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Sechstes Kapitel

So konnte der Strom ungehindert weitersteigen. – Nach Verlauf von einigen Wochen trat der Prahl-Meixner aus seinem abseitigen, notvollen Schweigen etwas heraus und gesellte sich müden, abgeschlagenen Mutes, daß es alle ergriff, die ihn beobachteten, dann und wann den geheimen Erbauungsstunden der »Querchristen« bei, wie man die Sektierer des Dorfes in der Umgegend auch getauft hatte. Wie ein verlaufenes Tier, scheu und geduckt, tauchte er auf, hielt die Hände wie frierend in den Taschen vergraben und verharrte, zusammengesunken in einem Winkel lehnend, den Kopf auf die Brust gedrückt, teilnahmslos während der langen Andacht, grüßte niemand beim Davongehen, wie er keinen bei der Ankunft anzusprechen pflegte.

Die nahe Auflösung eines Menschen macht sich durch den unvermittelten Bruch mit dem alten Wesen und allen Gewohnheiten geltend. Die Leute verlieren den Schritt, wie man zu sagen pflegt. So sah man auch in der vollkommenen Verwandlung des Prahl-Meixner den Beginn seines nahen Endes, zudem er noch gerade bei den Stillen sich einstellte, jener Partei, bei der seine Frau den Trost und zugleich den Mut zur letzten Verzweiflung gefunden hatte. Man glaubte sich auch berechtigt, darin den stummen Ausdruck eines Schuldbekenntnisses scheuer Reue und unbeholfener Pietät zu erkennen. Wieviel Recht allen diesen Vermutungen zuzumessen ist, läßt sich schwer sagen. An einem »Abend«, der diesmal in der Wuhle im Rütschhause abgehalten wurde, hatte der Prahl-Meixner wieder seiner Gewohnheit gemäß zusammengesackt, schreckhaft-drohend, mit verstecktem Gesicht in einer Ecke die halbe Feierstunde hingebracht, als er beim Sprechen der Ursula plötzlich jäh auffuhr.

Die Rütschin war wieder ganz in ihre alte »Jenseitsbeglückung« geraten und sang das Lob des seligen Todes, und je tiefer sie in das Licht der Gesichte ihrer gestorbenen Kinder geriet, desto unwirklicher wurde ihre Stimme.

Der Prahl-Meixner zuckte wie von einem Stich aus seiner Versunkenheit, wuchs steif zu seiner ganzen Länge empor, kriegte ein Martergesicht und mußte immer lauter, wie am nahen Weinen, schlucken. Plötzlich stieß er den Todesschrei eines gequälten riesigen Tieres aus, fegte mit Arm und Bein alles beiseite, was ihm im Wege stand, und stürzte der Tür entgegen ins Freie.

Man rechnete auch diesen Vorgang zu den vielen wundersamen Erweckungen, sah alle Vermutungen über den Seelenzustand des unglücklichen Bankrottbauern erfüllt und wartete mit ehrfürchtiger Scheu, welche Bahn sein Schicksal ihn führen würde, den Weg der »schwarzen« oder »weißen« Vergeltung, also den Weg des freiwilligen Todes oder den Weg der lichten Lebenserhöhung. Doch wartete man vergeblich auf das eine und das andere. So ähnlich die Umstände seiner Erweckung mit der seines Neffen, des Harmonika-Meixner, waren, so ganz abweichend von dem gewohnten Gnadenwege stieg der Prahl-Meixner in seine Höhe.

Von Gott als einem Räuber unversehens angefallen und peinlich überwältigt, verfiel der große Elis unmittelbar darauf in eine menschenscheue, wilde Frömmigkeit. Seine Tagesarbeit wurde ein atemloses Ringen. Ruhe fand keinen Platz mehr in seinem Hause, und wenn er abgeschlagen mit zugefallenen Augen saß, ging fortwährend ein Beben durch die Falten seines Gesichtes, das fast wie das Gesicht eines Gorilla aussah, dessen Wesen zwischen Schlaf- und Tobsucht schwankt, unheimlich, ergreifend, erfüllt von unterirdischen Feuern. Mitten in der Nacht, bei finsteren Fenstern, begann er aus irgendeinem Winkel heraus mit seiner wilden Tierstimme, dröhnend, daß die Hütte bebte, fromme Lieder zu singen.

Er sang furchtbar, formlos, zuletzt wie das eingefangene Brausen einer Schlucht, so daß die, die eine Zeit zugehört hatten. von einem Frost befallen wurden und erschüttert davongehen mußten.

Und andere Male hörte man ihn nur Schreie, dumpf und lang wie Posaunenstöße, von sich geben, und dann arbeitete es ächzend mit schwirrenden, klatschenden, zersplitternden Holzstäben wie in einer Folterkammer.

Man beobachtete, daß er nur von Wasser und Brot lebte und zum Schlaf in kein Bett kam, sondern, wo er gerade stand, zu kurzer Rast in die Hobelspäne sank.

Wenn er sich zeigte, abgemagert, vornübergebeugt, wie ein Gespenst seiner selbst, so trat ins Haus, wer vor der Türe stand, erschreckte Gesichter bogen sich vom Fenster zurück, die Kinder stoben davon. Nur alte und manche junge Weiblein wurden von diesem Bilde verwitterter, zerstörter Glaubenszerknirschung schmerzhaft bis in den Schoß erschüttert, so daß sie mit demütig stockender Stimme grüßten: »Gott blüh' uns, Meixner.«

»Er blüh'«, dankte der Selbstpeiniger hohl und überflackerte sie dabei mit einem Blick, den sie wie das Lecken einer Flamme heiß über den ganzen Körper und oft so tief in sich hinein fühlten, daß ein Taumel zum Hinsinken über sie kam.

