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Neuntes Kapitel

In der Hochfrühe, die dieser Nacht folgte, saßen nach dem allgemeinen Frühstück der Sintlinger, seine Frau und das Lenlein noch eine Weile am Tisch in der großen Stube.

»Ich hab's auch gehört«, sagte das Lenlein.

»Was?« fragte Johanna.

»Na, besonders gegen den Morgen. Das war ein Geschrei, als wenn sich hundert wilde Männer zanken«, antwortete Helene.

»Nein«, sagte die Bäuerin wieder, »nach dem Feuer bin ich bald eingeschlafen und nicht mehr erwacht. Bis heut morgen.«

Der Heiligenbauer sagte nichts, blickte nur immer wieder zum Fenster hinaus in die Kronen des Baumgartens und nickte Weile um Weile gedankenvoll, aber offenbar nur im Fortgang seines eigenen geheimen Sinnens.

»Andreas! – Du!! –« sagte Johanna und legte ihre Hand erinnernd auf seinen Arm.

»Ja. – Nun, was sagst du, Weiblein?« fragte er nach fast unmerklichem Auffahren.

»Die Butterfrau war doch heute schon auf dem Hofe. Die sagte, in Hemsterhus heißt's, der Meixner-Prophet habe sein Haus selber angezündet. Was meinst du?« Der Bauer antwortete nicht, sondern sah seiner Frau nur in unverwandtem Sinnen in die Augensterne.

»Ja, Andreas«, sprach Johanna lachend, »das weißt du doch schon lange. Die Art Augenreden höre ich nicht.«

»Kinder! Kinder!« sagte der Heiligenbauer endlich. »Es ist ein Elend mit den Menschen. Die Männer kriegen Bärte und bleiben Kinder. Sie händeln sich ums Riemzeug von Pferden, die sie nicht mehr oder noch nicht haben. Derweil prescht die Mähre, auf der sie gerade sitzen, mit ihnen hin, wohin sie will. Aber noch vorm Halsbrechen schimpft jeder über den andern. Ja – und daß Meixner selber angezündet hat, warum soll das nicht möglich sein?«

Dann folgte eine Stille.

»Der alte Zenker sagt«, begann Helene wieder, »unser Gottlieb war gewiß nicht bei dem Nachttollen.«

»Warum sprichst du ›unser Gottlieb‹, Lenlein?« fragte der Sintlinger sein Kind. Die aber wurde plötzlich bleich.

»Seid mal still«, sagte sie überstürzt. »Ganz still. – Nun! – Hört ihr's auch?«

Aber ehe der Heiligenbauer und sein Weib sich noch entscheiden konnten, wurde die Haustür aufgestoßen, schwere Stiefelschritte polterten den Flur her, und dann stürzte der jüngste Knecht förmlich in die Stube. Er war vor Aufregung wie von Sinnen.

»Reißt die Fenster auf, Bauer! – Aufreißen, sag' ich!

– Auf–rei–ßen!« schrie er.

»Was denn, Wendel?« fragte der Heiligenbauer ruhig.

Aber in dem Burschen überstürzte sich alles.

»Es böllert... sie schrein, wie die Wilden schrein sie. Die Querhovener sein tolle geworn. Die Glocken heulen mehr, wie sie läuten. Hört Ihr's denn nich? – Ha! Jetzt geht's gar noch in Brederode los!«

Schwaches Glockendröhnen drang durch die Tür. Der Sintlinger sprang auf, rüttelte den Knecht an der Achsel, als müsse er ihn aus dem Schlafe reißen, und rief lächelnd:

»Wendel! Holla! Du!«

Da erwachte der Knecht aus seinem Taumel, sah sich verdutzt um und wischte verlegen mit den Händen über die Knie. Dabei sagte er wie zu seiner Entschuldigung: »Der Rebeller von dazumal, sagen die Leute, steckt hinter allem. Sie haben's auf den Pfarrhof abgesehen.«

Allein, plötzlich fuhr er wieder auf:

»Verflucht! Jetzt geht's noch mehr los.«

Mit diesem Ausruf stürmte er wieder hinaus. Man hörte das Gesinde auf dem Hofe zusammenlaufen und durchs Tor verschwinden.

Johanna hatte ein Fenster angelweit aufgerissen.

Man hörte vom Tal herauf die Glocken schreien, kurz und schrill dazwischen das Geheul einer toll gewordenen Volksmenge und durch alles frommes Singen.

