Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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34.

Was ich von den Leuten halte, die in spekulativen Dingen immer entscheiden, nie zweifeln, nie gestehen wollen, daß sie von gewissen Dingen nicht mehr wissen als wir andern? – Von den Leuten, welche euch ganze Wochen lang von Wesen und Naturen, von Atomen und Homöomerien, vom Vollen und Leeren, von Geist und Materie, von Ursachen und Zwecken unterhalten, und euch die unbekannten Länder, ihre Lage, Größe, Länge, Breite, Luftbeschaffenheit, Wärme und Kälte, ihre Produkte, Pflanzen, Thiere, Einwohner, und deren Lebensart, Polizey, ehmalige und künftige Begebenheiten u. s. w. so genau und zuversichtlich beschreiben, als ob sie eben jetzt mit Gelegenheit eines Kometen, oder der Himmel weiß welches andern wunderbaren Fuhrwerks, von dannen angelangt wären? – Was ich von ihnen halte?

Ich hörte einst einen solchen viel wissenden Schwätzer in der bunten Halle zu Athen zwey volle Stunden von den Geheimnissen der Pythagorischen Zahlen sprechen. Wir liehen ihm unsre Ohren mit großer Geduld, und begriffen nichts von dem was er uns offenbarte; dem ungeachtet fand der Pythagoräer großen Beyfall. Er versprach, den folgenden Tag von den sieben Sfären, und von der achten Sfäre, und von den erstaunlichen Dingen, die über der achten Sfäre sind, eben so lang' und eben so gelehrt zu sprechen. Ich lachte über meine eigne Narrheit, und ließ mich dennoch von der kindischen Neugier, was der Mann über solche Dinge werde sagen können, noch um zwey Stunden und zehn Drachmen betrügen. – Das sollen aber auch die letzten Drachmen seyn, sagte ich wie er fertig war, die ich um Nachrichten von den Dingen überm Monde ausgebe, und wenn ich älter werden sollte als Tithon!

Nach etlichen Tagen ließ ich in ganz Athen ansagen, daß ein Chaldäischer Weiser neu angekommen sey, welcher sich im Keramikus zu einer gesetzten Zeit öffentlich werde hören lassen.

Es versammelte sich eine erstaunliche Menge Volks. Ich hatte mich, so gut ich immer konnte, in einen Chaldäer vermummt; ein langer weißer Bart, und ein Mantel, mit allen Thieren des Sternhimmels bemahlt, that eine vortreffliche Wirkung. Man lechzte vor Erwartung unerhörter Dinge bey meinem Anblick. Alles wurde still, wie ich mich zu räuspern anfing. Ich fing also an, und sprach –

Ich gebe euch zehen Tage, oder zehen Olympiaden, wenn ihr wollt, zu errathen wovon ich sprach; – ihr werdet eher auf alles andre rathen –

Vom Mann im Monde sprach ich.

Ich unterließ nicht, meine Zuhörer in dem Eingang meiner Rede mit einem so emfatischen Schwunge zu dem, was ich ihnen sagen würde, vorzubereiten, daß sie kaum erwarten konnten, bis ich wirklich zur Sache schritt. Aber ich muß jetzt noch lachen, wenn ich mir den Ausdruck von Erstaunen, Überraschung, Ungeduld, und zwanzig andern Leidenschaften wieder vorstelle, der mir in der possierlichsten Vermischung aus unzähligen verzerrten Gesichtern entgegen kam, wie ich ankündigte, daß ich sie vom Mann im Monde unterhalten würde.

Einer sah den andern an, und murmelte – vom Mann im Monde! – Alle ohne Ausnahme sahen wie Leute aus, die sich gewaltig in ihrer Erwartung betrogen fänden. – Vom Mann im Monde!

Ja, vom Mann im Monde, rief ich, ohne mich aus der Fassung setzen zu lassen; von der wunderbarsten, wichtigsten, und geheimnißvollsten Materie, wovon jemahls ein Sterblicher zu Sterblichen gesprochen hat; vom Mann im Monde!

