Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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29.

Hilf mir lachen, guter Xeniades; ich habe auf einmahl meinen Gast und einen Schüler verloren.

Die erste Nacht, die er in meiner Grotte zubrachte, konnt' er keinen Schlaf finden; und doch hatte der Homerische Ulysses selbst, da er an die Fäakische Küste geworfen wurde, kein besseres Nachtlager als ich ihm zubereitete. Man merkte wohl, daß der Mensch auf weichen Polstern und Schwanenfellen zu liegen gewohnt war. – Eine Nachtigall sang zum Entzücken nicht weit von unsrer Höhle. Höre, sagte ich, die freundliche Sängerin, welch ein schönes Schlaflied sie uns singt! – Er hörte nichts, oder er fühlte doch nichts bey dem was er hörte.

Des folgenden Morgens nahmen wir ein leichtes Frühstück von Brombeeren, die wir im Gebüsche pflückten; ich gab ihm ein wenig Brot aus meiner Tasche dazu. Er fand mein Frühstück in der That sehr leicht, und dachte mit Seufzen an die Mahlzeiten seines glücklichen Zustandes, und an die wenige Wahrscheinlichkeit, auf den Abend eine bessere zu finden als sein Frühstück war.

Ich fing an mit ihm zu filosofieren; ich bewies ihm, daß ein Mensch in seinen jetzigen Umständen der glücklichste von der Welt seyn könne, so bald er wolle. Er schien mir aufmerksam zuzuhören, er fand meine Gründe unwidersprechlich, aber sie überzeugten ihn nicht. Unter diesen Reden kamen wir an einen Ort, wo ihm Gegenstände in die Augen fielen, die ihn ganz anders interessierten als meine Filosofie.

Unweit meiner Höhle hat ein alter Fischer seine Hütte. Er hat drey junge Töchter, welche meinem Athener (einem feinen Kenner schöner Formen) in ihrem schlechten Anzuge merkwürdig genug vorkamen, um sie näher in Augenschein zu nehmen. Die Mädchen saßen vor der Hütte unter einem Baum und strickten Netze. Bacchides fand, daß die eine so schöne Arme wie Juno, die andre einen Wuchs wie eine Nymfe, und die dritte ein Paar viel versprechende Augen hatte. Ich hatte noch nie darauf Acht gegeben.

Du lächelst, Xeniades! Hab' ich dir jemahls eine Schwachheit, die ich hatte, verborgen? – Der alte Fischer hat auch eine Frau, die Mutter dieser Mädchen, welche sich, im Nothfall, nicht übel schicken würde eine Dämäter vorzustellen; aber damahls war sie nicht zugegen.

Auf den Abend nöthigte mich Bacchides ihn in die Stadt zu führen. Er schien mit der Scharfsichtigkeit eines Habichts auf Beobachtungen auszugehen; aber er sagte mir nichts von denen die er machte. Eh' ich mirs versah, verlor ich ihn von meiner Seite. Eine Weile darauf sah ich ihn mit einem Sklaven reden. Er flog zu mir, wie er mich wieder gewahr wurde. Ich habe einen Fund gemacht, rief er mir mit einem Ausdruck von Freude und Hoffnung zu, der wieder Leben und Farbe in sein Gesicht brachte. – Und was ist das für ein Fund, fragte ich. – Ein junger Mensch, sagte er, der das Vergnügen liebt, oder, was eben so viel sagt, der ein junger Mensch ist, will sich diesen Abend mit seinen Freunden in geheim ergetzen; und sein Vater, ein reicher Filz, soll nichts davon wissen. Er hat einen vertrauten Sklaven ausgeschickt, ihm einen bequemen Ort ausfündig zu machen; aber alle, die in den Vorschlag kamen, hatten ihre Schwierigkeiten.

Ich sagte dem Sklaven, ich wisse eine vortreffliche Gelegenheit; und nun geht er es seinem Herrn zu melden, welcher mich ohne Zweifel zu sich bitten lassen wird.

Du bist erst vier und zwanzig Stunden hier, rief ich, und kennest die Gelegenheit schon! Darf ich fragen –

Warum nicht? fiel er mir ins Wort: ich hoffe du wirst nicht so albern seyn, eine Gelegenheit, satt zu werden und dich zu belustigen, fliehen zu wollen. Die Hütte unsers Fischers ist groß genug zu unserm Vorhaben. Der alte Mann ist weggegangen, seine Fische ich weiß nicht wo zu verkaufen. Das Mädchen mit den versprechenden Augen sagte mir ins Ohr, er würde erst übermorgen wieder kommen.

Und wo sprachst du sie? fragte ich.

»Ich fand einen Augenblick dazu, da du auf deiner Streu ein wenig Mittagsruhe hieltest. Die Mädchen sind so lebhaft wie das Element an dem sie geboren wurden, wahre Nymfen! von der gefälligsten Art, denk' ich; und die Mutter scheint der Freude auch noch nicht entsagt zu haben.«

Du bist ein guter Beobachter, Bacchides, sagte ich; und nun haben wir auf einmahl dein Talent gefunden. Gelegenheit machen ist an einem Orte wie Korinth kein unergiebiges Handwerk, und wirklich das einzige, das einem Manne von deiner Art übrig bleibt. Ich sehe, daß du meiner nun weiter nicht bedarfst; ich werde dich den Weg, den du gehen willst, allein machen lassen. – Gehabe dich wohl, Bacchides! – Aber kaum kann ich dir verzeihen, daß du mich durch deine neu angesponnene Intrigue um mein Sommerhaus bringst. Es hatte eine so schöne Lage! – Nun werd' ich es nicht mehr sehen; denn nicht alles, was dem Bacchides anständig seyn mag, geziemt dem Diogenes.


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