Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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36.

Ich dachte an nichts weniger, als ich gestern Nachts auf meinem Ulyssischen Ruhebette lag, als Besuch von einem Könige zu bekommen: auf einmahl öffnete sich das hölzerne Schloß an meiner Hütte, und Alexander, mit einer kleinen Laterne in der Hand, trat ganz allein in meine Zelle.

Ich stand auf und hieß ihn willkommen. Du bist ein sonderbarer Mensch, sagte er zu mir: ich suche dich, so wenig ich Ursache habe mit dir zufrieden zu seyn; denn du hättest mich beynahe zu einem närrischen Wunsche gebracht –

Darf ich fragen zu welchem?

»Kein König zu seyn, damit ich Diogenes seyn, und Könige so demüthigen könnte wie du.«

Vergieb mir, Alexander, das war meine Absicht nicht! Ich lag in der Sonne wie du kamst; sie beschien mich so gut, daß es mir verdrießlich war, mir ein Vergnügen nehmen zu lassen, das in den Augen eines Königs so unbedeutend ist. Du hattest nichts bey mir zu thun, und ich hatte nichts von dir zu begehren. Ich hätte mich eine halbe Stunde besinnen können, ohne daß mir was andres eingefallen wäre, als daß du mir aus der Sonne gehen möchtest.

»Gut! wenn du der sonderbarste Filosof bist, den ich noch gesehen habe, so bin ich vielleicht der sonderbarste König, den du gesehen hast. Du gefällst mir; ich wollte, daß ich dich bereden könnte, mit mir auf Abenteuer zu gehen. Ich brauche einen ehrlichen Kerl, der mir die Wahrheit sagt, – und ich denke du wärest mein Mann!«

Ein jeder Mensch muß seine Rolle spielen, König Alexander. Ich wäre nicht mehr Diogenes, wenn ich mit dir ginge. Aber wenn du es verlangst, kann ich dir so viel Wahrheit mit auf die Reise geben als du brauchst, und wenn du Herr vom ganzen Erdboden würdest.

»Unter uns gesagt, ich gehe mit nichts geringerm um; ich habe Ideen, die ich mir nicht aus dem Kopf bringen kann. Macedonien ist nichts; Griechenland – ist etliche Hufen mehr; – Klein-Asien, Armenien, Syrien, Medien, Indien, – das wäre wohl etwas! Aber wenn wir das haben, nehmen wir eben so wohl das übrige noch dazu. – Kurz, ich sehe den Erdboden für ein Ding an, das aus Einem Stücke gemacht ist; die Menschen darauf haben alle zusammen nicht mehr als Einen Anführer nöthig, und – ich fühle, daß ich gemacht bin dieser Anführer zu seyn.«

Ich wollte nicht dafür stehen, daß dir, wenn du damit fertig bist, der Einfall nicht kommen sollte, auf eine Brücke in den Mond und in die übrigen Planeten zu denken, um das ganze Sonnensystem zu erobern, welches auch aus einem Stücke gemacht zu seyn scheint, und wozu du, nach deiner Denkungsart, ein Recht haben wirst, so bald du Meister von diesem Erdenrund bist.

»Ich werde nie Schimären verlangen, Diogenes: mein Projekt ist groß; aber auch so schön, so leicht auszuführen, daß mich nur wundert, wie ich der erste bin dem es eingefallen ist.«

Du wirst über mich lachen, Alexander; aber ich versichre dich, ich würde gerade so gedacht haben, wenn ich, in deinem Alter und mit so günstigen Umständen, ein König gewesen wäre. Du hast die Herzen der Griechen in deiner Hand, und mit dreyßig tausend Griechen muß ein junger Mann, wie du, mit der ganzen Welt fertig werden können. Aber, wenn du sie nun hast, was willst du mit ihr anfangen?