Der Heiligenbauer stand immer noch mitten in der Stube, wo ihm der Knecht davongelaufen war, nachdem er die Bemerkung von dem Rebellen gemacht hatte.

»Da werden wir uns also begegnen. Wir zwei. Und das vielleicht heute noch«, sagte er so leise, daß es niemand hörte. Als aber der Lärm des Aufruhrs jetzt noch deutlicher durchs Fenster scholl, wurde der Heiligenbauer blaß.

»Ich fahre hinunter«, sagte er ruhig, aber unheimlich jäh, »und das Lenlein muß mit. Zieh sie an, Johanna. Aber schnell!«

Die Bäuerin wußte, daß an Widerspruch nicht zu denken war, und erfüllte mit fliegenden Händen ihres Mannes Wunsch.

In kaum fünf Minuten stand das Pferd vor dem Wagen, und im nächsten Augenblicke rasten der Sintlinger und das Lenlein in dem Gefährt den Hübel hinunter, daß es aussah, als liege die Droschke dem Gaul auf dem Rücken.

Auf dem Grenzwege peitschte der Heiligenbauer das Pferd noch mehr an und ließ ihm dann die Zügel lang, daß es wie ein Pfeil schoß.

Das Gebrüll und Singen war jetzt schon nahe an Hemsterhus.

»Fürchtest du dich, Lenlein?« fragte er, ohne die Augen von Pferd und Wagen abzuwenden, bekam aber keine Antwort, und als er auf sein Mädchen blickte, sah er sie im Wagen zurückgelehnt, ihre reinen Augensterne voll Erwartung ins Grenzenlose gerichtet, und das leichte Gewand über ihrer Brust wogte stürmisch.

Da merkte er zum erstenmal, daß Helene kein Kind mehr sei. Davon fiel ihn eine tiefe Mutlosigkeit an, als sei sie nun nicht mehr im Besitz jener Mächte, in deren Schutze er wagen durfte, der Gefahr der Aufrührer und gar etwa dem unheimlichen Faber-Rebellen entgegenzutreten. Doch zuckte von diesem Zweifel kaum seine leinenführende Hand. Er lächelte, aber voll eines leidseligen Verwunderns. Das Pferd raste weiter.

Nun hatte es schon den Hübelrücken zwischen Querhoven und den Fremdhöfen hinter sich gelassen, und der Sintlinger übersah die wiesige Ebene nach Hemsterhus hin.

Die Glocken hatten aufgehört zu stürmen. Das Männergebrüll war verstummt, nur das fromme Singen ging gedämpft weiter.

Die Weltallsglocke des Himmels lag in strahlendem Blaufrieden über der jungen Erde, und drüben auf dem Wipfel einer Weide sah er zurückgebogen, schütternd einen Finken singen.

Da mäßigte er die Gangart des Pferdes.

Doch immer noch im Galopp ging es auf dem alten Grenzwege weiter, während er drüben auf der neuen Chaussee den Zug der Querhovener eben zwischen den ersten Häusern von Hemsterhus verschwinden sah. Ein riesiges, rohes Kreuz wurde an der Spitze des Haufens getragen.

Des Heiligenbauers tiefe Ruhe, sein friedevolles Einssein hatte wieder volle Gewalt in ihm.

An der Schenke, wo sich die Wege kreuzten, war es still wie ausgestorben. Nur ein hochgewachsener, städtisch gekleideter, junger Mensch stand unter der Tür und trat ins Haus zurück, als der Heiligenbauer vorüberfuhr, weiter dorfaufwärts, gegen Kirche und Pfarrhof hin, wo es von unzähligen Stimmen brauste.

Doch ehe er hingelangen konnte, brach das wilde, ohrenbetäubende Gebrüll von neuem los. Die Glocken heulten, und das fromme Singen klang mit beschwörender Inbrunst darein.

Als er auf dem Platze vor dem Pfarrhof erschien, hörte er eben Meixners Stimme rufen: »Haut alles zusammen, was sich euch entgegenstellt, Brüder. Zerbrecht den Zaun! Wir wollen zum Pfarrer!«

Ein hundertstimmiger Schrei des Entsetzens erscholl, das Volk strömte zurück, dumpfe Beilschläge krachten los, und Holz splitterte. Zugleich aber riefen die ersten Zuschauer, die ihn erkannten: »Der Heiligenbauer! Das Heiligenlenlein! Auf die Seite!«

Erlöst und jubelnd zugleich klang das.