Nicht lange danach, da Meixner wieder begann, sich öffentlich zu zeigen, starb in Querhoven ein altes, einschichtiges Weiblein, die Mechtildis Tautz hieß, von niemand aber anders als die alte Mechtel genannt wurde. Sie trug nicht zufällig den gleichen Namen wie jene unglückliche Jungfrau, die vor mehr als einem halben Jahrhundert aus religiöser Verängstigung im Waldteich ihrem Leben ein Ende gemacht hatte und noch immer als Geist an diesem Ort schwärmen mußte, nein, sie entstammte der gleichen Familie und war, wie ihr Leben immer weiter vorschritt, tiefer und tiefer in die Erschütterung über diese Untat geraten, so daß sie die letzten zwanzig Jahre ihres Daseins eigentlich nur mit der Sühne dieses Verbrechens zugebracht hatte. Doch lag sie diesem traurigen Geschäft nicht mit Düsterheit, sondern mit einer kindlich vertrauenden Seele ob. Munteren Auges, heiteren Gesichtes, gütigen Herzens der ewigen Güte hingegeben, saß sie in ihrem kleinen Stübchen und ließ die Kugeln des Rosenkranzes durch die Hände gleiten oder las aus ihren vielen Büchern lange Gebete. Und neben ihrem eigenen Anliegen nahm sie sich auch der Nöte Fremder an, die vor vieler Arbeit nicht Zeit und Sammlung zu Gebeten um Abwendung drohenden Übels fanden. Für wenige Pfennige betete sie Vaterunser, Litaneien und Rosenkränze in jeder Meinung, erfüllte mit ganzer Hingabe gewissenhaft die Bußen und Gelübde anderer und fristete durch dieses fromme Geschäft ihr Dasein. So sehr war sie in diesem himmlischen Kramen gefangen, daß sie, mit ihrem gütigen Herrgott gleichsam auf du und du stehend, seit einem halben Menschenalter sich von der Kirche zu Hemsterhus fernhielt und den Gebrauch der Gnadenmittel verabsäumte. Ja, zuletzt hatte sie sogar, von dem sanften Geiste angelockt, dann und wann an den Andachtsstunden der Seelenstillen beim Vanlyßender und im Rütschhause teilgenommen.

Eines Tages fand man sie entseelt im Stuhle sitzen, den Rosenkranz in den Händen haltend, den Kopf auf die Brust gesunken, das Gesicht von einem solch heiteren Frieden überglänzt, als ob sie noch immer den glückvollen Träumen nachhänge, während denen sie vom Tode überrascht worden war. Da sie keinen Anhang besaß, schossen die Frommen des Kreises, dem sie lose angehangen hatte, die Mittel zusammen, um der alten verhutzelten Hülle die letzte Ehre zu erweisen. Aber der Pfarrer von Hemsterhus verweigerte ihr das kirchliche Begräbnis, weil sie seit je sich von der Kirche ferngehalten hatte, und bestimmte, daß sie wohl in geweihter Erde, doch nahe an dem Acker der Selbstmörder, unweit des verrasten Hügels der unglücklichen Katharina beerdigt werden sollte, jener verirrten Verwandten, für die sie ein ganzes Leben gerungen hatte. Wohl erschrak der ganze wiedertäuferische Ort und kochte über diese mitleidslose Härte in Unmut, weil alle merkten, daß der Schlag am meisten gegen sie selbst gerichtet war, doch gelang es dem Vanlyßender, die Erregung zu dämpfen, und man faßte sich in dem Heilandsworte, dem Bösen nicht zu widerstehen, in Duldung.

Stumm bewegte sich eines Abends, denn es war noch befohlen worden, die Tote erst nach Sonnenuntergang zu versenken, der Leichenzug durch die einzige Gasse von Querhoven. Leiser, trauervoller Gesang wechselte mit gedämpftem Gebet ab. Fast aus jedem Hause eilte ein Teilnehmer an der letzten Feier für die Ausgestoßene, und schon in der Mitte des Dorfes war das Geleit zu einem stattlichen Zuge angewachsen. In der Nähe der Mühle überschreitet der Weg das Hornwasser und läuft an dessen linkem Ufer weiter. Vor der kleinen Holzbrücke setzten die Träger den Sarg ab, um die Achsel zu wechseln. Während dieser kurzen Stockung trat Gottlieb Meixner aus dem Hause seiner Mutter und mischte sich unter den Zug. Bald darauf schwankte der Sarg wieder in die Höhe, und die Füße der Menschen klapperten über die Bohlen der Brücke.

Da, als die Träger eben das andere Ufer erreicht hatten, sprang plötzlich der Prahl-Meixner aus dem Mühlgrabengebüsch, wo er gelauert hatte, eilte in langen Sätzen über den schmalen Wiesenstreifen, pflanzte sich in seiner wilden Größe vor den Trägern auf, riß die Arme in die Höhe und schrie: »Halt, nicht weiter! Setzt den Sarg nieder, sage ich euch!«

Sein Erscheinen geschah so unvermutet und sein Aussehen war so furchtbar, daß die Träger bestürzt den Sarg auf die Erde stellten.

Und nun strömte der Mann das düstere Lodern aus, das sich in den Wochen des Schweigens, der Einsamkeit und Kasteiung in ihm angehäuft hatte. Sein häßliches Gesicht war kalkweiß, es schäumte um seinen Mund, die Worte kochten und brodelten von den bebenden Lippen, und dann dröhnte seine Stimme wieder wie das Gebrüll eines Stieres.

