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Sechstes Kapitel

Die meisten Eltern sind deswegen zur Erziehung ihrer Kinder so ungeeignet, weil ihre Erinnerung an die Frühzeit des eigenen Lebens nicht mehr den Schwung und Märchenduft, nicht die ahnungsvolle, engelhaft tiefe Verwunderung des erwachenden Geistes, sondern nur die törichten und rüpelhaften Entgleisungen jener Epoche umfaßt, und die damit in dem allgemeinen Strom der gedankenlosen Überzeugung sich geborgen sieht, als sei das junge Menschenwesen nur ein tölpisches, unvernünftiges Tierlein, das, seinen eigenen Instinkten überlassen, notgedrungen sich in Abwegen verstricken und in Verirrungen enden müsse. Darum besteht die Weisheit der meisten darin, daß sie die Enttäuschungen und trüben Erfahrungen ihres Lebens in ein System bringen, mit dessen Hilfe sie das bunte Schweifen der Jugend bändigen. Die wenigsten Erwachsenen haben eine Ahnung von der beseligenden Zucht, die die Kinder auf sie ausüben, und daß die Welt längst in der Enge nützlicher Klugheit, vorsorgender Furcht und ängstlicher Vertrauenslosigkeit erstickt wäre, wenn nicht die Seelen der Unmündigen immer wieder auf der Erde das Reich göttlicher Weiten sähen und die Menschen durch alle Wände der Welt in himmlische Luft führten.

Der Heiligenbauer war durch sein Wesen und die Ereignisse seines Lebens von der Gefahr der anderen bewahrt, sein Lenlein durch die Ungerechtigkeiten zu läutern, die die Vergangenheit an ihm verübt hatte.

Denn dieses Kind, das nach der Meinung der übrigen im Glück zu kurz gekommen war, hatte ihm ja gerade die Erfüllung früher, fast vergessener heimlicher Süchte gebracht, aus dem Dasein der großen Menge entrückt zu werden, in welchem, Schwäche, Narretei und Bosheit die verborgenen Grundlagen der Menschentugend bilden. Nun ihre geheimnisvolle Sehkraft noch zuletzt den Riesenschatten Fabers zum Kampf und, wie er sicher glaubte, Sieg in sein Leben hereingezogen hatte, war die letzte Wolke vor der Erfüllung seiner tiefsten Sehnsucht geschwunden. Er sah sich auf eine so hohe, sonnige Ebene gehoben, daß man kaum die Welt der Menschen drunten erkennen und keines ihrer Worte hören konnte.

Deswegen bestand die Sorge um das Wohl seines Kindes in nichts anderem, als alles zu vermeiden, was sie aus dem Gebiete ihres eigenen, wundersamen Geistes treiben konnte. Zweierlei sollte nach des Sintlingers Wunsch von Helene ferngehalten werden: das Wissen um ihre »sogenannte äußere Blindheit«, wie sich der Bauer ausdrückte, und das Wissen vom Tode des Menschen und jeder Kreatur. Denn der Heiligenbauer hatte es an sich, dem alten Klim und seiner Frau erfahren, in welche Nöte das Menschenleben durch diese doppelte Erkenntnis geführt werden konnte, und er gedachte sie auf eine Zeit hinauszuschieben, die leichter mit dieser zwiefachen Beschwerung fertig wurde. Es sollte auf jeden Fall vermieden werden, daß das Kind plump und früh in eine Lebensnot gestoßen werde, deren Folgen sich nicht ermessen ließen.

