Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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28.

Wer es nicht selbst, oder doch etwas ähnliches erfahren hat, begreift nicht, was für ein Unterschied ist, nach dem Hafen zu gehen weil man da zu thun hat, oder auch nichts zu thun hat, und nach dem Hafen gehen zu müssen, um sich für zehen Jahre auf eine Galeere schmieden zu lassen.

Ich selbst habe den Unterschied nie so lebhaft empfunden als dieser Tage, da ich auf einem meiner irrenden Spaziergänge in das Gehölze gerieth, welches sich nicht weit von Neptuns Tempel längs dem Ufer hinzieht, und, wie ihr wißt, den Nereiden geheiligt ist.

Indem ich nichts weniger dachte als auf eine alte Bekanntschaft in dieser wilden Gegend zu stoßen, erblickte ich einen Mann von ungefähr fünf und dreyßig Jahren, übel gekleidet, ungekämmt, hager, blaß, hohlaugig, kurz, mit allen Attributen des Kummers und Elends, unter einen Baum hingeworfen. Er war im Begriff, mit einer Hand voll Wurzeln, die er eben ausgerauft hatte, und etlichen Stückchen in Wasser geweichtem Zwieback seine Abendmahlzeit zu halten. Ich glaubte den Mann zu kennen, und da ich näher kam, sah ich mit einigem Erstaunen, daß es Bacchides von Athen war, dem kurz zuvor, eh' ich diese Stadt zum letzten Mahl verließ, ein Vermögen von wenigstens acht hundert Attischen Talenten von einem alten Wucherer, dessen einziger Sohn zu seyn er das Unglück hatte, erblich zugefallen war.

Wie treff' ich hier den glücklichen Bacchides an? und so allein, bey einer so frugalen Mahlzeit? – sagte ich.

»Glücklich! – Ach, Götter! rief er seufzend, diese Zeit ist vorbey, Diogenes! – denn der bist du, wenn mich anders meine Augen nicht täuschen.«

Ich wünsche, daß sie dich nie mehr getäuscht haben mögen, versetzte ich.

»Du kommst sehr gelegen: ich wollte dich aufsuchen; denn ich komme von Athen, mich in deine Schule zu begeben.«

So hast du eine vergebliche Reise gemacht; denn ich halte keine Schule.

»Ich werde also dein erster Schüler seyn. Ich will von dir lernen, wie du es machst, um in diesem dürftigen Zustande, worin du schon so viele Jahre lebst, glücklich zu seyn?«

Und wozu wolltest du diese Wissenschaft nützen?

»Wozu? – Ich dächte, mein bloßer Anblick sollte diese Frage beantworten.«

Ich sehe wohl, daß einige Veränderung in deinen Umständen vorgegangen seyn muß.

»Eine sehr große, bey allen Göttern, eine sehr große! Du kanntest mich noch, da ich Häuser, Landgüter, Bergwerke, Fabriken, Schiffe, kurz, genug hatte, um mich von dem größten Theil meiner Mitbürger beneidet zu sehen –«

Ohne Zweifel hattest du auch Bildsäulen, Gemählde, Persische Tapeten, goldene Trinkgefäße, schöne Sklaven, Tänzerinnen, Pantomimen –

»Die hatte ich, beym Jupiter! die hatte ich, und besser als jemand zu Athen!«

Ich bedaur' es.

»Ich finde nichts dabey zu bedauern, als daß ich sie nicht mehr habe.«

Beides! Aber durch was für Unglücksfälle –

Ich will dir die Wahrheit gestehen, Diogenes, – auch ist es mein einziger Trost, daß ich meine Reichthümer doch genossen habe! – Keine Unglücksfälle, – Pracht, Aufwand, Feste, Gastmähler, Buhlerinnen, haben mein Vermögen aufgezehrt. Zehen glückliche Jahre – wie kann ich ohne Verzweiflung an das denken, was ich jetzt bin! – Zehen glückliche Jahre brachte ich ununterbrochen mit Komus und Bacchus und Amorn und der lachenden Venus und mit allen Göttern der Freude zu.«

Und diese freundlichen Götter halfen dir in zehen Jahren ein Vermögen von acht hundert Talenten zu verschlingen?

»Wenn es noch einmahl so viel gewesen wäre, ich würde mit ihnen Mittel gefunden haben, es gegen Freuden und Wollüste zu vertauschen. Ich gesteh' es, ich war ein unbesonnener Mensch; ich dachte nicht an die Zukunft.«

Und jetzt, da du gezwungen bist an sie zu denken, was sind deine Anschläge?

»Ich habe keine, Diogenes, ich weiß mir nicht zu helfen.«

Du wirst dir doch mit so vielem ausgeworfenen Gelde, so viel Festen und Gastmählern, Freunde gemacht haben?

»Freunde so viel du willst; aber seitdem ich nichts dergleichen mehr zu geben habe, kennt mich keiner mehr.«

Das hättest du in der Akademie – oder, weil du vermuthlich kein Liebhaber von graubärtiger Gesellschaft warest, von zwanzig ehmaligen Glücklichen, welche sich bey dir eingefunden haben werden, lernen können, ohne es auf die eigne Erfahrung ankommen zu lassen. – Doch ich will die Vorwürfe, die du dir vermuthlich selbst machst, nicht durch die meinigen vermehren. Die Frage ist, was wir nun anfangen? Du würdest doch zufrieden seyn, wenn dir irgend eine wohlthätige Gottheit dein verlornes Vermögen wieder gäbe?

»Welch eine Frage! – Leider! kenne ich nur keine so freygebige Wesen.«

Du irrst, Bacchides; der Fleiß ist dieser hülfreiche Gott! Arbeit und Mäßigkeit sind ergiebige und unerschöpfliche Goldgruben, in denen der ärmste Sohn der Erde graben darf so viel er will.