Der alte Knabe ist ein Narr, rief einer ziemlich laut, oder er hält uns für Narren. – Es könnte wohl beides seyn, dacht' ich.

Der dritte Theil der Versammelten machte Miene davon gehen zu wollen.

Seyd ihr klug? rief ihnen ein alter hohlaugiger Schuhflicker zu, der selbst so aussah, als ob er aus irgend einem Planeten ausgewandert wäre; konntet ihr von einem Weisen aus Chaldäa weniger erwarten? Sagte er nicht, daß er von unerhörten Dingen reden würde? Man muß ihn erst anhören eh' man urtheilen kann. Ich habe mehr Leute seiner Art gesehen; es stecken Dinge hinter ihm, die man ihm nicht an der Nase ansieht; und gerade, weil die Materie, wovon er sprechen will, närrisch scheint, wollt' ich um meinen Kopf wetten, daß ein Geheimniß unter der Decke liegt. Wer weiß – Kurz, ich will den Mann im Mond kennen lernen – ein andrer kann auch thun was er will.

Was der Schuhflicker gesagt hatte, war, dem Ansehen nach, gerade was der größte Theil der Versammlung dachte. Nachdem also der Lärm eine Weile gedauert hatte, kam am Ende heraus, daß jedermann da blieb, und wenigstens hören wollte, was man wohl vom Mann im Monde werde sagen können?

Ich fuhr fort, so viel ich mich erinnern kann, ungefähr wie folget:

»Nach dem was ich euch angekündiget habe, meine Herren von Athen, scheint nichts billiger von mir erwartet werden zu können, als daß ich euch vor allen Dingen eine solche Erklärung von dem, was unter dem Mann im Monde zu verstehen sey, gebe, vermittelst deren ein jeder, so oft die wellenförmige Bewegung der Töne, woraus dieser Nahme besteht, sein Trommelfell erschüttert, denjenigen bestimmten Begriff damit verbinden könne, der keinem andern Mann in der Welt zukommt, als dem Mann im Monde.

»Dem ersten Anschein nach eine sehr billige Forderung; aber in der That, meine Herren, eine Forderung, welche so schwer zu befriedigen ist, daß ihr mir eben so leicht zumuthen könntet, den Ocean in einen Becher zu schöpfen, und – wofern es Wein von Thasos wäre – ihn auf eure Gesundheit auszutrinken.

»Es giebt viele Dinge auf der Welt, die beym ersten Anblick nicht die geringste Schwierigkeit zu haben scheinen; man glaubt sie so gut zu kennen, als die Mutter die uns geboren hat. Kommt es aber dazu, daß wir den Mund aufthun sollen, um uns deutlich darüber vernehmen zu lassen, so finden wir uns beynahe in der Nothwendigkeit, ihn unverrichteter Sache wieder zuzuschließen, so weit wir ihn aufgemacht hatten. So ist, zum Beyspiel, nichts leichter zu sagen, als: Wir wollen vom Mann im Monde reden! oder – Laßt doch hören, was man vom Mann im Monde sagen kann! Aber ich berufe mich auf euer eigenes Gefühl, wie euch zu Muthe wäre, wenn ihr euch anheischig gemacht hättet, von einem Dinge zu sprechen, das weder in die Sinne fällt, noch ohne Sinn begriffen werden kann!

»Aufrichtig zu reden, ungeachtet als ich als ein Filosof verbunden bin, niemahls einiges Mißtrauen in die Allgemeinheit und Unfehlbarkeit meiner Einsichten zu verrathen: so seh' ich mich doch in keiner geringen Verlegenheit, ob ich von der Wirklichkeit des Mannes im Mond, oder von seiner Möglichkeit zuerst reden soll. Denn damit er wirklich seyn könne, muß er möglich seyn, und damit er möglich seyn könne, muß er wirklich seyn. Hier liegt der Knoten!