»Welche Frage für einen Filosofen! Was ich mit Macedonien oder Epirus anfinge, wenn ich sonst nichts hätte. Es ist alles schon in meinem Kopfe angeordnet. Die noch unpolicierten Völker werd' ich in neu angelegte Städte ziehen, und mit den besten Gesetzen versehen, die ich für sie nöthig finde; an allen großen Flüssen, an allen Seeküsten, will ich neue Kolonien und Handelsplätze anlegen; alle Provinzen des festen Landes durch brauchbare Straßen vereinigen; dem ganzen Erdboden einerley Sprache, und mit unsrer schönen Sprache unsre Wissenschaften und Künste geben; und, damit ich alles übersehen und die Maschine in Gang halten kann, ungefähr in dem Herzen meiner Eroberungen eine große Stadt anlegen, welche der Vereinigungspunkt aller Nazionen und ihrer verschiedenen Verhältnisse und Vortheile, die Seele aller ihrer Bewegungen, der Inbegriff aller Schätze der Natur und Kunst, der Sitz der Amfiktyonen des menschlichen Geschlechts, die allgemeine Akademie seiner auserlesensten Geister, kurz die Hauptstadt der Welt und meine Residenz seyn soll.«

Und wie lange, König Alexander, denkst du daß dieses große Werk dauern werde?

»So lang' ein Alexander seyn wird, es zu regieren. – Das sieht einer Prahlerey gleich, Freund Diogenes; aber ich traue dir zu, daß du es für das hältst was es ist. Gesetzt die Unbeständigkeit der menschlichen Dinge, oder vielmehr die schwindlige Beschaffenheit der menschlichen Köpfe, welche in kurzem der Glückseligkeit selbst überdrüssig werden, lasse meine Stiftung von keiner langen Dauer seyn: so wird doch der Nutzen, den ich dem menschlichen Geschlecht dadurch verschaffe, sich über viele Jahrhunderte erstrecken, und ich werde doch immer das Vergnügen haben, dem vorüber gehenden Traum meines Daseyns durch die größte Unternehmung, die jemahls in die Seele eines Sterblichen gekommen ist, eine Art von Unsterblichkeit gegeben zu haben.«

Aber die Schwierigkeit der Ausführung?

»Schwierigkeiten? Dafür laß du mich sorgen! Gieb mir nur zehn Jahre, und dann komm und sieh!«

Aber die Köpfe die es kosten wird, bis du so viele hundert Nazionen gelehrig genug gemacht haben wirst, sich von dem deinigen regieren zu lassen?

»Köpfe mag es kosten! – Es ist mir leid, denn ich bin kein Freund von Würgen und Zerstören. Aber daß ich um dieser Köpfe willen, die doch ohnehin später oder früher der Natur ihre Schuld zahlen müßten, meinen Plan fahren lasse, das sollen mich alle Köpfe der Welt nicht überreden! Setz' ich nicht meinen eigenen aufs Spiel? – Zu dem sind die Weiber in Hyrkanien und Baktrianeso fruchtbar, daß der Abgang unmerklich seyn wird.«