Mit diesen Erwägungen sah er sich im Einvernehmen mit seiner Frau und der alten Trine, der im großen und ganzen die Führung des Kindes überlassen blieb. Dies alte Menschenwesen stammte wie die meisten guten Dienstboten der Umgegend aus Querhoven; denn das arme, waldversteckte Dörflein besaß durchaus die Kraft, wohlgebildete Kinder in großer Menge ins Leben zu rufen. Aber damit war eigentlich auch seine Gewalt erschöpft. Es gelang ihm auch noch, mit dem gedrückten Rauch der vielen kleinen Hütten, mit dem leisen Gräsergeigen seiner unzähligen winzigen Wasserfädlein und dem unaufhörlichen Waldgebrause, das um das Dorf stand, die Kinder frühzeitig mit bunten, wunderhaften Dünsten zu erfüllen. Ihnen jedoch den Tisch nahrhaft zu bestellen und sich sonst ihres Leibes tüchtig anzunehmen, gelang dem heimlichen Dorfgewese sehr schlecht. Deswegen auch war unter den Kindern die Sitte oder Unsitte, wie man es nennen will, eingerissen, nach Tagen, Wochen und, wenn's hoch kam, wenigen Jahren sich sehr schnell über die Waldwipfel wieder in die Himmelsheimat davonzustehlen. Und wen das Leben gar nicht losließ, der mußte eben sehen, daß er gleich nach der Schulzeit aus dem Dorfe fand, wollte er nicht mit den Zähnen Stroh mahlen wie eine Armenziege und sich mit Luft zudecken, wenn ihn fror. Da stoben denn alle Jahre im Frühlinge die Jungen und Mädchen aus Querhoven heraus in die umliegenden Dörfer und Städte und nahmen nicht mehr mit als ein Pflanzensämlein, einen Hoffnungskranz, mit dem sie flohen, und das Kerngehäuse ihres Wesens mit Lebenszähigkeit, Menschen- und Gottestreue und einem Glauben angefüllt, der so tief und kraus war, daß sich kein Querhovener je in seinem langen Leben ganz darin zurechtfand. Dazu steckten jedem, der von dem Walddörflein bloß bebrütet worden war, an irgendeiner Stelle seiner Seele Widerhaken über Widerhaken, und wessen Willen darauf bestand, in dieser Gegend mit einem Querhovener zu ackern, der mußte es bald aufgeben. Deswegen ging im ganzen Lande die Sage, die Querhovener suppten mit dem Stiele, schnitten mit der Gabel und gabelten mit dem Löffel. Das erste Wort, das die Kinder sprächen, sei » Nein« und das zweite »Gerade nicht«.

Trotzdem war es für einen Dienstboten schon Empfehlung genug, wenn er aus Querhoven stammte, denn eher pickt sich die Henne den eigenen Kopf auf, ehe ein Querhovener auch nur ein Ei stiehlt, hieß es. Die übrigen Knechte und Mägde aber, denen die Tüchtigkeit der Leute aus dem Walddorfe ein Dorn im Auge war, behaupteten: Was selbst ein Esel fallen lasse, das hebe noch ein Querhovener auf.

Alle diese guten Eigenschaften besaß die alte Trine, als sie kaum nach der Schulzeit von der Not aus der ärmlichen Vaterhütte in den Dienst anderer getrieben wurde. Von Widerborsten aber und allerhand bitterem Gemengsel war in ihrem Wesen auch nicht das geringste zu spüren. Ob es in ihrer frühen Jugend einst anders gewesen war, das wußte sie selber nicht; denn vielleicht durch das Leben und die Lehren ihrer Eltern, vielleicht am meisten durch ihre Art war sie dazu gebracht worden, ihre eigenen Hoffnungen und Wünsche nie anders denn als machtlos gaukelnde Schmetterlinge zu betrachten, die von dem Luftzug des Gefährts, auf dem das Leben ihrer Herrschaft davonzog, aufgewirbelt, eine Strecke mitgenommen wurden und sich dann irgendwohin verloren, ohne ihr nahegekommen zu sein. Der Anhauch langer Jahre hatte dieses selbstlose Aufgehen in den Bedürfnissen der anderen unbemerkt zum Inhalt und Glück ihres Daseins gemacht, so daß sie nur auf dem Umwege über die Wünsche derer, denen sie diente, die Welt ermaß und für ihr eigenes Wohl sorgte.