»Verflucht sei, wer diese Arme der Schande der verfluchten Teufelsdiener überläßt«, rief er am Schluß. »Ihr habt Herzen von Brei und einen Glauben zitternd wie dürres Gras. Ich sage euch, Gott ist mit euch! Er hat mich Sünder gestraft; aber aus schrecklicher Nacht bin ich aufgestanden. Kein Fleisch ist an mir, das nicht gepeinigt worden. Deswegen sage ich euch, unsere Erde ist heiliger als der Kirchhof der Pfarrer. Das weiß ich. Kehrt um, meidet die gottlosen Namenchristen, widersetzt euch! Streitet! Streitet!«

Der alte Vanlyßender suchte ihn zu beruhigen. Es war umsonst. Sein Neffe trat zu ihm. Er schüttelte ihn hohnlachend ab.

Viele waren von seinen Worten wie von einem Hagelwetter betäubt. Und als der Zug sich wieder gegen Hemsterhus in Bewegung setzen konnte, war er zur Hälfte eingeschmolzen. Die anderen zogen sich mit dem neuen Propheten in ihre Hütten zurück. Es kann sein, daß trotz dieses widersetzlichen Aufbrausens des Querhovener Geistes sich alles wieder in ruhigere Bahnen zurückgefunden hätte. Denn unmittelbar nach diesem abendlichen Raubsprung duckte sich der Prahl-Meixner wieder in seine lange geübte schweigsame Einsamkeit, eine beschämende Ernüchterung für die, die er im Handwenden zu sich verwirrt hatte, ein Triumph für seine Feinde. Das waren weniger die Querhovener Gottesstillen, sondern die Hemsterhuser Kirchenfrommen. Seit je bestand nämlich in diesem Pfarrdorfe ein Häuflein Glaubensspürer und Tugendriecher, die zur größeren Ehre Gottes die Sittlichkeit von Hemsterhus und Umgegend durch ein geheimes Spionagesystem aufrechterhielten. Nach stets geübter Gepflogenheit wachten sie auch über die Reinheit des Glaubens und spähten mit einem nach Entrüstung und Beleidigung lüsternen Geiste besonders nach Querhoven und seiner ketzerischen Anwandlung aus. Vor vielen, vielen Jahren war ein Bauerauszügler der Anführer dieses freiwilligen kirchlichen Horchpostens gewesen. Ihm war der Schmied des Ortes gefolgt, dann aber hatte sich die Würde wieder zu dem Kirchvater, ihrer alten überlieferten Stelle, zurückgefunden, wo sie blieb, bis der Kantor Liborius Pfeiffer in Hemsterhus aufkam. Trotzdem der eines eingesessenen Schusters Sohn war, gelang es ihm, schon in verhältnismäßig jungen Jahren zu einem bedeutenden Ansehen zu gelangen. Er vigilierte zeitig um die Schleichwege, auf denen die unehelichen Kinder in die Welt geschmuggelt werden, hatte einen fabelhaften Sinn für alle Schäden und Gebrechen anderer und erlahmte in christlicher Geduld nie bei deren Verfolgung.

Dabei hatte diesen Mann die Natur ziemlich schlecht behandelt. Er war lang, gewöhnlich, rothaarig und mit dem kuriosesten Gange der Welt behaftet. Wenn er so daherkam, sah es aus, als verwechsele er fortwährend den rechten und linken Fuß, nehme, halb ausgeführt, den Schritt zurück und verbessere den Fehler durch einen neuen größeren Irrtum. Deswegen befanden sich seine Beine in einem fortwährenden nutzlosen Wirbel, und kein Mensch konnte sich die Zweckmäßigkeit einer solchen Fortbewegung erklären. Ungläubige Menschen behaupteten darum, er habe hinten unter den Rockschößen eine Maschinerie von Zahnrädern. Zu diesem possierlichen Beinrollen stand das Gesicht in grellem Gegensatz: ausgesackte lange Backen, immer tränende Augen, in wunden Lidern bebend, als wehrten sie sich gegen einen im Halse steckengebliebenen Bissen. Das Antlitz trug den Ausdruck melancholischen Schreckens, und der Mund war stets geöffnet, als singe er fortwährend den Anfang des »Dominus vobiscum«. All diese unerfreulichen Hemmungen waren sicher der Anstoß, daß er früh voll Ernst die Vertiefung und Bereicherung seines Innern begann. Aber aus seinem geistigen Fortschritt wurde nur zu bald auch ein leidenschaftlicher geistiger Wirbel. Liborius Pfeiffer geriet tiefer und tiefer in den Bannkreis der katholischen Ekstatiker, der Katharina Emmerich, der Angela von Foligno und Heinrich Seuses, Anna Vetters und Hemme Heyens. Die Beschäftigung mit den Bekenntnissen solcher halb oder ganz hinausgerückter Geister raubte ihm zeitig sein frohes Christentum, und an die Stelle eines geraden, unverkünstelten Glaubens waren in seinem Innern tausend geheime Wunden aus brennender Sucht nach Verzückung und Märtyrtum entstanden, ein fanatischer Verfolgungswahn der eigenen Fehler in den Schwächen der anderen. Dieser glühende Glaubensstößer hörte im Innern fortwährend Rufe, die ihn, den Schlafenden, aufrüttelten, den Säumigen anpeitschten und bitter des Verrates an Jesum Christum ziehen.

