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Neuntes Kapitel

Das Lenlein war bald das Fieber und die Angst wieder los, in die es der wild gewordene Knecht getrieben hatte. Meixner-Gottlieb aber verschwand noch denselben Tag unter dem Schütze des Abenddämmerns vom Hofe und erschien spät in der Nacht vor dem Hause seiner Mutter in Querhoven. Er donnerte ungestüm wie ein Trunkener mit einem Knüppel gegen die Tür, und als sein Onkel – die Mutter wagte sich aus Furcht nicht über die Bodenstiege hinunter ins Haus – bestürzt und ärgerlich den Riegel zurückgeschoben hatte, stürzte der Bursche schweigend, wie er draußen gestanden hatte, an dem Alten vorbei, fiel taumelig an der Hauswand zu Boden und begann sofort mit einem seltsam gurgelnden Atem zu schlafen. Kein gutes und böses Wort, kein Gerüttel vermochte ihn wachzukriegen, und als der Alte über sein Gesicht tastete, fühlte es sich welk und kühl an, beim Scheine einer Lampe aber gewahrte er, daß es in einem fort von Stößen lautloser Tränen überströmt werde.

Deswegen faßte Zenker an und trug den Gottlieb in die Stube auf die Wandbank, legte ihm ein Bündel alter Kleider unter den Kopf und rückte den Tisch hart heran, daß der Bursche, der an seinem Schlaf wie an einer Krankheit litt, nicht herunterfalle, wenn er sich rühre.

Als am anderen Morgen die beiden alten Geschwister bei guter Zeit aus ihren Betten auf dem Boden herunterkamen, saß der Gottlieb schon aufrecht da, den einen Ellenbogen auf die Platte des weggeschobenen Tisches gestützt, den anderen Arm aber steif mit ausgebreiteter Hand wider den Banksitz getrieben, wie ein Stock, der in die Erde gestoßen ist. Sein Gesicht, blaß und bitter, war geneigt, die Augen standen regungslos und verloren. So saß er und rührte sich nicht. Kein Fragen nutzte, kein Rütteln half, und als ihn der alte Zenker packte und aufstellte, hing er wie ein Sack in seinen Armen, kehrte aber, losgelassen, wieder in die frühere Gebärde eines erschöpften, irrgewanderten Flüchtlings zurück.

Bis dem braven Wirtschafter doch der Draht zu kurz wurde und er mit einem zornigen Faustschlag auf den Tisch erklärte, daß, wenn er nicht krank oder trunken vom Hofe zu Hemsterhus gekommen sei, ihn irgendwie ehrenrührige Teufelei über den Hübel hinuntergetrieben habe. Kaum aber hatte der Alte Zeit, das letzte Wort dieser Beschuldigung herauszubringen, so kam über den Gottlieb eine fast irre Wut. Er sprang auf, verfärbte sich noch um einen Ton ins Fahlere und machte Miene, loszugehen. Seine Mutter aber fiel ihm in die Arme, und so immer gegen sie ringend, brüllte er wie ein Todwunder: »Die Seele haben sie mir gestohlen! Die Seele haben sie mir gestohlen, die dreimal Verfluchten, ihr werdet's alle sehen!« Dann mengte er unter immer neuen Verwünschungen die Schwerdtner-Josefa, das Leierweib, das Lenlein, den Bauer, die Bäuerin und das ganze Gesinde untereinander, daß niemand klug daraus werden konnte. Am wildesten aber war seine Wut über das blinde Kind auf dem Heiligenhofe.

Ihren Namen sprach er leise in schmerzvollem Haß noch eine Weile vor sich hin, als er schon wieder regungslos hinter dem Tische saß wie vorhin und auf alles Zureden hartnäckig schwieg.

Zenker und seine Schwester waren nun nicht klüger als vorher, doch hatte ihre Sorge wenigstens ein Zipfelchen von Ahnung durch den Zorn in die Hand bekommen, den der Bursche auf das Heiligenlenlein geworfen hatte. Was es aber mit dieser Wut für eine Bewandtnis habe, war dem Burschen nicht mit Winden und Schrauben abzugewinnen, daß dem Alten endlich nichts anderes übrigblieb, als sich auf dem Sintlingerhofe reinen Wein einschenken zu lassen.

Indes, kaum tat Zenker die alten Schlürfer von den Füßen, stieg umständlich in seine Langschäfter und langte sich die Jacke aus dem Kramwinkel neben dem Topfschränkchen, so brach das Toben abermals aus dem versunkenen Burschen, und zwar diesmal mit solcher Unbändigkeit, daß es wirklich schien, in seinem Kopfe seien alle Dübel auf einmal geplatzt. Nicht nur, daß er wieder die Bewohner des Heiligenhofes durch alle Pfützen der Lästerung schleifte, er schwor, nie mehr in seinem Leben durch dies verfluchte Tor zu gehen. Aber ebenso sicher sei es, daß seine Sachen auf ewig dort bleiben müßten, wo er sie hingelegt habe, in der Kammer auf dem Sintlingerhofe, und wenn nur einer Miene machte, sie von da wegzubringen, sie hinter die Scheuer auf den Scherbenhaufen zu werfen oder hierher zu schicken, irgend so etwas dergleichen, so, das schwöre er, passiere das Schlimmste. Da sei es mit ihm zu Ende, und er müsse den Hof anzünden, das Getreide auf dem Halme, oder das Vieh mit Nadeln füttern.