Auf diese Weise war sie sogar um ihren eigenen Namen gekommen. Solange sie in Brederode bei dem Gemeindevorsteher diente, hieß sie die alte Klim-Trine, und nun sie auf dem Heiligenhof Unterschlupf gefunden hatte, fiel es keinem Menschen ein, sie anders als die Sintlinger-Trine zu nennen. Diesem und jenem Spaßbäcker kam's wohl bei, sie manchmal bei ihrem eigenen Namen Katharine Wagner zu rufen. Aber dann ging die Alte davon, als gelte es ihr gar nicht. Nach wenigen Schritten drehte sie sich nach dem Sprecher um, sah ihm spöttisch lächelnd, wie wegen einer schalen Narretei, ins Gesicht und nannte ihn einen »dummen Alb« oder noch etwas Derberes.

Um solcher Eigenschaften halber war sie von Johanna auf den Hof zu der kleinen Helene genommen worden. Möglich, daß die Heiligenhofbäuerin es auch getan hatte, um einen letzten Klang und Hauch ihrer eigenen Jugend von Vater und Mutter um sich zu haben und das Lenlein die verborgenen, gesicherten Beglückungen eines gut und gläubig umfriedeten Lebens genießen zu lassen, die sie selbst in den unfaßlichen Veränderungen ihres Schicksals immer tiefer in ihre Brust zurückzudrängen genötigt war. Johanna vertraute das Kind denselben Händen an, von denen sie durch ihre Jugend geführt worden war, denn nach dem frühen Ableben der Klimbäuerin hatte die alte Trine Mutterstelle bei ihr vertreten.

Niemand als die alte Trine, wäre so geeignet gewesen, der kleinen Helene in der Zeit ihrer geheimnisvollen, so entrückten Kindheit Gespielin und Leiterin zu sein. Denn nachdem die greisende Frau sich von dem Schrecken und Mitleid über das Gebrechen des zarten Mädchens erholt hatte, verstand sie es durch die Weisheit ihrer Güte und Liebe, sich ganz in die Luft zu versetzen, die das Kind atmete, und zu vollbringen, was der Sintlinger wünschte, ihm die bittere Erkenntnis seiner Blindheit fernzuhalten.

Sie nannte alle Empfindungen durch Tasten und Gefühl Sehen und verwandelte danach die Kindermärchen, die sie Helene bis tief in die Nacht erzählte, von Schneewittchen, den sieben Geißlein, Rotkäppchen, den Haseljungfrauen und dem Däumling. So wurde das Kind nicht unglücklich und unzufrieden in seiner Welt, die ganz erfüllt war von jenen leisen, unaussprechlichen Wellen, denen auch sehende Menschen, aber nur in seltenen Hochmomenten, nahekommen.

In des Sintlingers Aufzeichnungen findet sich eine einzige kurze Frage, die nach dem wunderwürdigen Wesen seines Kindes greift. Sie lautet:

»Wer ist imstande, einen Engel zu führen? Nur sein eigener Flügel.«

Sonst nichts, obwohl den Heiligenbauer gerade das Geheimste, Verborgenste ergriff und so lange beunruhigte, bis es ihm gelang, auch auf das Unsagbare wenigstens wie durch den Spalt einer geschlossenen Tür einen Blick zu werfen. Nur an dem Beben seiner sonst so festen Schriftzüge, an dem Taumel, der die unbeholfenen Buchstaben etwas durcheinander schob, spürt man die Ergriffenheit des fast furchthaft beglückten Vaters über die unfaßbare Entwicklung seines geblendeten Töchterchens. Wir wissen ja, daß die Sinne nur Werkzeuge, nicht Meister des Menschen sind, und doch, wenn wir die Urteile der meisten hören, scheint der Glaube fast aller es für ausgemacht zu halten, daß das Instrument den Musiker spiele, der Meißel den Bildhauer regiert und der Pflug den Bauer lenkt. Nur die Werke höchster Geister nötigen diese Leute ausnahmsweise, das Hereinragen göttlicher Kräfte in die Welt des menschlichen Daseins für denkbar zu halten. Allein, wer aufmerksam und unbeirrt auf sein Leben acht gibt, muß hundertmal an dem gewöhnlichsten Tage über die Wunder erstaunen, die sich um ihn, vor allem in ihm ereignen. Nicht gemeint ist das unerklärliche Rätsel des Denkens überhaupt, die Auferstehung der äußeren Welt in unserm Innern und die Ordnung alles Daseins, die wir nur durch unsere Seele erfahren. Wir werden manchmal von Gesichten heimgesucht, durch die wir uns nur als Fenster empfinden, aus denen die unaussprechliche Sehkraft eines außerirdischen Wesens in dieses Leben blickt. Man sitzt oder liegt mit geschlossenen Augen wach in einem finstern Zimmer. Die Tür steht auf, und wir hören den Wind durch alle Räume des Hauses streichen.