»Sag' ich, der Mann im Mond ist möglich: so denk' ich entweder nichts bey dem was ich sage, – welches freylich das bequemste ist – oder ich setze in der That voraus, daß er sey; denn wie könnt' ich sonst sagen, er sey möglich. Es ist gerade so viel als sagt' ich, der Mann im Mond ist blau, oder großmüthig, oder er ist ein guter Mann; – denn bey jeder dieser Behauptungen setz' ich voraus, daß ein Mann im Mond ist, oder es wäre lächerlich zu sagen, er ist dieß oder er ist jenes; und ich würde im Grund eben so viel sagen als: das Ding das nicht ist, ist etwas.

»Sag' ich auf der andern Seite, der Mann im Mond ist wirklich: so setze ich seine Möglichkeit voraus, wozu ich doch nicht befugt bin, eh' ich sie erwiesen habe. Will ich sie aber erweisen, flugs bin ich wieder in dem verwünschten Zirkel, in welchem ich mich so lange von Möglichkeit zu Wirklichkeit und von Wirklichkeit zu Möglichkeit herum drehe, bis mir der Kopf so schwindlig wird, daß ich die ganze Welt, den Mann im Mond und meine eigene Wenigkeit aus dem Gesicht verliere, und am Ende nicht einmahl den Unterschied zwischen meinem eigenen kleinen Ich und dem unendlichen Nicht-Ich mehr erkennen kann.

»Bey so bewandten Umständen weiß ich Ihnen und mir nicht anders zu helfen, als daß wir uns entweder mit dem einfältigen Behelf, »es ist nicht klar,« ausreden,- und eh' ich mich dazu bequemte, wollt' ich lieber den Kopf verlieren! – oder daß wir einen Anlauf nehmen, und mit so vieler Dreistigkeit, als uns nur immer möglich ist, geradezu behaupten: der Mann im Mond existiere, so gut als Hermes Trismegistus oder irgend ein andrer Mann in der Welt; eine Behauptung, wobey wir den doppelten Vortheil haben, daß unsre Gegner entweder das Gegentheil beweisen – oder schweigen müssen, und daß alle Männer außerhalb des Monds um ihrer selbst willen genöthigt sind, sich zu uns zu halten; denn wo lebt der Mann, gegen den sich nicht die nehmlichen Zweifel erregen ließen? In welchem Betracht ich gestehe, daß mir der Beweis des tiefsinnigen Heraklitus noch immer die meiste Genüge thut, der, um auf Einmahl aus der Sache zu kommen, sagt: Der Mann im Mond ist da, denn wie könnte er sonst der Mann im Mond seyn?

»Nachdem wir uns solcher Gestalt aus dieser ersten Schwierigkeit glücklich heraus gewickelt haben, so entsteht die andre große Frage: Wenn der Mann im Mond ist, was ist er?

»Hier, meine Herren, öffne ich euch die Pforte des metafysischen Abgrundes. Ein undurchdringliches Dunkel scheint hier euern forschenden Blicken auf ewig Einhalt zu thun. Aber lasset euch nicht dadurch abschrecken! Wir schauen so lange hinein, bis wir etwas sehen.

»Ich verrathe euch hier ein großes Geheimniß; eure Filosofen werden böse auf mich werden; aber ich mache mir nichts daraus. Nur immer hinein geschaut, meine Freunde! Wir haben kein andres Mittel Entdeckungen in den unbekannten Ländern zu machen.

»Sehet ihr noch nichts? – Seyd deßwegen unbekümmert! Es liegt bloß daran, daß wir unsre Augen zuvor in die gehörige Verfassung setzen. Höret an!

»Als ich zuerst anfing, mich um den Mann im Mond zu bekümmern, ohne zu wissen wie ich es anfangen sollte, ging ich bey allen euern Filosofen herum, und fragte sie, was sie davon wüßten?