Von Anfang an hatte er dem Wiedererwachen des sektiererischen Geistes in Querhoven seine Aufmerksamkeit geschenkt und war nach langem Drängen und Unheilverkünden bei dem Pfarrer von Hemsterhus endlich durchgedrungen, daß sich dieser vom Alter gemilderte Priester zu einer exemplarischen Strafe an der toten Gebetsmechtel verstand. Nun aber, da die Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses des alten Weibleins ein wildes Aufbäumen des ketzerischen Geistes herbeigeführt hatte, fühlte er sich erst recht angetrieben, mit Feuerbränden hinter den Glaubensfrevlern her zu sein. Die sonntägliche Litaneienandacht pfefferte er mit neuen Anrufungen um Gnade gegen Glaubenssünden; in die Schulgebete schmuggelte er die Bitte an Gott um Vernichtung der Kirchenfeinde. Alle Querhovener Kinder nahm er während des Unterrichts in eine besondere Zange, und nach und nach sahen seine Zuchtmittel gegen Unarten Peinigungen nicht unähnlich.

Dieser geistige Brandstifter brachte es so nach kurzer Zeit fertig, daß die Querhovener sich von der Bestürzung über die Parteinahme für die offene Auflehnung schnell erholten und ihr neuer Prophet überrascht eine tiefe Wirkung seines ersten Auftretens wahrnehmen konnte. Er faßte Zutrauen zu dem neuen Amt, das doch nichts war als die andere Anwendung seines alten Wesens, das Toben, Lärmen und den Zank seines Innern auf die Umwelt zu übertragen.

Schon bald standen sich diese beiden Männer, die einander so ähnlich sahen, kämpferisch gegenüber, und wie bei einem regelrechten bäuerlichen Raufhandel flogen, figürlich gesprochen, Fladen, Rechen- und Besenstiele, Pflug und Eggen hinüber und herüber.

Der Pfarrer Ardelt von Hemsterhus sah das gedeihliche Seelenwetter seines Kirchensprengels durch diese fortwährenden Rumpelgewitter gefährdet und merkte, wie übel er gehandelt hatte, auf das Drängen seines Kantors hin die Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses zu verfügen. Deswegen, und weil das Glaubensstreiten sich nie weit von dem gewohnten Speihandel verfeindetet Menschen entfernt hielt, vermied er ein Eingehen auf das religiöse Meinungsgezänk und versuchte durch äußere Mittel die Erregung zu begleichen. Das Grab der alten Gebetsmechtel wurde von ihm nachträglich eingesegnet, dem Kantor legte er in seiner Eigenschaft als Ortsschulinspektor das Handwerk als schulmeisterlicher Ketzerschinder. Dem Prahl-Meixner widmete er eine gütig-vernichtende Sonntagspredigt, deren Liebe wie Spott aussah, die mit geheimen Krallen streichelte, mit einem Worte den bankrotten Bauer zum bankrotten Glaubensgründer machen mußte, weil sie ihn unter Lächerlichkeit begrub.

Und um dann noch ein übriges und letztes zu tun, lud er eines Tages den beleidigten Kantor zu sich, packte ihm ein kleines Füderchen Liebenswürdigkeiten auf den Rücken und machte es ihm am Ende klar, daß man eigentlich unrecht täte, an den Prahl-Meixner den Maßstab einen sinnenden Irrgängers zu legen und die Querhovener für ihre Glaubensalfanzereien verantwortlich zu machen. Der eine sei nichts als ein säuferisches Großmaul, in den anderen gingen die Träume und Verrückungen ihrer Ahnen um, und bei beiden richte man mit duldsamer Wachsamkeit am meisten aus. Zudem, wenn ja in allen ein Trieb zu bewußtem Glaubensungehorsam und kirchliche Umsturzgelüste vorhanden sei, so müßte man sich gegen den wenden, von dem allein sie herrührten, nämlich gegen den Sintlinger, den leider Gottes alle Welt nicht anders als den Heiligenbauer nenne. Bei all den Beschwichtigungen des Pfarrers hatte sich der Kantor in seiner Wolke bitterer Verdrießlichkeit zurückgehalten, weil seine Wühlereien, die er als himmlische Tapferkeit bezeichnete, nicht anerkannt worden waren. Jetzt, bei der Nennung des Sintlingerschen Namens, atmete er auf, denn er sah plötzlich sich ein weites Feld für neue kirchlich-religiöse Klopffechtereien auftun. Mit Begeisterung sprang er sofort auf diesen Ausweg, stellte sich dem Pfarrer mit allen Kräften zur Verfügung und schied freundlicher, wie er gekommen, mit dem Versprechen, »in das Studium dieser neuen Aufgabe einzutreten«, weil dieser Heiligenbauer einen Kopf habe, der nicht von Pappe sei. Es nutzte dem guten Ardelt wenig, daß er seinem Kantor nochmals Ruhe und Besonnenheit empfahl und ihm eindringlich bedeutete, den Heiligenbauer hebe er sich seinen eigenen Maßnahmen auf, grelles Zupacken könne da noch mehr wie anderswo schaden. Das kalte Duschlein vor dem Davongehen verhalf dem Ketzerpfeiffer nicht im geringsten zur Mäßigung. Seine langen Sackbacken zuckten in Leidenschaft, er schlang heftig an seinem Ketzerbissen und entkräftete unter energischem Gestikulieren des Pfarrers Mahnung.

Das Radwerk unter seinen Rockschößen schnurrte los, und seine Beine wirbelten ihn über die Stiege hinunter aus dem Pfarrhause hinaus.