Da wird die Haustür drunten geöffnet. Irgend jemand kommt die Treppe herauf, den Flur her auf die Stube zu, in der wir uns aufhalten. Seine Schritte klingen wie verhaltene Wut, wie unterdrückter Grimm. Und plötzlich steht er auf der Schwelle, zehn, zwölf Schritte von uns, doch unsichtbar. Nur ein Ballen und Drücken geht von ihm aus. Es ist in der Finsternis ein noch Finstereres und wirkt gleich einem beklemmenden Griff, der uns umfaßt und zusammenpreßt. Denn von der Art und Wesenheit eines Menschen erfahren wir durch die sichtbaren Gebärden und seine Gestalt nur eine sehr unvollkommene Vorstellung. Das mit dem Auge wahrgenommene Spiel zufälliger Regungen muß in der Tiefe unseres Wesens, in ein Schauen umgesetzt werden, wofür die Sprache keine Worte, der Geist keine Bilder und die Welt nur Sinnzeichen besitzt. Auf Grund von Kräften, die uns wohl immer ein Rätsel bleiben werden, sind wir imstande, die Lieblichkeit einer Landschaft auch bei Nacht wahrzunehmen. Uns packt das Grausen der Öde, auch wenn wir nichts zu sehen vermögen. Felswände wälzen Beklemmungen auf uns, Abgründe jagen uns Schrecken ein, und wir spüren an dem schwebend hohen Flug über uns die Endlosigkeit einer Ebene.