»Der Mann im Monde? – sagte der erste, an den ich mich wandte – es ist so leicht nicht ihn kennen zu lernen! Wenn ihr aber entschlossen seyd das Abenteuer zu unternehmen, so kommt alles darauf an, daß ihr ausfündig macht, was er ist, – und wie er ist was er ist. – Das ists eben was ich wissen möchte, sagte ich. – So muß du nun bey andern nachfragen, versetzte jener; denn ich habe dir alles gesagt was ich von der Sache weiß.

»Nun ging ich von Haus zu Haus, um zu hören, was die Weisen im Volk auf meine Fragen antworten würden. Und hier erfuhr ich die Wahrheit des alten Sprichworts: Viel Köpfe viel Sinne; ausgenommen, daß ich zuletzt einen guten Theil mehr Köpfe als Sinne herausbrachte.

»Der Mann im Mond ist kein eigentlicher Mann, sagten einige: man könnte eben so gut sagen, die Frau im Mond, ob er gleich, genau zu reden, weder Mann noch Frau ist. – Denn wenn er ein eigentlicher Mann wäre, so müßte er eine Frau haben, oder wo bliebe der zureichende Grund seiner Mannheit? Nun hat man aber nie von einer Frau im Monde, oder von der Frau des Mannes im Monde reden gehört: also u. s. w. –

»Die Wahrheit ist, daß er gar nichts mit uns gemein hat, sagte ein Andrer.

»Das ist unmöglich, sprach der Dritte; er muß uns doch immer ähnlicher seyn als einer Auster oder einer Seenessel.

»Ich beweise meinen Satz, versetzte jener. Alles was unterm Mond ist, ist nicht im Mond, und umgekehrt; und es muß ein Grund vorhanden seyn, warum es unterm Mond und nicht vielmehr im Mond ist, wo es sich vielleicht eben so gut befände; nun stimmen alle Leute überein, daß der Mann im Mond – im Mond ist

»Wenn er im Mond ist, zugegeben! fiel ihm dieser ein: aber ich getraue mir zu behaupten, daß er vielleicht zwey Drittheile vom Jahr in der Venus oder im Merkur ist, oder daß er sich wenigstens den Winter über, der im Monde ziemlich kalt seyn mag, anderswo aufhält.

»Fy, sagte jener, wie wolltet ihr das beweisen können, da warm und kalt nichts absolutes ist? Natürlicher Weise ist die Organisazion des Mannes im Monde seinem Aufenthalt gemäß; und weil dieser (wie alle Astronomen wissen) feucht und kalt ist, so muß auch der Mann im Mond ein ausgemachter Flegmatikus seyn: ist er aber das, so läßt sich ohnehin nicht begreifen, was man in der Venus, welche der Planet der Liebe ist, mit ihm anfangen wollte.

»Die Herren sprechen sehr zuversichtlich von dem guten Mann im Monde, sprach ein Vierter; und doch bin ich gewiß, daß sie nicht mehr von ihm wissen als ich – das ist, so viel als – gar nichts. Denn ich behaupte, man müßte wenigstens Einen Sinn mehr haben, als die fünf oder sechs die wir haben, um sich eine richtige Vorstellung von ihm machen zu können. Nach unsrer Art zu reden ist er weder groß noch klein, weder hitzig noch frostig, weder sauer noch süß, weder weiß noch schwarz; – er ist – er ist – das mag er selbst wissen was er ist!

»Die Meinung dieses letztern führte offenbar zum Skepticismus, der uns Dogmatikern von jeher so verhaßt gewesen ist, als – die Filosofie der Gymnosofisten – der Schneidergilde. Indessen, da ich doch nach allem, was mir die weisen Männer gesagt hatten, weder mehr noch weniger von der Sache wußte als zuvor: so beschloß ich einen Versuch zu machen, wie weit mich mein eigenes Nachdenken in dieser äußerst dunkeln Materie führen könnte.

