Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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1.

Wie ich auf den Einfall komme, meine Begebenheiten, meine Beobachtungen, meine Empfindungen, meine Meinungen, meine Träumereyen, – meine Thorheiten, – eure Thorheiten, und – die Weisheit, die ich vielleicht aus beiden gelernt habe, zu Papier zu bringen, das – sollte gleich das erste seyn, was ich euch sagen wollte, wenn ich nur erst Papier hätte, worauf ich schreiben könnte. – Doch Papier könnten wir leicht entbehren, wenn wir nur Wachstafeln oder Baumrinden, oder Häute, oder Palmblätter hätten! – und in Ermanglung deren möcht' es weißes Blech, Marmor, Elfenbein, oder gar Backsteine thun; denn auf alle diese Dinge pflegte man ehmahls zu schreiben, als es noch mehr darum zu thun war dauerhaft als viel zu schreiben. – Aber unglücklicher Weise hab' ich von allen diesen Schreibmaterialien nichts; und wenn ich sie auch hätte, so würd' ich sie nicht gebrauchen können, weil ich weder Feder noch Griffel, noch irgend ein andres Werkzeug dazu habe, als dieses Stückchen Kreide.

Es ist ein schlimmer Handel! – Aber wie macht' ichs, wenn gar nichts von allen diesen Dingen in der Welt wäre?

Nicht schreiben wäre wohl das kürzeste Mittel; aber schreiben will ich nun, das ist beschlossen!

In den Sand schreiben? – Es ginge an; ich kenne zwey bis drey hundert junge und alte Schriftsteller, (nichts von einigen Tausenden zusagen, die ich nicht kenne) denen ich, weil sie doch nun einmahl schreiben wollen – oder schreiben müssen, – diese Methode bestens empfohlen haben wollte. Allein sie hat bey allem dem ihre Unbequemlichkeiten. –

Dummkopf! daß ich mich nur einen Augenblick besinne, eh' ich sehe, daß meine Tonne geräumig genug ist, eine ganze Iliade zu fassen, in so fern ich klein genug schreiben könnte. An meine Tonne will ich schreiben! – Ihre Seitenwände sind ohnehin so nackt, ohne Schnitzwerk, ohne Vergoldung, ohne Tapeten, ohne Mahlereyen; – in der That gar zu kahl. – Bin ich nicht so gut als der Wurm, aus dessen gesponnenem Schleime man diese Gewebe macht, womit unsre neuen Argonauten ihre Sähle behängen?Wir können es keinem Kenner der Griechischen Sitten und Gebräuche in den Zeiten des Diogenes verdenken, wenn er an der Ächtheit dieser Stelle zweifelt. Freylich ist es nicht die einzige in diesem Werke, die zu einem solchen Zweifel Anlaß giebt – Aber desto schlimmer! werden die Kenner sagen. – Der Wurm spinnt sich sein Haus selbst; ich beneide ihn darum; das ist mehr als ich kann. Aber ich kann doch mein Haus mit meinen eignen Hirngespinsten tapezieren, und das will ich, wenigstens so lange dieses Stückchen Kreide dauert.

In der That, es sollte mich verdrießen, wenn unter allen zweybeinigen Thieren ohne Federn auf diesem Erden rund, oder Erden ey, oder Erden teller – was es ist, mögen die Herren ausmachen, die sonst nichts zu thun haben, und nicht müßig seyn können – ein einziges wäre, das weniger Bedürfnisse hätte als ich.

Es ist eine vortreffliche Sache, keine Bedürfnisse zu haben; oder, wenn man nun einmahl nicht umhin kann einige zu haben, doch wenigstens nicht mehr zu haben, als man schlechterdings haben muß, und sich so wenig damit zu thun zu machen, als nur immer möglich ist. Anfangs, in so fern ihr nicht dazu geboren seyd, kostets einige Mühe. – Aber wie viel Mühe macht sich der Thor, der sich in den Kopf gesetzt hat reich zu sterben? Wie viel Mühe giebt sich der Thor Fädrias, sein Mädchen erst zu gewinnen, hernach zu befriedigen, dann zu hüten? Wie viel kostets einem andern Thoren, um aus einem Gerber oder Gewürzhändler ein Vater des Vaterlandes zu werden? Oder einem andern, sich in die Gunst eines Satrapen einzuschmeicheln? – Die doppelten Narren! Mit der Hälfte der Mühe, die sie anwenden, sich tausend wirkliche und eingebildete Plagen zu den natürlichen, denen sie ohnehin nicht entgehen können, zu erkaufen, könnten sie sich auf ihr ganzes Leben in den Besitz einer Glückseligkeit setzen, die so nahe als möglich an die göttliche reicht.

Denn daß die seligen Götter es darum seyen, weil sie nichts zu thun haben als sich ewig mit Ambrosia zu füllen, ewig in Nektar zu berauschen, und den Weihrauch in die Nase zu ziehen, den wir ihnen zu Ehren verbrennen, – das glauben ihre Priester – wie ich. Sie sind selig, weil sie nichts bedürfen, nichts fürchten, nichts hoffen, nichts wünschen, alles in sich selbst finden;- und so bin ichs auch, so viel es ein armer Schelm von einem Erdensohne seyn kann, der Brot oder Wurzeln haben muß, um zu leben, einen Mantel, um nicht zu frieren, eine Hütte oder wenigstens ein Faß, um sich ins Trockne legen zu können, und – ein Weibchen seiner Gattung, wenn er Menschen pflanzen will.

Bey allem dem bin ich zufrieden, es so weit gebracht zu haben, daß ich gegen Hunger und Durst nur Wurzeln, gegen die Blöße nur einen Mantel von Sackleinewand, gegen Wind und Wetter nur mein Faß nöthig habe.

Was den vierten Artikel betrifft, davon hören eure ernsthaften Leute nicht gern sprechen, und ein weiser Mann denkt so wenig daran als er kann; – und muß er daran denken, nun, so hat unsere gute Mutter Natur auch dafür Rath geschafft; wie ich euch mit einem hübschen Beyspielchen beweisen könnte, wenn ich nicht besorgte, ihr möchtet – eifersüchtig werden.


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