Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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4.

Sagte ich euch nicht vorhin, daß Diogenes, des Iketas Sohn von Sinope, – dessen Narrheiten ich übrigens nicht besser zu machen begehre als sie sind – nicht ganz so närrisch sey, als die Herren und Damen im Kraneon aus einigen Zügen seiner Denkungsart zu folgern belieben?

»Der Mensch affektiert ein Sonderling zu seyn,« sprechen sie: – und Sie, meine Herren und Frauen, affektieren ehrlich und tugendhaft zu seyn.

»Er hat seinen hölzernen Becher weggeworfen, da er einen Bettler sah, der aus der hohlen Hand trank.« – Dieser Zug ist, mir Ihrer Erlaubnis, ein wenig verzeichnet. Der Becher mußte weggeworfen werden, weil er ein Leck bekommen hatte; und da man nicht gleich einen andern fand, so sah man zu gutem Glück einen ehrliche Sohn der Erde, von dem man ohne Becher zu trinken lernte. Ein weiser Mann findet immer Gelegenheit etwas zu lernen; und ich versichre Ihnen, Madam, daß ich von Ihrem Schooßhündchen die ganze Filosofie des Aristipp gelernt habe.

Aber, gesetzt ich hätte den Becher weggeworfen, weil ich ihn entbehren konnte? – Kleon, der jetzt aus einem goldnen Becher trinkt, weil er den unschuldigen Nikias verurtheilen half, würde noch ein ehrlicher Mann seyn, wenn er aus der hohlen Hand trinken könnte wie ich.

»Diogenes ist ein Misogyn.« – Ha, ha, ha –

»Er nimmt sich heraus, allen Leuten zu sagen, was sie nicht gern hören.« – Ist es meine Schuld, wenn sie die Wahrheit nicht hören mögen?

»Er wohnt in einem Fasse.« – Es ist, wie Sie sehen, eine Tonne, und für einen Mann ohne Familie, der nichts zu thun hat, geräumig genug. Gesetzt nun, daß ich eine Probe hätte machen wollen, daß im Nothfall auch die engste Wohnung für einen ehrlichen Mann groß genug ist? – Ich weiß es, guter Xeniades, daß, wenn mich jemahls Alter oder Krankheit einer bequemern Wohnung bedürftig machen sollte, Diogenes unter deinem freundschaftlichen gastfreyen Dache sein Kämmerlein bereitet finden wird. Jetzt, da ich es noch nicht bedarf, sey, in diesen heitern Sommertagen, der grüne Wasen mein Faulbettchen, mit weichem Gras und Blumen gepolstert, und eine Cypresse breite gesunde Schatten um mich her! Da sauge ich den erfrischenden Athem der Natur ein; der umwölbende Himmel ist meine Decke; und indem ich so liege, und mein Blick seine endlosen Tiefen durchschweift, ist mein Gemüth offen, still und unbewölkt wie er.

»Aber, was für eine Grille, sagen sie, die Wände eurer Tonne zu einer Schreibtafel zu machen?« – Gut! Es soll eine Grille seyn: haben Sie etwa keine Grillen? Oder sind meine Grillen nicht eben so gut weil die die meinigen, als Ihre Grillen weil sie die Ihrigen sind?

Indessen sehen Sie hier diese Schreibtafel? Es ist eine hübsche Schreibtafel von Elfenbein, in vergoldetes Leder gebunden, deren ich mich, aus Mangel einer schlechtern, künftig vielleicht bedienen werde. So eigensinnig bin ich nicht, die Bequemlichkeit zu fliehen, wenn sie mich sucht, und ich ihr nichts bessers aufopfern muß. Der gute Xeniades, dem sie zugehört, glaubt, daß sie desto besser seyn werde, wenn ich sie ihm beschrieben zurück gebe. – Du sollst deinen Willen haben, guter Xeniades.


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