»Wenn es seine Richtigkeit hat, sagt' ich zu mir selbst, daß ein jedes Ding das ist was es ist, so kann ich ohne mindestes Bedenken zum Grunde legen, der Mann im Monde sey – der Mann im Monde. Ihr meint vielleicht, damit sey nicht viel gesagt: aber da würdet ihr euch mächtig irren, meine werthen Herren. Ich habe schon viel damit gewonnen, wenn ihr mir das zugeben müßt! – Denn wenn der Mann im Mond – der Mann im Mond ist, so ist er also

nicht der Mann im Merkur,

noch im Mars,

noch im Jupiter,

noch im Saturnus; u. s. w. Er ist auch

nicht der Mann im Thierkreise,

noch in der Milchstraße,

noch im Feuerhimmel,

noch im leeren Raum,

noch im Chaos, – sondern wirklich und wahrhaftig der Mann im Monde; und da er das ist, so

ist er auch weder Fisch,

noch Vogel,

noch Amfibion,

noch Insekt.

»Er kann weder schwimmen noch fliegen – Wiewohl ich für die Gewißheit des letztern nicht gut sagen lassen wollte. Denn vielleicht ist es im Monde möglich, ohne Floßfedern zu schwimmen und ohne Flügel zu fliegen, oder er könnte auch Flügel und Floßfedern haben, ohne darum weniger der Mann im Monde zu seyn.

»Eben so wenig getraue ich mir aus seiner bloßen Identität mit sich selbst d. i. daraus, daß der Mann im Mond – nicht der Nicht-Mann im Nicht-Mond ist – mit völliger Gewißheit zu bestimmen, ob er

von Essen und Trinken lebt, wie wir,

oder von der Luft, wie der Paradiesvogel,

oder von Sonnenstrahlen, wie der Fönix,

oder von Ideen, wie Platons Geister?

ob er sein Geschlecht fortpflanzt, oder nicht? und ersten Falls,

ob er ein Weibchen seiner Gattung dazu nöthig hat?

oder ob er sich mit sich selbst behelfen kann, wie unsre Schnecken?

oder ob er sich durch die Wurzel,

oder durch Zwiebeln,

oder durch Knospen,

oder durch Schößlinge,

oder durch Eyer,

oder durch lebendige Junge fortpflanzt? –

oder vielleicht, wie der Fönix, immer der einzige von seiner Art bleibt, und nur von Zeit zu Zeit wieder aus seiner Asche hervor geht? –

ob er lang oder kurz,

fett oder mager,

blond oder braun,

gut- oder bösartig,

gelehrt oder unwissend,

ein guter oder schlechter Dichter ist?

ob er gut tanzt,

gut reitet,

gut Ball spielt, – u. s. f.

»Diese und zwanzig tausend andre Fragen dieser Art, welche ein jeder, auch mit dem mäßigsten Grade von Witz, sich selbst machen kann, unter andern auch die nicht ganz unerheblich scheinenden:

Was kümmert uns der Mann im Mond?

Was für einen Einfluß hat er auf unser Wohl- oder Übelbefinden?

Ist es auch wohl überall der Mühe werth, sich den Kopf um ihn zu zerbrechen?

»Alle diese Fragen werden (wie ich besorge) nicht wohl beantwortet werden können, so lange wir nicht Mittel und Wege finden – den Mann im Monde näher kennen zu lernen; ob ich gleich überhaupt nicht ungeneigt bin zu glauben, daß er – falls er so allein im Mond ist, wie man vorauszusetzen pflegt – ziemlich oft lange Weile haben, und überhaupt kein Mann von sehr angenehmer Laune oder lebhaftem Umgange seyn mag.