Der Sintlinger stieg blaß und ernst, ruhig vom Wagen, hob das Lenlein zu sich heraus, übergab das Pferd einem Knecht und schritt mit seinem Kinde Hand in Hand durch die Gasse, die entstand, auf den Pfarrhof zu.

Um den niedergehauenen Zaun hatten sich die »Gottesstillen« von Querhoven geschart, die ihren verwilderten Freunden sich an die Fersen geheftet hatten, um vor der Öffentlichkeit nicht mit ihnen verwechselt zu werden und, als ein Vorwurf und eine Mahnung des Herrn, ihnen immer nahe zu sein.

Ihr Lied brach sofort ab, als der Heiligenbauer und das Lenlein durch sie hindurchgingen. Schauer, beglücktes Glänzen kam in ihr Gesicht, und man hörte aus ihrer Mitte den Ruf: »Gott sei Dank.«

Drinnen im Hofe aber war die wilde Rotte um ihren Propheten, den Prahl-Meixner, versammelt. Sie trugen jeder einen Strick aus Goldweidenruten um den Leib geschlungen, in dem bei den meisten ein Beil, bei einigen ein langes Messer hing. Von der nachtlangen Exaltation waren alle fahl, überreizt, ihre Augen weit und schreckhaft mit dem geilen, furchtsamen Blick von Flagellanten, kümmerliche, unschöne Männer, die sich nur durch Wildheit ihrer Betretenheit erretteten. Jetzt aber standen die zwanzig, fünfundzwanzig Männer zu einem undurchdringlichen Klumpen hinter dem Prahl-Meixner geschart, der wie ein irrer Anachoret ihre Forderungen gegen die Fenster des Pfarrhofes hinaufschrie und von Zeit zu Zeit mit den Fäusten gegen die verschlossene Tür donnerte. Aber niemand ließ sich blicken außer der Köchin, deren bleiches Gesicht dann und wann hinter dem vergitterten Küchenfenster auftauchte und sofort verschwand.

Aus dem Schulhausfenster aber lehnte Liborius Pfeiffer heraus und schrie in das Toben Meixners seine Verwünschungen:

»Satan! – Verfluchter Höllensohn! – Teufelsseele!« Das andere ging im Lärm verloren.

Plötzlich flog ihm ein Stein vor die Brust.

Er warf die Hände in die Höhe und verschwand. Wieherndes Gelächter der »Täufer« folgte. Der Prahl-Meixner griff des Kantors letztes Schimpfwort auf und rief in die Stille, die entstand:

»Jawohl, wie Teufel habt ihr uns behandelt. Nun beschwert euch nicht, daß wir wie die Teufel gegen euch sein werden.

Komm heraus, Pfarrer! Kein Haar soll dir gekrümmt werden. Aber wir wollen nicht wie die Bettler vertrieben werden, wir wollen unseren Glauben behalten, unsere Toten sollen nicht wie Gehängte behandelt werden und unsere Kinder nicht wie junge Zuchthäusler. Wir wollen Frieden!

Komm heraus, Ardelt, oder wir schlagen deine Tür ein.«

Meixner riß das Beil aus dem Weidengurt, die übrigen taten dasselbe.

In diesem kritischen Moment trat der Heiligenbauer mit dem Lenlein aus der Schar der Gottesstillen heraus. Da spürte er, daß jemand auf ihn zudrängte. Als er sich umwandte, erkannte er den Harmonika-Meixner. Sein Auge war voll einer solch bittenden Hingegebenheit, daß er das Lenlein in seine Hand gab und schnell über den Platz durch die Tobenden auf die obersten Stufen an die Pfarrhaustür sprang.

Der Prahl-Meixner, der eben das Beil hob, um die Tür zu zertrümmern, zuckte zusammen, als der Heiligenbauer unvermutet neben ihm auftauchte, und trat unwillkürlich eine Stufe zurück.

»Guten Morgen, Meixner!« sprach der Sintlinger unbefangen mit gewinnender Herzlichkeit. »Verzeihe, ich bin gekommen, dir zu helfen.« Damit wandte er sich zugleich an die anderen.

»Ihr Männer, euch auch. Ihr wollt euern Acker behalten. Wenn ihr Acker braucht, kommt zu mir, und ihr sollt erhalten, so viel ihr wollt. Darauf gebe ich mein Wort vor allen in Meixners Hand.«

Er tat es.

