Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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2.

Alles wohl erwogen, denke ich, ich will sie schon erwachsen nehmen; es würde mir gar zu viele Mühe machen, bis ich so viele Leute gezeugt, geboren, und so weit gebracht hätte, daß sie ohne Führhand gehen könnten.

Doch – ich vergesse, daß ich ein Zauberer bin! Kann ich sie nicht mit einem einzigen Schlag meiner Ruthe machen wie ich sie haben will? – Das ist kein geringer Vortheil; aber bey einem solchen Geschäft ist er unentbehrlich. Der Henker möchte eine Republik machen, wenn man die Leute nehmen müßte wie man sie fände!

Ich hohle mir also ungefähr hundert tausend hübsche Mädchen aus Albanien, Iberien und Kolchis zusammen, wo man sagt daß sie am schönsten wachsen. – Es versteht sich, daß ich sie aus vier- oder fünfmahl hundert tausenden ausgesucht habe, – lauter große, starke, voll aufgeblühte Dirnen, mit langen blonden Haaren, blauen Augen, hoher Brust, vollem Busen, runden ausgeschweiften Hüften, kurz mit allem, was die Kenner zur vollkommnen Schönheit und Gesundheit – einer Kindergebärerin fordern; – von Farbe lauter Lilien und Rosen, und alle im zwanzigsten Jahre.

Diese Mädchen versetz' ich durch einen Schlag meiner Ruthe mitten im May in das anmuthigste Thal am Fuße des Antilibanus. – Meine Geister haben indessen unter jedem Mandelbaum und Rosinenstrauch eine Tafel gedeckt: keine Niedlichkeiten von der Art, womit unsre Reichen sich langsam vergiften lassen; gute, nahrhafte, saftvolle Speisen, und frisches Quellwasser dazu, so viel sie wollen.

So bald alles fertig ist, flugs hohlt mir hundert tausend hübsche junge Burschen aus Hyrkanien und Baktriane her! – Keine Adonisse, keine glatte halb weibliche Ganymeden, wie ihr Korinthischen Herren, wer weiß wozu, in euern Gynäceen unterhaltet; – große derbe Bengel, die noch alle ihre Jugendkraft beysammen haben, gewohnt in Wäldern herum zu schwärmen, und, wie lauter Herkulesse, ihren Landsleuten, den Tiegern und Pantherthieren, die Häute abzujagen, die um ihre breiten Schultern hangen.

Wie die Mädchen und die Jungen einander ansehen werden, – das könnt ihr euch vorstellen.

Die Natur mag itzt vollenden, was ich angefangen habe! – Ihr könnt euch darauf verlassen, daß sie gute Arbeit machen wird.

»Aber wie? sagt ihr, – nichts als Brunnenwasser dazu? Keinen Wein von Thasos, von Chios, von Cypern?« – Keinen Tropfen! Glaubt ihr, meine Hyrkanier haben solche Stärkungsmittel vonnöthen? Meine Mädchen würden euch solches Mißtrauen sehr übel nehmen.

Die Morgenröthe bricht an. – Die Jünglinge wachen auf, und wollen auch die armen Kinder nicht länger ruhen lassen. – Nun, es mag seyn, weil es doch das letzte Mahl ist! und dann, meine Geister, tragt mir sie, eben so plötzlich als sie gekommen sind, wieder in ihre Wälder zurück; ich habe sie nicht mehr vonnöthen.

Juno Lucina steh' uns bey! In neun Monaten hab' ich zum wenigsten hundert und dreyßig tausend kleine Bübchen und Mädchen zu erziehen, jedes Mädchen so lieblich wie eine Grazie, jeder Knabe so schön wie der junge Bacchus. –

Und nun laßt sehen, ob ich euch nicht eine Republik daraus machen will, wie noch keine gewesen ist!


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