Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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32.

Ein weiser Mann, liebe Leute, ist nichts weniger als ein Hasser der Freude. – Schickt die finstern, hohlaugigen, milzsüchtigen Gesellen, welche das Gegentheil sagen, dem Demokritus oder den Söhnen des Hippokrates zu! – Wie haben keine Widerlegung, Nieswurz und blutreinigende Tränke haben sie vonnöthen.

Warum sollten wir die Freude hassen? Was haben uns die Götter bessers gegeben? Und warum haben sie uns überhaupt dieses vorüber rauschende Daseyn gegeben? – Wenn ihre Meinung nicht war, daß wir uns dessen mit einander erfreuen sollten, so hätten sie uns (aufrichtig zu reden) ein sehr gleichgültiges Geschenk gemacht.

Weisheit! Tugend! – ehrwürdige Nahmen, die so wenig Bedeutung auf den Lippen der meisten haben! – was seyd ihr anders, als du, der sicherste Weg zur Freude? und du, die beste Art ihrer zu genießen?

Was fordert die strengste Pflicht von der Obrigkeit eines Staats – als daß sie für das Wohl ihres Volks arbeite? Und wenn sie glücklich genug ist, ihm Sicherheit und Friede verschaffen zu können; wenn sie den Fleiß und die Künste aufmuntert, die Gewerbe befördert, die Wissenschaften ehrt, die Verdienste belohnt; wenn sie durch weise Anstalten für die Bildung derjenigen sorgt, in denen der aussterbende Staat wieder aufleben soll; wenn sie für die Gesundheit des Volks Sorge trägt; wenn sie in Zeiten des Überflusses dem künftigen Mangel zuvorkommt; wenn sie rechtschaffene Leute zu Handhabern der Gesetze und zu Beamten bestellt; wenn sie Vernunft, Sitten, Geschmack und Geselligkeit allgemein zu machen bemüht ist; – kurz, wenn sie nichts unterläßt, was ein wahrer Vater des Vaterlandes thun kann, und thun soll; – und wenn sie Weisheit, Macht, guten Willen und Glück genug hätte, alles dieses in dem höchsten Grade der Vollkommenheit, der sich denken läßt, auszuführen, – das ist, wenn es ihr möglich wäre, alles Übel von ihren Kindern zu entfernen, und ihnen den Genuß alles Guten zu verschaffen, welches die Götter überhaupt den Sterblichen zugemessen haben: – was hätte diese Obrigkeit anders gethan, als etliche hundert tausend oder Millionen Menschen in einen Zustand gesetzt, worin sie des Lebens froh werden könnten?

Jede öffentliche oder Privattugend hat zum Gegenstand etwas Gutes zu befördern, oder etwas Böses zu verhindern oder zu vergüten; – und analysiert ihr dieses Böse und Gute, so löset sich immer jenes in Schmerz, und dieses in Vergnügen auf.

Warum schwitzt der emsige Hausvater, mit schwerer Mühe, ganze Wochen durch über seiner Arbeit? – Um sich an einem festlichen Tage mit seinen Hausgenossen der Freude zu überlassen.

Der müde Tagelöhner versingt aus voller Brust das Gefühl seines mühseligen Lebens. Mit einer Wollust, die den Lieblingen des Plutus unbekannt ist, öffnet er, unter einen schattigen Baum hingeworfen, seinen sonnegeschwärzten Busen dem kühlenden Zefyr, und wenn ihn unverhofft das braune Grasmädchen beschleicht, vergessen beide – unter unschuldigern Scherzen vielleicht, als die eurigen sind, ihr Meister der feinsten Lebensart! – daß es Leute in der Welt giebt, welche glücklicher scheinen als sie sich in diesen Augenblicken fühlen.

Der Nepenthe, mit dem wir ein süßes Vergessen alles gegenwärtigen Kummers, alles vergangenen Leides, alles Sorgen der Zukunft einschlürfen, ist die Freude.

Wie unglücklich würden neun und neunzig von hundert Theilen des menschlichen Geschlechts seyn, wenn die mitleidige Natur nicht von Zeit zu Zeit etliche Tropfen aus diesem ihrem Zauberbecher auf die Beschwerden ihres Lebens fallen ließe!

Wir Griechen sind so sehr davon überzeugt, daß Freude das höchste Gut der Sterblichen ist, daß wir uns, so oft einer dem andern begegnet, nichts bessers zu wünschen wissen als Freude.

Was ist also der Mann, der nicht leiden will, daß wir dieser wohlthätigen Göttin opfern? – Er ist krank, wie ich sagte, oder – er ist noch was ärgers – ein Schurke.

Wenn ich einem Fürsten zu rathen hätte, so würd' ich ihm nichts eifriger empfehlen, als – sein Volk in gute Laune zu setzen. Kurzsichtige Leute sehen nicht, wie viel auf diesen einzigen Umstand ankommt.

Ein fröhliches Volk thut alles, was es zu thun hat, muntrer und mit besserm Willen als – ein dummes oder schwermütiges; und (unter uns gesagt, ihr Hirten der Völker!) es leidet zwanzigmahl mehr als ein andres; Eure Majestäten dürfen es kühnlich auf die Probe ankommen lassen.