Der Hemsterhuser Pfarrer hatte gemeint, aus dem Schulmeister leicht seine Meinung herauszugreifen. Nun mußte er die unangenehme Erfahrung machen, daß die Geige den Musiker spielen und der Hund den Herrn jagen kann. Denn die Betriebsamkeit Pfeiffers brachte es in kurzer Zeit dahin, den Pfarrer in immer neue feurige Winkel zu pressen und stets vor eine andere Hetztreppe zu stellen. Ein großer Teil des Dorfes und der Umgegend wurde von der unduldsamen Hitze des Kantors angesteckt, und der Kirchenvorstand verwandelte sich ganz in das Organ, mit dem Pfeiffer den Pfarrer in die Enge trieb.

Dazu befand sich in jener Zeit ganz Deutschland, ja die ganze Welt wie am Ausgange eines unruhvollen Drängens, für den Menschen ein neues, lebensvolleres Verhältnis zu der ewigen Macht zu finden. Papst Leo XIII., der weise, gelassene Nachfolger Petri in Rom, war gestorben, und die Jesuiten hatten es erreicht, die Wahl Pius' X. durchzusetzen. Die scholastische Glaubensinbrunst dieser bäuerlich-einfachen Natur erwies sich als geeignet, aller Duldung rücksichtslos zu Leibe zu gehen. Und so verbreitete sich schon bald durch die ganze katholische Welt eine heftige Kampfstimmung gegen die Verwässerung des römischen Bekenntnisses durch ein zu freundliches Verhältnis zu anderen Konfessionen und gegen jede läßliche Schwäche bei Abweichungen von der inneren Heilszucht.

So steckte der Pfarrer Ardelt in einer heillosen Klemme. Von oben her drückten immer dringendere Verfügungen auf ihn, die Glaubensreinigung mit allen Mitteln zu betreiben. In seiner eigenen Pfarrei geriet er in immer engere Gefangenschaft von Menschen, deren Fußsohlen sie juckten, sich in der Verfolgung von Kirchenfeinden heiß zu laufen.

Nun betrachten viele intelligente katholische Priester, sobald sie in die Jahre kommen, überhaupt die Lehren und Dogmen ihrer Kirche bei sich selber mehr vom Standpunkt des sozialen und menschlichen Nutzens und dringen aus Klugheit, die sie Demut nennen, nicht auf den Grund der Verwirrung vor, aus dem die Notwendigkeit der Dogmen als ein gewaltsamer Ausweg aus heillosen Widersprüchen stammt. Sie tragen im Bewußtsein der ungeheuren Weltmacht des katholischen Priesterstaates ihr Leben ruhiger an dem Hause eines Ketzers vorüber als die Angehörigen anderer christlicher Sekten, die mit der Verbissenheit von Heraufkömmlingen die Berechtigung ihrer Existenz in rein intellektuellen Silbenstechereien suchen.

Genau so stand es innerlich um den Pfarrer Ardelt, teils weil er eines Bauern Sohn war, teils weil ihn die Jahre und menschlichen Erfahrungen aus dem leidenschaftlichen Eiferwirbel der Kaplanszeit gerückt hatten. Nur ab und zu noch verlor er sich in das Glaubenstoben und Polsterschlagen auf der Kanzel, durch das er einst das Lenlein aus der Kirche geschreckt hatte. Sonst war er einig mit sich, daß jeder Katholik sein besonderes Christentum besitze, jeder Mensch die Farbe seines Wesens auf seinen Gott übertrage und die Welt von so vielen Konfessionen erfüllt sei, als es Menschen gebe. Die Lehr- und Dogmenordnung der Kirche sei zu dem Zwecke da, damit sich jeder wie in einem großen, übersichtlichen Hause ungestört und unbehelligt bewegen könne, und der äußerliche Bekenntniszwang sei eigentlich die stillschweigende Voraussetzung der Denkfreiheit. Nur müsse eben von jedem Bewohner auf Innehaltung der Hauptpunkte der Hausordnung, des jeweiligen Dogmenbestandes gesehen werden. Im übrigen solle man jedem die Eigenarten seiner Natur und die Schwäche seines Lebens nachsehen. Daß er sich mit solchen Gedanken ganz in den Bahnen der älteren Liberaltheologie bewegte, machte ihm das Schnauben gegen die Querhovener Schwärmer und den Heiligenbauer so unmöglich.

Trotzdem, der alte Pfarrer sah es ein, etwas, und zwar etwas Gründliches, mußte geschehen, was ihn, womöglich in einem Zuge, von den sinnlosen Glaubensbrodeleien der Querhovener wie der Verfolgungssucht der Hemsterhuser Jachchristen befreite und dem Heiligenbauer einen Riegel vor den Mund schob.

Er faßte den Entschluß, den Heiligenbauer zum Eintritt in den Kirchenvorstand zu bewegen, und strebte damit dem Ziele zu, das etwa Grundherren erreichen, indem sie den ärgsten Holzdieb zum Forstaufseher machen, um dem Holzfrevel in ihren Waldungen ein Ende zu bereiten.

Als er nach langem Erwägen den Kirchenvätern diesen Vorschlag zur Begutachtung unterbreitete, rief er bei allen den Ausdruck schreckhafter Verblüffung hervor, und Liborius Pfeiffer fragte sogar, ob man nicht gleich besser tue, dem Satan selber die Sorge für das Gotteshaus zu übertragen. Doch der Geistliche ließ sich nicht abbringen. Er wies auf die Christenpflicht hin, dem irrenden Bruder recht zu raten, und wenn es eben nicht anders ginge, durch Erregung heilsamer Eitelkeit und Ehrsucht unvermerkt den Heiligenbauer auf den Weg seines Kinderglaubens zurückzuführen, und sei auch das nicht gleich zu erreichen, ihm wenigstens die heimlichen Befehdungen der Kirche und Unruhstiftereien der Seele zu erschweren.