Dann fuhr er fort: »Ihr wollt euern Glauben behalten. Man kann einem Menschen den Bissen aus den Zähnen, aber niemals, mit keiner Macht, den Glauben aus der Seele reißen. Das kann jeder nur allein durch eigenes Unrecht, das er tut. Gewalttat aber ist immer Unrecht. Also hängt Beile und Messer in den Weidengurt. Und nun will ich für euch mit dem Herrn Pfarrer reden. Habt nur ein paar Augenblicke Geduld, und alles ist gut.« Er ergriff nochmals Meixners Hand, drückte sie herzlich und sagte: »Nicht, so wollen wir's machen, Lieber.«

Dann ging er, klopfte leise ans Küchenfenster und rief begütigend hinein. Als er an die Tür zurückkam, öffnete die alte Wirtschafterin, ließ ihn ein und schloß die Tür hinter dem Sintlinger wieder ab.

Durch die Menge liefen immer neue Rufe des Erstaunens über den Sintlinger, und alle waren auf den Ausgang gespannt. Meixner war vollends in den Hof getreten, hatte das Kreuz von dem Grabe des wiedertäuferischen Freundes aus Gethsemane ergriffen, konnte sich vor Betroffenheit nicht fassen, brach dann und wann in höhnisches Gelächter aus und eiferte seinen Anhang an, wenn der Windmacher mit leeren Händen herauskäme, sich durch nichts mehr irremachen zu lassen, sondern drauf und dran zu gehen. Jetzt sei das Eisen heiß, jetzt müsse es geschmiedet werden.

Doch niemand antwortete ihm, alle wichen ihm mit den Augen aus.

Da schrie eine Weiberstimme im Innern des Pfarrhauses voll verzweifelnden Schmerzes schrill auf und brach dann in lautes Weinen aus. Das Wehklagen kam langsam dem Ausgang zu.

Dann ging die Tür auf, und der Heiligenbauer trat, leichenblaß, bestürzt heraus, ließ sein feucht überschimmertes Auge traurig auf allen ruhen und konnte eine Weile nicht sprechen. Endlich hatte er sich gefaßt.

»Der Herr Pfarrer ist eben am Schlage gestorben. Er bittet alle um Verzeihung. Also hat Gott alles geschlichtet. Und nun stört nicht die Ruhe des Toten, geht nach Hause. Für das andere sorge ich.«

Alle waren erschüttert.

Das Lenlein eilte an der Hand Gottlieb Meixners auf ihren Vater zu. Die »Gottesstillen« drängten voll Freude, Glück und Dank nach. Die Aufwiegler fingen an sich zu zerstreuen und gingen ohne Gruß an ihren Führer davon.

Dieser aber stand aschfahl, mit entgeisteten Augen, steinsteif, die Hände verzweifelt um den Stamm seines Kreuzes verkrampft.

Er sah den Sintlinger an der Seite des Lenleins einige Schritte vor sich, im Begriff davonzugehen, mit dem alten Vanlyßender sprechen.

Alle blickten nur auf die beiden Männer.

Niemand achtete auf den entthronten Fürsten, noch weniger auf die Veränderung, die mit ihm vorging. Seine Augen waren brennend auf den Heiligenbauer gerichtet. Plötzlich flackerten sie wolfsmäßig auf, sein Gesicht verzerrte sich zur Fratze. Er packte das Kreuz und holte gegen den Sintlinger zum furchtbaren Schlage aus.

Aber das Lenlein schrie auf und riß ihren Vater an sich. So schmetterte der Kreuzbaum auf die Erde und zersplitterte.

Der Angriff war so unvermutet, mit einer solchen Wildheit erfolgt, daß die Umherstehenden voll Schrecken auseinander stoben und ohne klares Begreifen von dem erblaßten Sintlinger zu dem Meixner sahen, der mit vornübergebeugtem Körper, gespreizten Beinen, keuchendem Maul und aufgerissenen Augen in tierischer Verblüffung dastand.

Alle sahen, daß ein höllischer Sturm in ihm arbeitete. Er versuchte zu schreien, aber er brachte keinen Laut heraus. Da ließ er das Wiedertäuferkreuz los, hob die Arme und öffnete die Hände wie krampfstarre Fänge. So begann er taumelnd, durch den ganzen grotesken Körper geschüttelt, auf den Sintlinger loszugehen und schon beim ersten Schritt einen Laut auszustoßen wie das Röcheln eines Tigers.

Es war ein Anblick lähmenden Entsetzens.

Selbst der Heiligenbauer wich vor diesem schrecklich verzerrten Gesicht zurück.

