Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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3.

Übrigens, und was die Weisheit betrifft, meine Herren von Korinth, Athen, Sparta, Theben, Megara, Sicyon, u.s.w. – und ihr, welche ich Ehren halben zuerst hätte nennen sollen, meine werthen Mitbürger von Sinope, – so erlaubet mir euch zu sagen, daß ich die Ehre, von Einem Stamme mit euch allen zu seyn, viel zu stark empfinde, um an mehr Weisheit Anspruch zu machen, als so viel ich zu meinem eignen nothdürftigen Gebrauche nicht entbehren kann. Sollte davon auch etwas zu euern Diensten seyn können, so gestehe ich offenherzig, daß ich es lediglich den Beobachtungen zu danken habe, zu denen ihr mir Gelegenheit gabt, wenn ich euch handeln sah. Ich bemerkte gemeiniglich in der Folge, was ich euch, ohne ein Ödip zu seyn, hätte vorher sagen können: »daß es euch hinten nach gereuete so gehandelt zu haben;« – und daraus schloß ich schlechtweg: »ihr würdet besser gethan haben, es anders zu machen.«

Ich habe mir daraus einige Anmerkungen gesammelt, wovon ich euch gelegenheitlich so viel zukommen lassen werde, als ich glaube daß ihr auf Einmahl tragen könnet.

Inzwischen aber, und um auf die Veranlassung zu dieser ganzen Betrachtung zurück zu gehen, kann ich nicht umhin, den Einfältigen zu Besten zu erinnern: daß – seitdem es meinem Freunde Platon gefallen hat, mir die Ehre zu erweisen, mich den rasenden Sokrates zu nennen – einige Halbköpfe in den Vorstädten von Korinth, und vielleicht auch in der Stadt selbst, sich eine ordentliche Angelegenheit daraus zu machen scheinen, eine Menge Narrheiten von ihrem eigenen Gewächs auf meine Rechnung zu setzen, und denjenigen, wozu ich mich wirklich bekenne, eine Gestalt zu geben, worin ich sie nicht für mein erkennen kann.

Es sollte mir leid thun, wenn das, was ich davon sagen werde, ihnen unangenehm seyn könnte. Denn ich merke wohl, daß sie bey dieser kleinen Kurzweil eine große Absicht haben. Sie können in ernsthafter Beurtheilung der Narrheiten, die sie mir andichten, ihre Vernunft, oder in Verspottung derselben, ihren Witz desto bequemer sehen lassen. Sie genießen dabey des Vortheils, den derjenige hat, der sich den Gegner, den er überwinden will, selbst macht: er kann ihn gerade so schwach und ungeschickt machen, als er ihn nöthig hat, um den Sieg davon zu tragen. Da es nun unfreundlich wäre, sie in dieser kleinen Ergetzlichkeit beunruhigen zu wollen; so soll alles, was ich bis zu Num. 4 sagen werde, ohne einigen Nachtheil ihrer dießfälligen Zuständigkeiten, und bloß zum Besten derjenigen gesagt seyn, welche mich gern kennen möchten, und die Gelegenheit nicht haben deßwegen nach Korinth zu reisen.

Ich gestehe also, daß ich vor vielen Jahren ausdrücklich darauf studiert habe, »wie ich mich so unabhängig machen könnte als möglich wäre.«

Ich fand, »daß dieß unter gewissen Bedingungen ganz wohl angehe,« und, »daß diese Bedingungen in meiner Gewalt lägen.«

Ich bedachte mich also nicht lange. Meine Theorie war nicht so bald gefunden, als und that, was die wenigsten von euern Sittenlehrern thun. Ich fing an sie in Ausübung zu bringen, und kam darin, ohne Ruhm zu melden, binnen zwanzig Jahren so weit, daß ich, wie ihr sehet, sehr bequem in einer Tonne wohne, von Bohnen und Wurzeln Mehlzeit halte, und meinen Nektar dazu, in Ermanglung eines Bechers, mit der hohlen Hand aus dem nächsten Brunnen schöpfe.

Dafür aber genieße ich auch die Vortheile der Unabhängigkeit. Ich habe nicht nöthig euch zu betrügen, und bin sicher, daß ihr mich eben so wenig betrügen werdet. Ich erwarte nichts von euch, ich fordre nichts von euch, ich besorge nichts von euch. – Denn was für ein armer Teufel müßte der seyn, der mir meinen Stecken und meine Tasche voll Bohnen und Brotkrumen stehlen wollte! Sollte sich, wider Vermuthen, jemand hervorthun, der arm genug wäre in eine solche Versuchung zu fallen, so bin ich bereit, ihm beides gutwillig abzutreten. Ich werde im nächsten Walde wieder einen Stecken finden, und mir aus einem Zipfel meines Mantels eine andre Tasche machen, so ist der Abgang ersetzt. – Kurz, ich sehe nicht, warum wir nicht die besten Freunde seyn sollten. Wornach ihr immer streben möget, findet ihr den Diogenes nie in euerm Wege. Bewerbt euch, wenn ihr wollt, – rathen werde ich euch nie dazu – um eine Archontenstelle, um eine Priesterstelle, um eine Feldherrnstelle, um eine Stelle in dem Bette einer schönen Frau, oder einer reichen Matrone, oder einer Dame, die euch für eine Hand voll Drachmen thut, was Platons Penia dem schlafenden Plutus, – bewerbt euch um die Gunst eines Satrapen, oder eines Königs, oder einer Königin, oder um eine Krone selbst, oder gar um einen Platz unter den Göttern – (ihr wißt daß auch der zu kaufen ist) – kurz, bewerbt euch warum ihr wollt, Diogenes wird niemahls euer Nebenbuhler seyn. Diogenes ist der unschädlichste, unbedeutendste Mensch von der Welt, – ausgenommen, daß er euch bey Gelegenheit die Wahrheit sagt; und wenn er auch gleich dadurch nichts zu euerm Vergnügen beyträgt, so dächte ich doch, er verdiente immer, daß ihr ihm Luft und Sonnenschein unentgeldlich angedeihen ließet, und erlaubtet, sich unter einen Baum hinzulegen, den vielleicht sein Großvater gepflanzt hat.


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