»Doch, wie gesagt, meine Herren Athener, die Ehre, alle nur ersinnlichen Probleme, welche sich über oft besagten Mann im Mond aufwerfen lassen, rein und aus dem Grunde aufzulösen, ist lediglich demjenigen unter unsern filosofischen Abenteurern aufbehalten, welcher sinnreich oder glücklich genug seyn wird – den Weg in den Mond zu entdecken, wofern einer ist; oder sich einen Weg dahin selbst zu machen, wofern keiner ist; und – was zum wenigsten eben so nothwendig scheint – den Weg wieder zurück zu finden, nachdem er sich lange genug da aufgehalten haben wird, um eine hinlängliche Anzahl von Beobachtungen machen zu können; vorausgesetzt, daß es überhaupt möglich sey, mit Hülfe solcher Sinne wie die unsrigen, über einen Mann, wie der Mann im Mond ist, irgend eine Entdeckung zu machen.

»Ihr seht, meine guten Athener, daß ich eure Aufmerksamkeit – nicht gemißbraucht, und, alles wohl erwogen, vielleicht mehr geleistet habe, als ihr billiger Weise von mir erwarten konntet. Wenige meiner Zunftgenossen würden sich so aufrichtig herausgelassen, und so wenig Umschweife gemacht haben, um euch auf eine gelehrte Art zu erkennen zu geben, daß sie von einem Dinge sprechen, von dem sie nichts wissen noch wissen können, d. i. von einem Dinge, welches – was es auch an sich oder für die Bewohner andrer Weltkörper seyn mag, wenigstens für sie – kein Ding ist.

»Übrigens hoff' ich dem Mann im Monde selbst, wer er auch seyn mag, durch das, was ich von ihm gesagt oder vielmehr nicht gesagt habe, auf keinerley Weise zu nahe getreten zu seyn. Er hätte sich vielleicht beleidigt finden können, wenn ich unverschämt genug gewesen wäre, ein System über ihn zu machen, und euch mit der gewöhnlichen Dreistigkeit meiner Amtsbrüder seine Figur, Farbe, Bildung, Fähigkeiten, Sitten, Lebensart, Religion, kurz alle seine innerlichen und äußerlichen Bestimmungen vorzudemonstrieren. – Aber ich – was konnt' ich unschuldigers von ihm sagen, als – gar nichts

Hiemit endigte sich meine Rede, und ich schlich mich hinter die Scene, um die Wirkung, welche sie thun würde, desto ungestörter zuzusehen.

Meine Athener, welche vermuthlich geglaubt hatten das beste würde noch kommen, machten sehr alberne Gesichter, da sie sich in ihrer Hoffnung betrogen sahen. Etliche Augenblicke lang standen sie ganz betroffen da, große Augen und halb offne Mäuler nach der Bühne, wo der Chaldäer gestanden hatte, hingekehrt. Aber nachdem sie sich völlig überzeugt hatten, daß nun nichts mehr zu erwarten sey, erhob sich ein vermischtes Gemurmel, welches immer lauter wurde, und zuletzt in ein allgemeines Getümmel ausbrach. Ein jeder sagte und behauptete seine Meinung von der Sache, von der Absicht die der Chaldäer bey seiner Rede gehabt haben möchte, ob er gut oder schlecht gesprochen habe, von seiner Miene, von seinem Bart, endlich vom Mann im Monde selbst, und wen er wohl darunter verstanden habe; denn daß ein Geheimniß unter der Sache stecke, wurde für ausgemacht angenommen. Der Tumult nahm überhand, man zankte sich, man schrie, alle gaben ihre Stimme auf einmahl; und da viele, welche mit Gründen und Schlüssen nicht so gut zurechte kommen konnten, desto stärker von Schultern und Knochen waren, so wurde man endlich handgemein – kurz, es fehlte wenig, daß der Mann im Monde nicht einen allgemeinen Aufstand in Athen veranlaßt hätte.

Was für Kinder die Athener sind! rief einer von den Klügern, indem er sich in Zeiten auf die Seite machte: merkt ihr denn noch nicht, daß der Chaldäer keine andre Absicht hatte, als euch und eure Filosofen zum besten zu haben?


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