Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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27.

Ich gestehe dir, Xeniades, ich unterlag der Versuchung, mich an der großen dicken Frau zu rächen, die mich mit einem Satyr verglichen hatte.

Du kennst ja die Lysistrata, die Gemahlin des albernen Fokas? – Ich ging an einem dieser Tage, um die Zeit der Mittagsruhe, zu ihr. Die Hitze war sehr groß. Ich fand sie in einem kleinen Sahl ihres Gartens auf einem Faulbettchen liegen. Ein junger Sklave – ein Mittelding von Knabe und Jüngling, der einem Mahler die Idee zum schönsten Bacchus gegeben hätte – kniete mit einem großen Luftfächer neben ihr, und zog sich zurück wie ich hinein trat. Ich sagte ihr, daß ich gekommen wäre, um eine von meinen Freundinnen in eine bessere Meinung bey ihr zu setzen, als worin sie, unwissend warum, das Unglück hätte bey ihr zu stehen.

Sie schien nicht zu begreifen was ich wollte. Ich half ihrem Gedächtniß nach, und sagte ihr, die bemeldete Dame glaubte nicht ein so strenges Urtheil verdient zu haben, als neulich in einer gewissen Gesellschaft über sie ergangen wäre. In der That, setzte ich hinzu, wünschte ich zu wissen, wie Lysistrata in den nehmlichen Umständen sich anders hätte betragen wollen?

»Es ist meine Schuld nicht, daß die Gesetze des Wohlstands wo streng sind,« sagte sie –

Redest du von dem Wohlstande, der aus der innern Schönheit der Gesinnungen und Handlungen entspringt, oder von dem eingebildeten Wohlstande, der bloß von der Meinung der Leute abhängt?

»Ich verstehe mich nicht auf eure Distinktionen, erwiederte die Dame. – Jedermann weiß, was man unter Wohlstand versteht, und alle Leute stimmen, glaub' ich, überein, daß es gewisse Regeln giebt, von denen man sich nicht los zählen kann, ohne sich dem Urtheil der Welt auszusetzen.«

Du zielest vermuthlich auf den Umstand, daß ich ohne Mantel war, wie die Dame zum ersten Mahl die Augen aufschlug. Ich gestehe, es war nicht nach den Regeln; allein die Umstände müssen mich entschuldigen, und ich dachte in der That nichts böses.

»Die Rede ist nicht von dem, was du dachtest, sondern was du thatest,« sagte sie lächelnd.

Ich wollte für nichts stehen, schöne Lysistrata, wenn ich mich mit einer so reitzenden Frau, als ich jetzt vor mir sehe, in so seltsamen Umständen befände.

»Ich sehe nicht warum du mich ins Spiel ziehen willst,« versetzte sie erröthend, indem sie ihr Halstuch, welches ein wenig in Unordnung war, so nachlässig zurecht machte, daß das Übel merklich größer wurde als es gewesen war.

Aber im Ernst, schöne Lysistrata, würdest du fähig gewesen seyn, einem Menschen, der dir das Leben gerettet hätte, eine solche Kleinigkeit nicht zu vergeben? Im Grunde war es doch immer die nichtsbedeutendste Sache von der Welt.

»Nicht so sehr als du dir einbildest.«

Aber warum das? – Ich müßte mir einen kleinen Begriff von der Tugend eines Frauenzimmers machen, wenn ich glaubte, daß ein Zufall dieser Art, wobey weder auf der einen noch andern Seite die mindeste Absicht war, fähig seyn sollte sie aus ihrer Fassung zu setzen.

»Wer sagt auch das? – Ich wollte nicht, daß ihr euch für so gefährlich hieltet: aber was würde aus der Achtung, die man uns schuldig ist, werden, wenn wir so geneigt wären, wie deine Fremde, dergleichen Freyheiten, so wenig auch Absicht dabey seyn möchte, zu verzeihen?«

Vielleicht, schöne Lysistrata, sah sie ihren Retter für einen Satyr an, von dem sich kein so zartes Gefühl erwarten läßt?

Sie erröthete zum zweyten Mahle. – »Du bist boshaft, Diogenes,« sagte sie, indem sie sich etwas mehr auf meine Seite drehte, ohne Acht zu geben, daß diese Bewegung die Drapperie ihres linken Fußes in eine gewisse Unordnung brachte, welche ihrer ganzen Figur, so wie sie auf dem Ruhebette lag, zwar ein desto mahlerischeres Ansehen gab, aber doch Eindrücke machen konnte, welche sie, nach der Präsumzion die für eine tugendhafte Dame vorwaltet, vermuthlich nicht zu machen gesonnen war.

In der That, Lysistrata, sagte ich, einem Satyr ist vieles erlaubt, was man einem andern nicht vergeben würde. – Die Richtungslinie meiner Augen hätte sie aufmerksam machen sollen, wenn sie weniger zerstreut gewesen wäre. – Ich wollte dir, zum Beyspiel, nicht rathen, schöne Lysistrata, fuhr ich nach einer kleinen Pause fort, doch mit Vorsatz in die Stellung zu setzen worin ich dich wirklich sehe, wenn du dich in der mindesten Gefahr glaubtest von einem Satyr überrascht zu werden.

