Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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24.

Es war nichts – als eine kleine Barke, die an einer Klippe nah am Ufer umschlug. Ich ward unter den Schwimmenden einer Person gewahr, welche nicht Kräfte genug zu haben schien das Ufer zu erreichen. In einem Augenblicke lag mein Mantel im Sande; ich sprang ins Wasser – Anständigkeit oder nicht! – Es kam jetzt darauf an das Leben einer menschlichen Kreatur zu retten.

»Es war also eine Weibsperson?«

Ich kann nichts dazu, daß es so war; indessen – glaubt mirs oder nicht – dacht' ich in diesem Augenblick nicht mehr daran, als an den Mann im Monde. – Ich lud sie auf meinen Rücken, und arbeitete mich mit ihr ans Ufer.

Sie in den Sand hinzulegen und davon zu gehen, wäre unartig gewesen; man muß nichts Gutes halb thun. Ich trug sie also bis zum nächsten Grasplatze, der mit einigen Gebüschen bewachsen war.

Ihr könnt euch vorstellen, daß ich während allem dem Gelegenheit hatte, die Entdeckung zu machen, daß die Frau eine schöne Frau war. Interessiert sie euch nun weniger seitdem ihr das wißt? – Es ging mir wie euch.

Inzwischen war ich noch immer ohne Mantel. Die schöne Frau, und die Sorge sie wieder zurecht zu bringen, beschäftigte meine Aufmerksamkeit so sehr, daß ich nicht auf mich selbst Acht geben konnte – bis sie die Augen zu öffnen anfing.

Ich wollte wetten, daß sie nicht viel gesehen haben konnte, so schnell schloß sie die Augen wieder zu. Die Verwirrung, womit sie es that, machte mich stutzen; und jetzt ward ich erst gewahr, daß ich ohne Mantel war.

Ich erzähle euch die Sache mit allen ihren Umständen wie sie war, ohne das geringste zu verschönern. – Ruhe indessen hier an der Sonne, und trockne doch so gut du kannst, sagte ich; ich gehe einen Augenblick meinen Mantel zu hohlen; denn ich will und muß deine Augen sehen, und hören wozu ich dir noch weiter gut seyn kann.

Ich lief fort. In zehn Minuten hatte ich meinen Mantel wieder. Ich kam zurück. Sie hatte indessen ihr Oberkleid ausgewunden und gegen die Sonne ausgebreitet, und war im Begriffe, sich hinter dem Gesträuche auf der übrigen zu entladen. Ein großer Busch hinderte sie mich gewahr zu werden, ungeachtet sie immer schüchtern um sich sah.

Ich blieb stehen, und – sah ihr zu. Ich sage euch weiter nichts davon, als – daß ich unter hundert jungen Menschen neun und neunzig und einem hätte rathen wollen, anders wohin zu sehen, oder lieber gar wegzugehen. Aber ein Mann von funfzig Jahren, der seit mehr als zwanzig von Salat, Bohnen und Wasser lebt, darf eine jede schöne Statue ansehen, sie mag nun aus den Händen eines Alkamenes oder der Natur selbst gekommen seyn.

Endlich war das Oberkleid trocken. Sie wickelte sich darein ein, setzte sich an die Sonne, die sich schon zum Untergang neigte, und schien sich umzusehen wo ich bliebe.

Ich kam zum Vorschein. Sie erröthete, schlug die Augen nieder, und sah wie eine Person aus, die in Verlegenheit ist. Ich komme wieder, schöne Fremde, sagte ich, (hier klärte sich ihr Gesicht ein wenig auf, aber die Röthe nahm zu) um zu vernehmen, worin ich dir weiter dienen kann.

Sie schwieg eine Weile. Wolltest du mir, sagte sie endlich, den Gefallen thun, und sehen was aus einer alten Frau geworden ist, die bey mir in der Barke war? Sie war meine Amme; ich hoffe sie ist gerettet.

Ich flog nach dem Ufer. – Alles war gerettet; nur von der alten Amme konnte niemand Nachricht geben. Die schöne Frau weinte, da ich ihr diesen Bericht brachte; sie lief selbst ans Ufer, bat die Schiffer ihre Amme aufzusuchen, versprach Belohnungen, und – weinte vielleicht noch, wenn nicht eine Kiste, die nicht weit von ihr im Sande lag, ihrer Aufmerksamkeit eine andre Richtung gegeben hätte. Sie gehörte ihr zu, und war mit Kleidern und tausend Sachen, die zur Rüstung einer schönen Frau gehören, bepackt. Zum Glücke war alles unbeschädigt. Ein Strahl von Freude entwölkte plötzlich ihr ganzes Gesicht; – es war ein sehr liebliches Gesicht, das versichr' ich euch. Aber die Amme fand sich nirgends und die Sonne ging unter.

Die schöne Frau, ziemlich getröstet daß sie wenigstens ihre Kiste gefunden hatte, sagte mir den Nahmen einer Freundin, zu der ich sie führen sollte. Ein Schiffer, mit ihrer Kiste beladen, zeigte uns den Weg. Wir langten an; die schöne Frau dankte mir, und ich – wünschte ihr eine gute Nacht. – Zum ersten Mahle schien sie mich mit Aufmerksamkeit und einem gewissen Erstaunen zu betrachten. Ruhe wohl, schöne Fremde, sagte ich und ging fort.


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