»Die Bahnen der göttlichen Gnade«, sagte der Priester noch, »bewegen sich nur zu oft für unseren schwachen Verstand in wundersamen, nicht immer leicht übersehbaren Kurven, und lehnt der Sintlinger die Übernahme dieses gottseligen Ehrenamtes überhaupt ab, so ist er genötigt, Gründe dafür vorzubringen, und habe ich den sogenannten Heiligenbauer erst so weit, so können Sie sich darauf verlassen, will ich den Verschlagenen unter Gottes gnädigem Beistande schon so aus seinen Verschanzungen herauslocken und zum klaren Bekenntnis seiner Glaubensbrüchigkeit bringen, daß mir das sichtbare Recht gegeben wird, allen seinen Wühlereien gegenüber schärfere Saiten aufzuziehen.«

Die Aussicht auf den endlichen Beginn eines frischen, fröhlichen Glaubenskriegleins überzeugte die Schwankenden, und der Pfarrer machte sich auf, den Sintlinger einzufangen. Aber so viele Priester fliehen vor der Arglist des Lebens und geraten in die Arglist des eigenen Herzens. Jeder ihrer Gedanken hat dann zwei Gesichter, und jeder Plan zwei Absichten. So war es auch mit dem Hemsterhuser Pfarrer bestellt. Während er auf den Heiligenhof zuging, fühlte er, lebhaft simulierend, mit den großen mehlig-porösen Händen seinen Spazierstock durch, von der Krücke zur Zwinge und wieder zurück. Er suchte eigentlich nur scheinbar als Anführer der Eiferer seines Sprengels den Heiligenbauer auf. In seiner innersten Seele strebte er mit dem Plane des Einfangens des Sintlingers der Aussicht entgegen, durch den Sintlinger den Ketzerkantor und seinen Anhang leichter im Zaume zu halten. Und wie das neue Amt nach und nach den Heiligenbauer von der klugen Schonung zur Achtung und endlich Verehrung des alten Glaubens und der Kirche bringen würde, in demselben Maße mußte sein Ansehen, als eine freie Macht außerhalb jedes Bekenntnisses, in den Augen der Menge abnehmen. Seine Frau wurde auf sonderliche und auszeichnende Art über und über mit der linden Wundersalbe bestrichen, die die Priester seit je so klug zu gebrauchen wissen, und so konnte der Pfarrer hoffen, seinen Sprengel wieder in die friedsame Ruhe zurückzuführen, und zwar ohne den tumultuösen Beistand seiner Hemsterhuser Glaubenswache und zur Überraschung der kirchlichen Behörde, die mit seinen klugen Mitteln immer weniger zufrieden war.

Das alles sann der Pfarrer Ardelt noch einmal durch, während er in dem warmen, klaren Herbstnachmittage auf der neu gebauten Chaussee erst durch den unteren Teil Querhovens schritt und dann im Bogen dem Tälchen zwischen den beiden Fremdhöfen zustrebte. Der hohe, heitere Himmel war voller lautlos ziehender weißer Wölkchen und erklang in seiner ganzen Wölbung von leisem, zaghaftem Vogelgesang wieder. Die alten Hochweiden neben dem Wege vergilbten schon im Anhauch ihrer letzten Verklärung, und die bejahrte Seele des Gottesmannes nahm diese sonderliche Schönheit der Welt für eine tröstliche Verheißung des Herrn, daß seinem Gange der Erfolg blühen werde, den er sich erhoffte. Darum, als er sich dem Heiligenhübel immer mehr näherte, schob er vertrauenden Geistes die Unruhe ganz aus sich heraus, die ihn beschleichen wollte, und stieg den steilen Zufahrtsweg hinan. Wohl spürte er eine leise Kränkung, als er das ungeweihte Sintlingerkreuz unter den Torlinden sah, aber, wie bald, sann er, wird dieses tote Steinbild durch die Weihe der heiligen Kirche zu rechtem himmlischen Segenleben erlöst werden.

Der weite Hof lag leer. Und nachdem er gestanden und die musterhafte Ordnung des reichen Anwesens wohlig betrachtet hatte, gewahrte er die alte Therese durch ein offenes Türchen im Schuppen, wie sie versunken allerhand kurz gehacktes Gerütel mit Strohseilen in Bündel band. Da erfuhr er, daß alles draußen in der Grummeternte sei, die Bäuerin hinter der Hohen Kippe, der Bauer auf den Buchengrund zu. Ohne die Alte weiter zu beachten, denn sie war ja auf dem Hofe auch zu einer Kirchenscheuen geworden und noch dazu Querhovener Blut, drückte sich der Pfarrer durch das hintere Beitürchen aus dem Hofe. Sobald er aber draußen war und seine Augen über das besonnte Hügelgewoge rundum schweifen lassen konnte, überkam ihn wieder das fröhliche Vertrauen in den guten Ausgang seines Beginnens. Nicht lange dauerte es, und er gewahrte auch den Heiligenbauer neben Helene an einem Raine des Hübelhanges sitzen, der sich zum Buchengrunde senkt. Über ihnen köppelten die Mägde das Grummet auf der Wiese.