Nur Gottlieb Meixner war schnell von des Lenleins Seite getreten und lautlos hinter ihn gelangt. Nun sich dies offenbar irre Menschentier mit dem Gestöhn einer Schlucht in der Brust auf den Sintlinger zu in Bewegung setzte, sprang ihm der Bursche mit einer solchen Wucht von hinten auf den Rücken, daß der Riese von dem unerwarteten Anprall wie ein umgestoßener Pfahl vornüber zur Erde fiel.

Und nun arbeitete und schlug Gottlieb auf den Daliegenden bis zur völligen Erschöpfung ein. Niemand rührte sich, den toll gewordenen Burschen von seinem Opfer zu trennen, ja, der Prahl-Meixner selbst ließ alles wehrlos an sich geschehen, als sei er plötzlich ein Büßer geworden, an dem ein gerechtes Gericht vollzogen wird. Ja, er knirschte und stöhnte nicht einmal, obwohl er schon aus vielen Wunden blutete.

Als sein Neffe endlich von ihm abließ, erhob er sich und ging schweigend, ohne jemand anzusehen, mit geneigtem Kopf davon, aus dem Dorfe, über die Felder, ohne auf Weg und Steg zu achten, immer geradeaus dem Walde zu.

Keiner wagte ihn zurückzuhalten.

Voll unerklärlichen Grauens folgte man ihm mit den Augen und sah, wie er gebückt im Dickicht verschwand. Nach kaum einer Viertelstunde erschien ein Gendarm in Hemsterhus, um den Anführer der Querhovener Landfriedensbrecher zu verhaften und ins Gefängnis abzuführen. Allein, er hatte sich der irdischen Gerechtigkeit schon entzogen. Der Beamte fand ihn in der Fichtenschonung, wo er sich kniend erhängt hatte.

Das schöne Mathinklein, des zerstörten Großbauern Tochter und einziges Kind, war durch die Schande, in die ihr Vater sie gebracht hatte, wie von Sinnen vor Schmerz.

Noch in derselben Nacht floh sie aus Hemsterhus, und Peter Brindeisener, der zum langen Feiertrunk der glänzend bestandenen Maturitätsprüfung schon früh in die Hemsterhuser Schenke gekommen war und von hier aus den Rottengang der Aufsässigen mit angesehen hatte, ließ Durst und Freude auf sich warten und begleitete das unglückliche schöne Mädchen durch den Wald auf den Bahnhof zu Bocholt.

Einige Zeit nachher traf Johanna ihren Mann trostlos und niedergeschlagen am Waldrande sitzen.

Er klagte seiner Frau, daß er allein nichts vermöge, daß er wehrlos sei inwendig und auswendig.

»Was soll denn werden«, rief er nach einer trüben Pause aus, »wenn uns, wenn mir – mir – mir – das Lenlein genommen wird? Dann geht es mir wie einem Wasser, dessen Quelle vertrocknet; wie einem Winde, der seine Erde verliert; wie einem Hause, dem zur Nachtzeit das einzige Licht erlöscht; ich versiege, verliere den Weg und verfinstere.« Johanna fuhr ihrem Manne mit linder Hand über die Haare und sprach ihm Mut zu.

Der Heiligenbauer schüttelte den Kopf und antwortete: Ja freilich müsse alles getragen werden, das wisse er schon, aber seltsam sei es immerhin, wenn er im Dunkel hier am Walde sitze und über die Wiese schaue, springe immer solch Graues an ihm in die Höhe.

Es war die Faberwiese, die vor ihnen lag, mit dem Strauchhaufen und dem Quelltümpel in der Mitte.

»Andreas, das ist Einbildung«, sagte Johanna zu ihrem Manne, zog ihn am Arme gewaltsam zu sich herauf und fragte im Weitergehen mit lustigem Hohnlachen: »Was sollte gerade die Wiese getan haben, daß du so miesherzig werden mußt. Weißt du's Andreas? Ich nicht.«

Der Heiligenbauer antwortete nach einer Weile vieldeutig:

»Ja, Weiblein, wer kann das wissen! Denk dir mal das Seltsame, Johanna, in der letzten Zeit ist's mir schon oft sicher gewesen, daß unsere eigenen Fehler der Grund sind, warum andere uns Schaden zufügen können. Denn wo keine Tür ist, da ist auch kein Eingang.«

Unter solchem Gespräch waren der Heiligenbauer und sein Weib in den Hof zurückgekehrt, in dem schon alles im Schlaf lag.


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