»Aber ich mag nicht graben, mein guter Diogenes; und wenn ich wollte, so kann ich nicht; alle Arten von Arbeiten wollen gelernt seyn, und ich – ich habe nichts gelernt.«

Ich will zugeben daß du keine Kunst verstehest, die dich nähren könnte; aber du hast Verstand, du kannst reden; – widme dich der Republik; bewirb dich um das Vertrauen der Athener –

»Du scherzest gar zu bitter, Diogenes! Wie wollte ich die Athener überreden können, ihre Sicherheit, ihre Wohlfahrt, ihre gemeinen Einkünfte, einem Menschen anzuvertrauen, der sein eignes Erbgut nicht zu erhalten gewußt hat?«

Es dürfte schwer halten.

»Zudem muß man eine Menge Dinge wissen, um die ich mich nie bekümmert habe, wenn man den Staatsmann machen will.«

In deinen Umständen wenigstens; ohne Vermögen ist freylich ordentlicher Weise kein andres Mittel sich empor zu schwingen, als Verdienst. – Wir wollen diesen Vorschlag aufgeben. – Aber du kannst ja Kriegsdienste nehmen.«

»Als Gemeiner? – Lieber wollt' ich mich auf eine Ruderbank vermiethen! Als Officier? – Dazu gehört Geld oder Unterstützung, oder persönliches Verdienst.«

Wohlan! wenn dir von dem allen nichts gefällt, so sind noch andre Auswege übrig. – Sie sind nicht so ehrenhaft; aber wo man so wenig Wahl hat – Zum Beyspiel, reiche Damen, die zu den Jahren gekommen sind, wo man den Werken der goldnen Venus entweder entsagen, oder seine Liebhaber erkaufen muß – Du schüttelst den Kopf?

»Ach Diogenes! Auch diesen armseligen Ausweg hab' ich mir gesperrt. – Die Damen, von denen du sprichst, fordern viel; – du kannst dir doch einbilden, daß ein Mensch, der in zehn Jahren acht hundert Talente durchgebracht hat, zu keinem solchen Amte taugt –«

O, die Vortheile des Reichthums! – Ich gestehe dir, ich bin am Ende meiner Anschläge.

»Du hast das alles nicht nöthig, wenn du mich lehren willst, wie Du es machst, um in eben so dürftigen Umständen als die meinigen, so glücklich zu seyn, wie du es wenigstens zu seyn scheinest.«

Ich bin es in der That; aber laß dir sagen, daß du irrest, wenn du mich in dürftigen Umständen glaubst. Hierin betrügt dich der Schein. Ich bin reich, mein guter Bacchides! – reicher, denk' ich, als der König von Persien – denn ich bedarf so wenig, daß ich das, was ich bedarf, allenthalben finde, und ich werde nicht gewahr daß mir etwas mangle. Diese Begnügsamkeit erhält mich so gesund und stark wie du mich siehest. Nicht selten reiß' ich, aus Mitleiden, oder um mir Bewegung zu machen, dem schwitzenden Sklaven die Mühle aus der Hand, und mahle für ihn.

»Sonderbarer Mann!« – rief Bacchides aus.

Du glaubst nicht, Bacchides, wie viel darauf ankommt, daß das Instrument, worauf unsre Seele spielen soll, wohl gestimmt sey. Gesund am Leibe, gesund am Gemüthe, gesund im Kopfe, – etliche Grane Narrheit ausgenommen, um die ich mich nicht desto schlimmer befinde, – ohne Sorgen, ohne Leidenschaften, ohne beschwerliche Verbindungen, ohne Abhängigkeiten, wie sollt' ich nicht glücklich seyn? Ist nicht die ganze Natur mein, in so fern ich sie genieße? Welch eine Quelle von Genuß liegt nur allein im sympathetischen Gefühle! – Ich besorge du kennest diese Quelle nicht, Bacchides! – Und zu allem dem hab' ich einen Freund.

»Indessen lebst du doch von Bohnen und Wurzeln, bist in Sacktuch gekleidet, und wohnest, wie man sagt, in einem Fasse –«

Wenn du mir Gesellschaft leisten willst, so werden wir in meinem Sommerhause wohnen; es liegt nicht weit von hier am Ufer, und hat die prächtigste Aussicht von der Welt; denn für unser zwey ist meine Tonne zu enge. Es ist zwar in der That nur eine Art von Höhle, von der Natur selbst ausgegraben; aber ich habe alle nöthige Bequemlichkeiten darin, dürre Baumblätter zum Lager, und einen breiten glatten Stein zum Tische.

»Ich nehme dein Anbieten an, in der Hoffnung, daß du großmüthig genug seyn werdest, einem Unglücklichen das Geheimniß nicht zu versagen, das du besitzen mußt, um dir einbilden zu können, daß du reich und glücklich seyst.«

Ich konnte mich des Lachens nicht erwehren. – Du sprichst ja, als ob du dir einbildest, ich trage Amulete oder magische Zeichen bey mir, welche diese Kraft hätten. Um dir nicht zu schmeicheln, Bacchides, mein Geheimniß ist das einfältigste Ding von der Welt, aber es läßt sich nicht mittheilen. Meine Grundsätze lassen sich freylich lehren: aber um ihre Wahrheit zu fühlen wie ich sie fühle, und so glücklich durch sie zu seyn wie ich, muß uns die Natur gewisse Anlage gegeben haben, – die du vielleicht nicht hast. – Doch, machen wir immer eine kleine Probe! Gefällt es dir bey mir; gut – Wo nicht, so wird und der Zufall etwann einen andern Ausweg zeigen.


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