Ardelt näherte sich den beiden, wie nur zu seinem Vergnügen lustwandelnd. Er sah, daß der Sintlinger, nachdem er seiner ansichtig geworden war, Helene geneigten Kopfes etwas zuflüsterte, und wie beide sich erhoben und ihm entgegen gingen. Doch gab er sich den Anschein, ganz in den Anblick des Buchengrundes versunken zu sein, der lautlos in der Mulde stand, als sei es ein lichtüberströmter, bunter Teich.

Die Schritte der beiden kamen immer näher, da schoß es dem Pfarrer plötzlich durch den Kopf, daß er einst von diesem Manne vor Jahren aus dem Hause gewiesen worden war. Darum, als er sich jetzt den beiden erstaunt zukehrte, lag trotz aller gewaltsamen Freundlichkeit eine leise Verkniffenheit in seinem Gesicht. Doch gelang es ihm, den Sintlinger in aufgeschlossener Höflichkeit zu begrüßen und auch Helene mit liebevollen Worten gefällig zu sein. So kamen die Männer ins Gespräch, an dem der Bauer bald eine tiefere Absicht des Pfarrers merkte, die dieser auch immer weniger verheimlichte, indem er aus dem beiläufigen Hin und Her über Wetter und Wirtschaft mit kräftiger Führung heraussteuerte. Aber der Heiligenbauer bog jede Zuspitzung ins belanglos Heitere, bis der Pfarrer sich einen Ruck gab und mit einer fast herausfordernden Stimme fragte:

»Warum, Sintlinger, haben Sie eigentlich nicht versucht, aus der Wirtschaft Ihres Schwiegervaters, des guten alten Klim, den Buchengrund da zu Ihrem Gute zu schlagen?«

Der Heiligenbauer lächelte überlegen, sagte schnell, daß er bald antworten werde, rief eine Magd herbei und schickte das, Lenlein mit ihr nach Hause.

»So, nun können wir ungestört reden, Pfarrer«, sagte er voll heiterer Kraft und reckte sich in seine Schultern hinein, »denn ich spüre ja wohl, daß Ihr Vorübergehen ein Herkommen ist. Nicht wahr?«

Auf diese Weise drehte der Heiligenbauer kurzerhand der hinterhältigen Klugheit des Geistlichen den Hals um, daß der Gottesmann in seinem Blick etwas von der starren Ratlosigkeit des Karpfenauges bekam.

Um ihm zu Hilfe zu kommen, setzte der Heiligenbauer langsam seine Füße auf dem Wege weiter und fuhr fort: »Aber, um auf den Buchengrund zu kommen, ein Ast mehr am Baume ist immer ein Ast zuviel für ihn, wenn er ihn nicht treiben muß. Das wissen Sie ja auch selber und möchten sicher neben Brederode und Querhoven nicht auch noch Dingden mit ins Spiel haben.«

»Vor allem Querhoven nicht. Denn das sind wohl gute Leute, aber schlechte Christen. Der Glauben aber, Sintlinger, ist Pferd und Wagen auf einmal.«

Ardelt schmunzelte zufrieden. Da war ja mit eins, wo er hingewollt hatte, vor der heimlichsten Tür dieses kleinen, unangreifbaren Unholds neben ihm, und ohne große Umschweife ging er aufs Ziel los. Er rechnete es dem Sintlinger zum Vorwurf, sich von allem abzusondern. Denn wer einen Schatz erarbeitet zu haben glaubt, muß ihn auch mitteilen. Da wird es sich dann zeigen, ob es ein rechtes oder nur ein Mottengut sei. Des Heiligenbauers Weigerung gegen alle Ehrenämter wurde auch berührt, und endlich kam der Pfarrer auf des Bauern vernachlässigte Glaubens- und Kirchenpflicht.

Bis hierher hatte der Sintlinger den Geistlichen unwidersprochen gehen lassen. Nun aber richtete er sich gegen ihn auf und fragte:

»Was soll ich denn in Ihrer Kirche? Wer im eigenen Hause immer einen gedeckten Tisch hat, braucht sich nach einer Mahlzeit im fremden Hause nicht umzusehen.«

»Sintlinger, Sintlinger«, antwortete nach kurzem Stutzen der Pfarrer, »das ist geistiger Hochmut.«

»Freilich«, unterbrach ihn der Heiligenbauer, »das weiß ich, und so ist es gerade auch gemeint. Wer hoch will, braucht einen hohen Mut, Pfarrer.«

»Schön, und wer sich in diesen Dingen der Leitung durch die Kirche entzieht, geht unverweigerlich in der Irre unter. Unverweigerlich! Lassen Sie sich das sagen, Sintlinger, von einem Manne, der nicht umsonst älter geworden ist, als Sie sind.«

Aus dem Geistlichen klang bei diesen Worten eine ehrliche Überzeugung, die immer ergreift. Und auch der Heiligenbauer wurde schwankend, ob er nicht besser tue, den alten Mann zu besänftigen und in Ruhe ziehen zu lassen. Denn er bemerkte ja, wie sein Stock von dem Beben seiner Hand zitterte.

Deswegen ging er einige Schritte schweigend und unschlüssig neben ihm.

Ardelt aber glaubte ihm schon das Knie auf die Brust gesetzt zu haben und rief voreilig triumphierend:

»Sehen Sie, Sintlinger, so ist es. Schon sind Sie im Herzen getroffen. Wie soll es denn aber weiter werden, wenn Sie es länger und länger anstehen lassen, wenn der Heiland immer umsonst durch die Hand seiner Diener bei Ihnen anklopfen muß. Haben Sie das schon bei sich bedacht?«

»Schauen Sie Ihre Hand an, Pfarrer. – Sie ist leer«, antwortete der Heiligenbauer leise und ernst.

Ardelt fuhr betroffen herum.