»Das tue ich!« brüllte er am Schluß, machtlos und heiser. »Das tue ich. Denn das Kind hat mich um meine Seele gebracht.«

Allein, der Alte hörte schon gar nicht mehr nach ihm hin, sondern schritt finster und blaß über die Schwelle aus dem Hause, seine Schwester hinter ihm, mit bebender Hand den Schürzenzipfel in die Augen pressend.

Das Haus der Zenker-Rosalie lag in einem geräumigen Gras- und Baumgärtchen, kaum zwei Beete weit vom Hornwasser, über das ein Schwartensteg in die Dorfgasse führte. Dort eben, als Zenker den ersten Schritt auf das wacklige Brücklein getan hatte, erwischte Rosalie seine Hand und sah ihm verstört in die Augen.

Da schüttelte er als Antwort stumm den Kopf, sah ernst die Hüttengasse Querhovens hinauf und dann hinunter, und die Blicke der Armen hingen an seinem Betrachten. Auf diese Weise gerieten die Augen der beiden an einen Hof, der auf einem felsigen Bodenstoß fast senkrecht über dem Hornwasser lag, das dort eine Art Teich bildete, ehe es um die Felsen fand.

Dieses Gehöft, das weitläufig und wacklig, stolz und struppig zugleich war, gehörte dem einzigen Großbauern von Querhoven, dem Elias Meixner.

»Von dem hat er's. Sonst nichts«, sagte Zenker dumpf, als sie eine Weile die Wirtschaft betrachtet hatten.

»Meixnergetolle! Sägespäne, kein Zenkerblut, Sale, nicht eine Ader Zenkerblut! Adje. Ich will sehn, wie ich beim Sintlinger wieder die Mutter auf die Schraube bring'.«

Die letzten Worte sprach er schon im Gehen. Dann sah ihn die Frau schon nicht mehr, sondern hörte nur von Zeit zu Zeit sein leises Gehüstel, das wie höhnisch belustigtes Lachen klang, so wie: »Laßt mich mit den Menschen zufrieden!«

*

Auf dem Sintlingerhofe fand er den Bauer gleichmütig und gefaßt wie immer, nicht eine Spur der Luft war zu merken, die sein Neffe eingesogen hatte und die nichts anderes vermuten ließ als das eine, aus dem Heiligenhof sei wieder der Fremdhof geworden, und der Teufel reite schon am frühen Morgen auf allen Hexen.

Nur Johanna verfärbte sich furchtsam, da sie von dem vollkommenen Umsturz Gottliebs hörte, tröstete sich dann wohl einen Augenblick in dem Gedanken, daß den Burschen ein Wahnsinnswirbel gepackt habe, verfiel aber schließlich doch noch in ernste Befangnis wegen des besonderen Hasses, den der verkehrte Mensch gerade auf das Lenlein geworfen, und seiner abscheulichen Drohungen gegen den ganzen Hof.

Der alte Zenker aber saß, drehte seine Mütze zwischen den Knien und schüttelte begütigend und mißbilligend den Kopf zu allem, was die Bäuerin sprach. Und als sie damit zu Ende gekommen war, meinte er, wenn es dem Gottlieb wirklich den Kopf aus allen Gelenken rücken sollte, daß er herkäme, um über den Hof den roten Hahn zu blasen, so wäre er, sein Onkel, noch immer da, und anders als über seinen todkalten Leib gelinge es dem Burschen nicht, durchs Tor zu kommen.

Der Sintlinger und sein Weib sahen gerührt den biederen Alten an, aber aus einem anderen Grunde, als Zenker glaubte.

»Natürlich«, sprach er lächelnd weiter, »denkst du denn, Bauer, daß ich noch einmal nach Querhoven hinübergeh? Seit der Bursche so ist, schüttert doch das Haus der Sale den ganzen Tag wie eine Tollbude. Und da lärmt noch das Kopfkissen im Bett. Also, zusammengeflickt bin ich wieder zum gröbsten, und wenn du auf dieselbe Seite siehst wie ich, bin ich, was ich früher war, und bleibe auf dem Hofe.«

Das war der Sintlinger zufrieden, wenn er auch meinte, die ganze Treiberei mit dem Gottlieb habe gar nichts auf sich, denn den Burschen habe niemand als der Querhovener Bock und das an einer besonders verrückten Seite gestoßen oder, wie der Pfeifferkantor von Hemsterhus sagen würde, der wiedertäuferische Teufel habe ihn unter der Fuchtel.

Also lächelte man am Ende über den ganzen Handel. Der Kram Gottliebs blieb auf der Kammer des Sintlingerhofes, wo er ihn hingelegt hatte, der alte Zenker kutschierte die Wirtschaft wie früher, die Bäuerin führte ihr altes gütig-festes Regiment im Hofe.

Der Sintlinger aber wurde vornehmlich von einem verwundernden Staunen angehaucht über die Macht seines einzigen Mädchens, wo immer sie das Gesicht hinlenke, ungewöhnliche, tiefgehende Ereignisse zu wecken.


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