Wenn die Athener bey guter Laune sind, so vergessen sie über einer Komödie, einer neuen Tänzerin, einem neuen fröhlichen Liedchen, den Verdruß über eine verlorne Schlacht, oder die schlimme Verwaltung ihrer öffentlichen Einkünfte. Alcibiades machte mit ihnen was er wollte, weil er das Geheimniß besaß, ihnen alle Augenblicke wieder einen Spaß zu machen, über dem sie das Böse vergaßen, das er ihnen zufügte. Drückt uns immerhin ein wenig, – wir würden es an euerm Platze eben so machen; – aber empört unsre Geduld nicht, indem ihr uns verbietet einen Theil unsrer Plagen wegzuscherzen. Das hieße, ohne den mindesten Vortheil auf euerer Seite, unsere Last verdoppeln, – und das wäre, um ihm den gelindesten Nahmen zu geben, sehr unfreundlich.

Ein fröhliches Volk, ein Volk das für Witz und lachenden Scherz empfänglich ist, läßt sich viel leichter regieren als ein schwerfälliges, und ist unendliche Mahl weniger zu Unruhen, Widersetzlichkeit und Staatsveränderungen geneigt. Religions-Schwärmerey und politische Schwärmerey, diese Ungeheuer, welche die schrecklichsten Katastrofen zu verursachen fähig sind, finden bey einem fröhlichen Volke keinen Zugang offen, oder verlieren bey ihm alle ihre Macht zu schaden. Steigt in irgend einem trüben Kopfe eine menschenfeindliche Grille auf, so scherzt und spottet man sie weg, und sie wird vergessen. Eben diese Grille würde unter einem milzsüchtigen Volke, bey einem mäßigen Zusammenflusse befördernder Umstände, die Gemüther in allgemeine Gährung gebracht, Unruhen und Spaltungen erweckt, die Verfassung des Staats in Gefahr gesetzt, und wenigstens ein halbes Dutzend der besten Köpfe gekostet haben!

»Es ist ein schlimmes Zeichen, sagte der alte Demokritus, wenn die Tugend unter einem Volke ein gravitätisches und aufgedunsenes Ansehen gewinnt. Irgend ein feindseliger Dämon schwebt mit unglückbeladenen Flügeln über ihm. Ich bin kein Tiresias, setzte er hinzu; aber ich weissage einem solchen Volke mit der zuversichtlichsten Überzeugung, daß mich die Zukunft keiner Lügen strafen wird: Dumm und barbarisch wirst du werden, armes Volk! Trebern und Distelköpfe wirst du fressen, und Dinge leiden müssen, vor denen Natur und Vernunft sich entsetzen; – und wenn du siehest, daß die Betrüger, von deren gleißnerischer Miene du dich hast hintergehen lassen, ihre Tage in Müßiggang und Wollüsten verzehren, das Mark deines Landes aussaugen, und deine Weiber und Töchter beschlafen, – wirst du die Augen zumachen und schweigen – oder mit offnen Augen zusehen, und doch schweigen, und dich bereden lassen müssen, du habest nichts gesehen!«

Glaubt mir, guten Leute! – doch was bekümmert mich das? – glaubt es eurer Empfindung – (wenn ihr euch diese abschwatzen laßt, so kann ich nichts dazu) – »Die Tugend, sie, die selbst die Mutter der besten Freuden ist, verträgt sich mit jeder schuldlosen Freude.«

»Und welche Freuden sind schuldlos?«

Fragst du mich das, Diofant? – Hast du keine Sinne, keinen Witz, kein Herz, kein sympathetisches Gefühl? Bist du keiner uneigennützigen Neigung fähig? Kannst du nichts außer dir lieben? – So will ich dir wenigstens sagen, welche Freuden nicht unschuldig sind. – Warum erröthest du? Fürchtest du, ich werde dich an das Ruhebette der tugendhaften Lysistrata erinnern? Besorge nichts! Möchten diese unter deinen geheimen Freuden die verdammlichsten seyn! – Die Schadenfreude, Diofant, die Freude, einen Unglücklichen, den du verfolgst, sich zu deinen Füßen krümmen zu sehen; die Freude, ein aufkeimendes Verdienst, das dich eifersüchtig macht, erstickt, eine Tugend, die dich verdunkelt, angeschwärzt zu haben; die Freude, durch niedrige Kunstgriffe dich des Ohrs eines Großen bemächtiget, oder die Erbschaft einer alten Thörin vor dem hungrigen Munde dürftiger Verwandten listig weggeschnappt zu haben; die Freude Böses zu thun, damit, wie du uns bereden willst, Gutes daraus erfolge: ich schwöre dirs bey allen Göttern und Göttinnen, Diofant, diese Freuden, wenn es gleich die deinigen wären, sind viel weniger unschuldig, als es die Freude der jungen Bacchanten war, welche diesen Morgen vom aufgehenden Tage bey Tanz und Saitenspiel und vollen Bechern und ermüdeten Mädchen überrascht wurden!


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