»Ja, so meine ich es«, sagte der Sintlinger und nickte ihm zu. »Wenn Sie es durchaus wollen, so sei es. Nun beantworten Sie mir eine Frage. Sagen Sie mir, von wem rührt der Ton her, vom Schlegel oder von der Trommel?«

»Von keinem allein«, antwortete der Pfarrer und dachte bei sich: Schlag nur einen Haken, Fuchs, ich packe dich doch.

»Also bliebe die Trommel stumm wie ein Stein, wenn sie nicht geschlagen würde?« fragte der Sintlinger unbeirrt weiter.

»Nun, was soll denn das? Freilich ist es so«, lautete des Pfarrers Bescheid.

»Wie mit dem Schlegel und der Trommel, glauben Sie, verhält es sich mit der Kirche und den Gläubigen, die auch nur den Klang der göttlichen Wahrheit durch die Wirksamkeit der Kirche in sich ertönen hören.«

Urdelt runzelte die Stirn und zögerte, sich zu entscheiden. Der Heiligenbauer wartete aber nur einen Augenblick und fuhr mit erhobener Stimme fort:

»Der Tambour würde sich die Arbeit des Trommelns ersparen, wenn er wüßte, daß sein Instrument die Wirbel viel besser allein hervorbringt, wenn er sie bloß an einen Baum zu hängen, ins Feld unter den Himmel zu legen brauchte, um sie zum Tönen zu bringen. – Mein lieber Kanzelmann, gehen Sie und bearbeiten Sie ruhig Felle, die längst stumm geworden sind. Ich und mein Kind sind Trommeln, die sich von selbst spielen.«

Ardelt sah, daß er im Begriff war, alles zu verderben. Deswegen lenkte er ein und sprach:

»Aber das böse Beispiel, Sintlinger!«

Aber den Heiligenbauer hatte die Leidenschaftlichkeit seiner alten Natur gepackt. Er überließ sich ihr und redete lodernd, wie er es seit Jahren nicht getan hatte:

»Das arge Auge macht die Welt arg. Was schert mich das! Sehen ich und mein Kind aus wie Gottlose? Oder geht es in meinem Hofe zu wie in einem Teufelshause? Also, sorge dich nicht. Müßte da nicht die ganze Christenheit verteufelt sein? O nein, Mann, ich fühle, du glaubst selbst nicht an deine Worte.«

Ardelt bezwang sich weiter und sagte gütig:

»Lieber Sintlinger, Sie mißverstehen mich. Ich bin nichts, rein gar nichts. Ich bin nur der Vertreter Christi, und seine Worte sind ewig und umfassen die Welt und alles, was darin ist.«

Darauf brach der Heiligenbauer in ein lautes Hohngelächter aus, daß sich der Pfarrer entsetzte.

Als der Sintlinger sich wieder gefaßt hatte, sagte er:

»Gut, wir sind am Ende! Antworten Sie mir nur noch auf eine Frage. Und wenn Sie ja sagen können, so sollen Sie in allem recht haben, und ich will ein Narr sein und bleiben bis ans Ende. Gibt es in der Welt, auf der Erde oder im Himmel einen Wagen, der in seiner Nabe Platz hätte, oder ein Tor, das die ganze Stadt enthält, zu der es führt?«

»Nein, das ist freilich unmöglich«, antwortete der Pfarrer. »Aber was soll das wieder?«

»Oder wird es je einem Menschen gelingen, seinen Leib auf einen Griff in die Hand zu bekommen?

Und so wahr das in alle Ewigkeit unmöglich bleiben wird, so sicher gibt es keine ewigen Worte. Denn das Menschenwort ist nicht mehr als die Nabe am Wagen, das Tor zu einer Stadt und die Hand am Leibe des Menschen. Die Seele des Menschen ist aber tiefer als die ganze Welt und mehr als Christus mit all seinen Worten und Wundern.

Doch du, Männchen, bist bloß ein Hammer in den Händen anderer. Und wenn der Schmied mit dem Hammer daneben schlägt, was kann der Hammer dafür? Ich zürne dir nicht. Geh in deines Gottes Namen von mir, wie du zu mir gekommen bist.«

Da sah der Pfarrer den Heiligenbauer mit einem Gesicht voller Grauen und Furcht an, wollte noch etwas sagen, schüttelte sich aber in Abscheu und ging leise davon.

Der Sintlinger nahm von alledem nichts mehr wahr. Er hatte eine Schmehle zwischen die Lippen geschoben und sah versunken durch das Abenddämmern auf den Buchengrund zu.

Da hörte er den Pfarrer noch einmal rufen. Als er das Gesicht hinwandte, warf der Pfarrer eben beschwörend seine Arme in die Höhe und rief:

»Wehe, Sintlinger, Sintlinger! Du und dein Kind, ihr seid Verfluchte, Verfluchte!«

Dann verschwand er eilig im Dunkeln.

Der Heiligenbauer lächelte traurig und kehrte zu seinem einsamen Sinnen zurück.

Nach langem, es war schon Nacht, fuhr er auf und sah im Finstern die riesige Gestalt des Faber-Rebellen neben sich stehen.

Da erschrak er, daß ihm das Herz kalt wurde.

Die Gestalt aber nickte ihm voll Wohlgefallen zu, daß dem Heiligenbauer angst wurde, und daß er eilig floh.

In dieser selben Nacht irrte er umher, ohne Ruhe zu finden, wie in früherer Zeit, da ihn der Rausch getrieben hatte, und beim Nachhausekommen war sein Gesicht bleich und bitter wie ehedem.


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