Die geheimste Süßigkeit des Blumenduftes können wir nur geschlossenen Auges bis in die Tiefe auskosten. Das unergründliche Meer übt in der Dunkelheit seine stärksten Wirkungen. Wasser klingen ihren geheimsten Zauber im tiefen Waldesschatten am vernehmlichsten und ergreifendsten in die Seele. Die abgründischen Klarheiten eines großen Geistes überzeugen uns erst ganz, wenn wir die Lider über die unruhige Sehleidenschaft der Augen gezogen haben, und nur so vermögen wir die unsagbaren Verkündigungen großer Musik uns zu eigen zu machen. Wirklich, man könnte durch diese Tatsachen zu der Überzeugung sich gedrängt fühlen, daß die Augen diese Welt zwar sichtbar machen, zugleich aber in dem Wirbel der bunten Bilder uns um ihren tiefsten Sinn betrügen. Sicher aber ist die Welt der Blinden nicht weniger vielfältig als die Erde der Sehenden, nur daß die Menschen mit umnachteten Augen alles auf eine andere, innerlichere Weise empfangen als diese; denn die kleine Helene erkannte die Metalle an dem verschiedenen Geschmack, den sie in ihrer Nähe auf der Zunge empfand. Von dem Eisen sagte sie, daß es säuerlich schmecke, das Kupfer war ihr zuwider durch eine bitterliche Schärfe, das Blei erkannte sie an seiner fettigen Dumpfheit, das Gold liebte sie wegen seiner warmen, blumenhaften Fülle, und dem Silber war sie vor allem zugetan, weil es einen klaren, kühlen Duft wie frische Luft oder eben gequollenes Wasser besaß. Die Farbe der Blumen nahm sie an dem Geruch wahr, den sie ausströmten, und mit einem Tastgefühl, dem die Kraft des Sehens in den Fingerspitzen selbst auf gewisse Entfernungen innewohnte, genoß sie die Gestalt der Pflanzen. Einmal saß sie mit der alten Trine zur Frühjahrszeit im Buchengrunde zwischen Brederode und Hemsterhus. Es war sonnenstill. Die silberstämmigen Bäume standen geräuschlos wie verzaubert und hielten auf Millionen Zweiglein die goldroten, zum Brechen geschwollenen Knospen ins Licht, damit es sie vollends öffne. Die betagte Frau erzählte dem Kinde wieder einmal von dem Dornröschen, das seit Jahren in dem Rosenbusch im Schlafe lag und gar nicht erwachen konnte. Die Greisin erzählte, wie Helene es liebte, alles recht gruselig und schlimm. Aber während das Lenlein sonst dabei ein vom Fürchten blasses, eingezogenes Gesichtlein und überwölkte Augen bekam, hörte sie diesmal all das Beklemmende mit leichter Heiterkeit an, streichelte sanft das junge Gras mit den Händen und brach endlich in ein beglücktes Gelächter aus, ließ sich rücklings ins Grün fallen und kicherte immer von neuem los und vermochte nicht, sich zu halten. Da aber Helene zuletzt merkte, daß Trine der Meinung war, sie lache sie wegen der Ungeschicklichkeit des Erzählens aus, sagte sie, es wäre ihr heut nicht möglich, sich schön zu fürchten, weil die Bäume über ihr fortwährend so lustig lächelten und nicht aufhörten, wohin sie auch sehen möge. Trine blickte in den goldenen Schimmer der knospenden Buchenkronen und empfand nun auch die Heiterkeit der ins Leben stürmenden Bäume, die das Kind in der tiefen Seele gewahr geworden war, und fuhr ihm liebkosend und verwundert durch die Haare. Dazu sagte sie zärtlich: »Wart' nur, du liebes, böses Sintlingergeistlein, das sag' ich dem Vater.«

Wie das Lenlein von dem seelenleisen Gelächter der erwachenden Buchen berührt wurde, so empfand sie auch den Zug weißer, hoher Wölkchen als eine schelmische Freude, die fern, entrückt über die Erde wandelte. Das Nahen des Gewitters wirkte als das Heranschleichen einer schreckhaft-beklemmenden Dämonie. Der klare Tageshimmel versetzte ihre Seele in eine heitere Unermeßlichkeit, und das bestirnte Firmament der Nacht fühlte sie als eine unergründlich milde Macht über sich wachen.

Sie erkannte die Menschen aus dem Klang der Stimm«, dem Fluß der Rede nicht nur nach Größe, Gestalt und Alter, sondern empfing durch die stärkere Entwicklung eines geheimen Sinnes, der bei sehenden Menschen nur schwach als Sympathie und Antipathie vorhanden ist, ein untrüglich klares Wissen von der Beschaffenheit ihres Charakters, dieser inneren Gestalt des Menschen, und überraschte ihre Umgebung oft durch die Erkenntnis der Physiognomie sonderbarer Leute.

Die alte Trine hatte recht. Wie ein Geistlein wandelte das Sintlingermädchen mit Schritten durch den Heiligenhof, als schwebe sie von unsichtbaren Flügeln getragen dahin. Das Geräusch ihrer Fortbewegung schien nicht von ihr erzeugt, sondern eilte gleichsam hinter ihr her, wie das hörbare Erschrecken der Erde, die von ihrem Fuß berührt wurde. Es war, als sei sie schon vor ihrer Geburt zur Welt gekommen, so wenig paßte ihr Wesen sich der gewohnten Entwicklung der Kinder an, so fern und jenseits vom Leben der anderen war ihr Dasein, so unwirklich und ergreifend klang ihre Stimme, ein solch unfaßlicher Schimmer schwebte um ihre Gestalt, ein solch unbegreifliches Licht strahlte aus ihren unirdisch-stillen, klaren Augen.


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