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Zehntes Kapitel

Trotzdem war kurze Zeit nach jenen Vorfällen das Seelenwetter des Sintlingers nicht das ruhigste. Aber er ließ sich aus dem Bereich des Geistes doch nicht herausbringen, in den ihn sein Leben und vor allem sein geblendetes Kind geführt hatte.

Auch als die ganze Gegend von der Anklage des toll gewordenen Gottlieb widerhallte, regte sich der Heiligenbauer zu keinen Gegenmaßnahmen. Trotzdem der Bursche nichts tat, als gegen das Kind zu wettern: das Sintlingermädchen habe ihm die Seele gestohlen, behauptete er in wilder Einförmigkeit, es sei kein richtiger Mensch, sondern ein albisches Wesen, aus allem unterirdischen Schäumen des Sintlingerschen Tollblutes gemacht, und wem daran liege, bei sich selber zu bleiben, der solle sich hüten, in das Licht ihrer verhexten Augen oder in den Bereich ihrer besprochenen Stimme zu kommen.

Immer von solchen Schimpfreden gebeutelt, wanderte er aus einer Schenke in die andere, belästigte, wen er nur erwischen konnte mitten auf den Wegen, zerwühlte einsame Wiesen mit seiner Schmerzunruhe, dörrte sich auf sonnigen Abhängen bis ins Flimmern tierischer Glutaugen und versank endlich auf tagelangen Streifereien durch unwegsame Walddunkelheiten in finstere, stumme Geladenheit, die tagelang währte, als sei sie der Beginn jener dumpfen Verblödung, in die die Exaltationen Verrückter so oft münden.

Allein, wenn dann seine Mutter zu hoffen begann, daß sich ihr Sohn durch die Tür des Schweigens zu seinem alten Wesen zurückfinden werde, warf er alles wieder in der alten Rumpelfahrt um. Unversehens fast. Ein verlorener Sonnenstreifen, der über sein Auge spielte, das ferne Anhauchen einer kindlichen Singstimme, einmal sogar das Flügelhuschen eines Vogels vor dem geöffneten Fenster genügte, sein Schäumen aus allen geheimen Banden zu reißen und ihn wieder durch die Schenken, auf die Wege, durch Dörfer und Einsamkeiten zu führen und die ganze Gegend mit der verrückten Beteuerung zu erfüllen, daß ihm das blinde Kind auf dem Heiligenhofe die Seele gestohlen habe. Der Prahl-Meixner, sein Onkel, war im geheimen immer hinter ihm, gab ihm in allem recht, richtete seinen Beutel an, der sich bei diesen ruhelosen Wanderungen sehr bald verschwächte, und nahm ihn gar in seinem Hofe auf, als die Meixner-Sale, seine Mutter, alle Hoffnung verlor und ihn des Hauses verwies. Denn der große Elis von Querhoven, wie man den Bauer hin und wieder spöttisch nannte, betrieb sonst das ärgerliche Tollen und bunte Schwärmen in der Gegend selber und fand es nun einmal ausnehmend bequem und possierlich, gleichsam sich selber zuzuschauen, wie er die Dörfer auf und zu wirbelte. Ja, der Gottlieb brachte das plärrende Krachen mit der Stimme, das endlose Geräusch, das eigentlich nur aus Beleidigungen und Verunglimpfungen bestand, noch besser als er selber fertig. Nur die harte Stirn fehlte dem Gottlieb, mit der der Prahl-Meixner allen Schimpf an sich abprallen ließ, den ein solches Leben des Ärgernisses immer einbringt. Denn sobald dem Burschen ein Gesammelter ruhig mitten in den Strom seiner Schimpfereien schnitt, konnte er sich nicht wie sein Onkel mit einem knotigen Witzeln aus der Schlinge ziehen, sondern hörte sich die Vorhaltungen des Ehrenmannes an und schlich geduckt davon, ja, manchmal bekam er gar beißende Tränen in die Augen und ließ sich dann tagelang aus seinen Waldverstecken nicht herauslocken.

Wenn es nicht vollkommen absurd wäre, weil sein Wesenszusammenbruch von einem kindhaften Mädchen herrührte, so müßte man sagen, er benahm sich wie ein Hilfloser, dem die Liebe das erstemal im Leben die Seele bis auf den Grund umgepflügt hatte. Allein, die Leute merkten an seinem Schicksal doch einen geheimen Schimmer himmlischen Glanzes, denn nur wenigen der tausend unfreiwilligen Zuhörer fiel es ein, seine Lästerungen ernst zu nehmen und den Heiligenhof mit all seinen Insassen wieder in den Schatten seines alten, schlechten Rufes zu rücken, sondern man hörte aus seiner Wut nur die Verkündigung wunderbarer Kräfte heraus, mit denen das blinde Kind des Sintlingers ausgerüstet war.

Gottlieb Meixners Zorn wirkte dasselbe wie das leise Lied der Schwerdtnerin, nur daß sie das gerade Gegenteil behauptete, von dem Mädchen ein neues Leben geschenkt erhalten zu haben. So wurde das Lenlein von den beiden, von ihrem Verleumder und ihrer Bewunderin, in den Schein eines fast außerirdischen Daseins gehoben, und der Name Heiligenhof, der einstmals nach der Geburt des Mädchens mehr spöttisch als ernst dem Besitztum ihres Vaters beigelegt worden war, bekam jetzt einen noch wundersameren Klang tiefer Bedeutung.


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