»Wer sollte sich einfallen lassen, sagte sie, indem sie sich mit einer angenommenen Verwirrung in sich selbst hinein schmiegte, daß die Filosofen für solche Kleinigkeiten Augen hätten! – Du trauest mir doch zu, daß ich nicht daran dachte, deiner Weisheit Zerstreuungen zu geben?«

Ich weiß nicht was du dachtest; aber ich weiß was ich zu thun hätte, wenn ich dich überreden könnte, mir die Vorrechte eines Satyrs zuzugestehen.

Die Dame sah mich mit einem kleinen Erstaunen, das nichts abschreckendes hatte, an. – Es war ein Blick, der in meinen Augen zu suchen schien, ob ich wirklich so viel fühle als ich sagte.

Da alles seine Grenzen hat, fuhr ich mit einem großen Seufzer fort, sollte nicht auch die Tugend die ihrigen haben? – Ich fühl' es zu sehr, schöne Lysistrata, als daß ich nicht wünschen sollte, dich davon überzeugen zu können.

Ich gab in diesem Augenblick nicht mehr auf meinen Mantel Acht, als die Dame vor einigen Augenblicken auf ihre Tunika. – Sie hatte ihre Augen halb geschlossen, und ihr mit Gewalt aus seinen Fesseln drängender Busen hätte mich selbst beynahe aus meiner Fassung gesetzt.

O reitzende Lysistrata, rief ich, indem ich mich ihr mit einer Bewegung näherte, als ob ich mir kaum verwehren könne sie zu umarmen, – warum kann ich dir nicht eine gelindere Denkungsart einflößen! Die strenge Tugend, von der du zu öffentlich Profession machst, – ich verehre sie, – sie zwingt mich dazu! – aber wie würd' ich dich lieben, wenn du fähig wärest, der armen Fremden den kleinen Fehler zu vergeben, der dir so anstößig gewesen ist! Wie bald könntest du das, wenn du nur selbst fähiger wärest, eine Schwachheit zu begehen!

»Ich verstehe dich in der That nicht, sagte sie; aber – du würdest mir einen Gefallen thun, wenn du mich allein lassen wolltest.«

Kannst du im Ernst einen so grausamen Gedanken haben? sagte ich in einem tragischen Ton, indem ich eine ihrer Hände ergriff und mich vorwärts an den Rand ihres Ruhebettes setzte. –

Sie zog ihre Hand so unvorsichtig zurück, daß die meinige, indem sie der ihrigen folgte, auf einen Theil des besagten Busens zu liegen kam.

»Ich will nicht mit mir spielen lassen,« sagte sie.

Das ist es eben, was mich zur Verzweiflung treibt, rief ich: ich möchte unsinnig werden, daß ich mich selbst in eine solche Gefahr wagte, da ich doch so viele Ursache hatte, mir von deiner Tugend die fürchterlichsten Begriffe zu machen!

Sie schwoll vor Wuth auf, ohne zu wissen, wie sie mit Anständigkeit ausbrechen könne.

Du siehst, allzu reitzende Lysistrata, wie viel mir noch fehlt, um so sehr Satyr zu seyn als ich aussehe. Aber gestehe mir, würdest du nicht selbst so gut betrogen worden seyn als meine Fremde? –

Sie brach vor Zorn in Thränen aus.

Ich fühlte, daß ich schwach zu werden anfing, und stand auf.

In diesem Augenblick trat der Sklave herein, um der Dame etwas ins Ohr zu raunen. – So leise ich höre, so vernahm ich doch nichts als den Nahmen Diofant, – des Priesters, der nicht begreifen konnte, warum eine schöne Frau liebenswürdiger seyn sollte als ihre Amme. Der Knabe eilte mit einem Befehl wieder fort, von dem ich nichts verstehen konnte. Ich hatte keinen andern Wink vonnöthen. Ich hoffe, Lysistrata, sagte ich, daß ich dich mit der Gewißheit verlassen darf, dir eine bessere Meinung von mir und der schönen Fremden beygebracht zu haben. Der ehrwürdige Diofant kommt so gelegen, die Gemüthsverfassung, worin ich dich verlasse, zu bearbeiten, daß es unbillig wäre, ihn nur einen Augenblick aufzuhalten. Lebe wohl, schöne Unerbittliche! – Und damit ging ich fort, ohne eines Blicks oder einer Antwort gewürdiget zu werden.

Ich begreife nicht, sagte Xeniades, wie du so viel Gewalt über dich haben konntest, eine Rache zu nehmen, die dir wenigstens so beschwerlich seyn mußte, als der Dame selbst.

Du kannst nicht glauben, Xeniades, wie herzlich ich diese Gleißnerinnen hasse! – so sehr, als ich Unschuld und wahre Tugend ehre. Die Begierde, sie die ganze Verachtung, die sie verdiente, fühlen zu lassen, machte mich zu allem fähig, ungeachtet ich dir gestehe, daß eine Art von Gutherzigkeit mir, da ich sie so schrecklich leiden sah, beynahe einen Streich gespielt hätte, den ich mir in meinem Leben nicht vergeben haben würde.


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