O Alexander! (rief ich) du bist nur zwanzig Jahre alt! Andre deines gleichen verzehren ihre unrühmliche Jugend in Wollüsten und Müßiggang, zufrieden beym Trinkfeste die ersten zu seyn, und Anschläge auf die Tugend unsrer Weiber zu machen; und Du hast in diesem Alter den Entwurf von einem allgemeinen Reiche gemacht, und gehst hin ihn auszuführen! – Ich sehe dich von der hohen Schönheit deiner Idee begeistert; du bist dazu gemacht, ins Werk zu setzen, was kleinere Seelen für eine Schimäre halten würden. Ich würde dir und mir selbst lächerlich vorkommen, wenn ich dich von deinem Vorhaben abzuziehen suchen wollte. Gesetzt auch, ich hätte einige erhebliche Einwendungen zu machen, so würd' es gerade so viel seyn, als wenn ich einem Verliebten durch eine Kette von Schlußreden beweisen wollte, daß er besser thäte nicht verliebt zu seyn. – Geister, wie der deinige ist, erweckt der Himmel, so oft er dem Erdboden eine neue Gestalt geben will. Die Regeln, wonach wir andre uns zu betragen haben, sind keine Gesetze für Alexandern. – Ich würde dir vielleicht in meinem Herzen fluchen, wenn ich ein Athener, oder Spartaner, oder Kappadocier, oder Mede, oder Ägypter wäre. Aber ich bin ein Weltbürger. Kein andres Interesse, als das Beste des menschlichen Geschlechts im Ganzen betrachtet, ist in meinen Augen groß genug, um zu verdienen, daß es in Betrachtung gezogen werde. Geh, Alexander, und führe den großen Gedanken aus, der deine Seele schwellt! – Nur vergiß mitten im Laufe deiner glänzenden Unternehmungen nie, daß wir andern Erdensöhne so empfindlich für Schmerz und Vergnügen sind wie du selbst, und daß du mit allen deinen Vorzügen so hinfällig bist wie wir. Es braucht nichts mehr als einen elenden Pfeil vom Bogen eines nichtswürdigen Sogdianers, oder etliche Tropfen Gift von einem treulosen Meden in deinen Becher gemischt, um alle Entwürfe deiner großen Seele in Träume zu verwandeln. Du läufst eine gefährliche Bahn. Der Mensch kann alles eher ertragen als unumschränkte Gewalt. Der Augenblick, wo du der Versuchung unterliegen wirst, dich von deinen Schmeichlern bereden zu lassen, daß du mehr als ein Mensch seyest, wird das Ziel deines Ruhms und der Untergang deiner Tugend seyn. Dann wirst du deine schönen Thaten durch Laster beflecken, welche deine Menschheit nur zu sehr beweisen werden. Grausamkeit und zügellose Leidenschaften werden deine Regierung verhaßt machen, dein Leben abkürzen, und dein Reich einem dieser seltnen und weit glänzenden Meteore gleich machen, welche die Welt einen Augenblick in Erstaunen setzen, aber wieder verschwunden sind, indem noch alle Augen auf ihre Betrachtung starren.

Alexander saß mit gesenktem Haupte da, und schien in Gedanken vertieft zu seyn, während ich das alles sagte. Ich vermuthe, daß er über meinen Sittenlehren ein wenig eingeschlummert war. Aber bald nachdem ich aufgehört hatte, erwacht' er wieder, stand auf, und sagte mir, daß er mit Anbruch des Tages von Korinth abgehen würde. »Im Ernste, Diogenes, setzte er hinzu, kann ich dir zu nichts nütze seyn? – Die Korinthier kennen, wie ich sehe, deinen Werth nicht.«

Ich bin zufrieden, wenn sie mir nichts Übels thun. Seelen von deiner Art sind zum Wohlthun gemacht. Ach Alexander! es sind in diesem Augenblicke so viele Tausende, die in Elend und Unterdrückung schmachten! Könntest du machen, daß diese Unglücklichen den Tag deiner Geburt segneten, so hättest du mir alles Gute gethan, das mir der größte der Könige zu thun vermag.

»Du bist ein glücklicher Mann, Diogenes! Ich kann nicht unwillig darüber werden, daß du vielleicht der einzige Mensch in der Welt bist, der meine Freundschaft abweist.«

Alexander, sagt' ich ihm, ich ehre dich, wie ich niemahls einen Sterblichen geehrt habe. Aber ich kann dir nicht sagen, was ich nicht denke. Ein König kann kein Freund seyn, und kann keine Freunde haben.

»Verwünscht seyst du mit deiner Aufrichtigkeit, Diogenes! Ich will nichts mehr davon! Du würdest machen, daß ich mich in deine Tonne wünschte, und die Welt hat genug an Einem Diogenes.«

Das weiß ich eben nicht; aber das ist gewiß, daß sie unter zwey Alexandern in Trümmern gehen würde.

»Du sagst die Wahrheit, alter Mann! – Lebe wohl.«


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