyd, besser als Brunnenwasser, die strengen Sittenlehrer mögen einwenden was sie wollen; und eure Tänzerinnen aus Ionien, oder eure Mädchen von Skio sind, mit allem dem, ganz artige Geschöpfe. Eure Gallerie mit den Gemählden der Zeuxis und Polygnotus, der Parrhasius und Apellen behangen, bezaubert ungelehrte Augen, und befriedigt den verweilenden Kenner. – Solltet ihr denn nicht glücklich seyn? Sollten wir nicht alle nach euerm Zustande streben? Der Genuß alles Schönen und Angenehmen sollte nicht glücklich machen?

Ich habe nur einen einzigen Zweifel, – es ist, däucht mich, mehr als ein Zweifel – aber ich besorge euch verdrießlich zu machen, wenn ich ihn sage. Er würde zu Erörterungen führen, und mein Zweck ist verfehlt, so bald ich euch lange Weile mache. – Ihr habt zu thun wie ich sehe? – Einen Besuch bey der schönen Filänion abzulegen, oder bey der jungen Gemahlin des Strepsiades? – Ich will euch nicht aufhalten; ich lege mich indessen in den Schatten hin, und träume was, bis ihr wiederkommt.


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