Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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35.

Ich lag an einem schönen herbstlichen Tag unter einer Cypresse im Kranion, und genoß des Sonnenscheins, welcher alten Leuten in dieser Jahrszeit so angenehm ist; als ich unvermerkt in den Träumereyen, denen ich mich zu überlassen pflege, wenn ich so eben nichts zu denkenhabe, von einem Unbekannten gestört wurde, der in Begleitung etlicher andrer, die etwas beßres als seine Sklaven, aber doch nicht seines gleichen schienen, auf mich zuging. Ich gab Anfangs nicht darauf Acht; aber da er mich anredete, fing ich an zu merken, daß jemand zwischen mir und der Sonne stand.

Bist du, sagte er, indem er mich mit einer gewissen Dreistigkeit, die bey gemeinen Leuten Unverschämtheit genannt wird, mit den Augen maß, – bist Du dieser Diogenes, von dessen Karakter und Launen man im ganzen Griechenlande so viel zu erzählen hat?

Ich betrachtete meinen Mann nun auch etwas genauer als Anfangs. Es war ein feiner junger Mensch, mittelmäßig von Statur, aber wohl gemacht, außer daß ihm der Kopf ein wenig auf die linke Schulter hing; er hatte eine breite Stirn, große funkelnde Augen, mit denen er euch in die Seele hinein sah; eine glückliche Gesichtsbildung, und eine Miene, worin Stolz und Selbstvertrauen, durch eine gewisse Grazie gemildert, dasjenige ausmachten, was man an Königen Majestät zu nennen pflegt. – Ich bemerkte, daß er ein Diadem trug, welches ihn zu einer solchen Miene berechtigte; aber ich that nicht als ob ich es wahrgenommen hätte.

Und wer bist denn Du, antwortete ich ihm ganz kaltsinnig, daß du ein Recht zu haben glaubst, mich so zu fragen?

Ich bin nur Alexander, Filipps Sohn von Macedonien, versetzte der Jüngling lächelnd: ich gestehe, es ist dermahlen nicht viel; aber was es ist, steht dem Diogenes zu Dienste. Da ich wußte, daß du nicht zu mir kommen würdest, so komm' ich zu dir, um dir zu sagen, daß ich mir ein Vergnügen daraus machen würde, deine Filosofie auf einen gemächlichern Fuß zu setzen. Verlange von mir was du willst, es soll dir unverzüglich gewährt werden, oder es müßte mehr seyn als in meiner Macht steht.

Versprichst du mirs bey deinem königlichen Worte? sagte ich.

Bey meinem Worte, versetzt' er.

Nun, sagt' ich, so ersuch' ich Alexandern, Filipps Sohn von Macedonien, so gut zu seyn und mit aus der Sonne zu gehen.

Ist das alles? sagte Alexander.

Alles was ich jetzt bedarf, antwortete ich.

Die Hofschranzen erblaßten vor Entsetzen.

Ein König muß sein Wort halten, sagte Alexander, indem er sich mit einem gezwungenen Lächeln gegen seine Leute wandte.

Er rechtfertigt den Zunahmen, den ihm die Korinthier geben, sagten die Hofschranzen, und er verdiente, daß ihm auch nach seinem Nahmen begegnet würde.

Das sollt ihr bleiben lassen, erwiederte der Jüngling; ich versichre euch, wenn ich nicht Alexander wäre, so möcht' ich wohl Diogenes seyn.

Und damit führten sie sich wieder ab.

Das Abenteuer wird Lärmen machen. Ich kann nichts dazu. In ganzem Ernste, was hätt' ich von ihm begehren sollen? Ich will mit seines gleichen nichts zu thun haben. – In der That, ich bedarf nichts; und, wenn ich was bedürfte, hab' ich nicht einen Freund? Sollt' ich von einem König Wohlthaten annehmen, da ich keine von meinem Freund annehme, den ich dadurch glücklicher machen könnte?

Aber der junge Mensch gefällt mir. – Weil man doch Könige haben muß, so wär' es eben so gut, solche zu haben, die ihm glichen. – Ich zweifle nicht, daß er mich auf die Probe setzen wollte; und doch schien ihm meine Bitte unerwartet. – Es ist billig, daß er lieber Alexander als Diogenes ist; ich dächte an seinem Platz eben so: aber es macht ihm Ehre bey mir, daß er Diogenes seyn möchte, wenn er nicht Alexander wäre.

Wie viel wird dieser einzige junge Mann den Griechen von sich zu reden geben! Er hat sich von ihnen zu ihrem gemeinschaftlichen Feldherrn gegen den großen König erwählen lassen. Ein schöner Vorwand für einen jungen Ehrgeitzigen, dem Macedonien und Griechenland ein zu kleiner Schauplatz ist!

Ich wollte daß er über die Welt zu gebieten hätte und dächte wie Diogenes!


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