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Fünftes Kapitel

Die Querhovener Aberchristen hatten es im Munde der Leute auf den Dörfern rundum natürlich nicht zum besten, und der gelindeste Ausdruck für ihr heimliches Kirchen- und Gnadengewese, »Himmelsknorzen«, war doch sehr bezeichnend für ihre peinlich-schroffe Abschließung gegen alle Verunreinigung durch sektiererische Flugsamen von außen. Sie bewahrten ein vollkommenes Stillschweigen über ihre innere Einrichtung und Lehre, trieben keinen Seelenfang und ließen allen Spott in nachsichtiger Güte an sich unwirksam werden. Doch als alle Draußenstehenden noch glaubten, der tiefste Friede herrsche unter ihnen, bereiteten sich Mißverständnisse und innere Reibungen vor. Die unbesiegliche Hartnäckigkeit Gottlieb Meixners, trotz aller Lockungen seinen Platz im Vorraum an der Tür der Schwarmkirche nicht aufzugeben, sondern immerfort, halb Horcher und halb Hörer, von draußen das Gnadentreiben zu beobachten, wirkte erst beunruhigend und führte dann zu richtigen Mißhelligkeiten. Denn der Wortführer des exorzistisch angehauchten Teiles machte jener um den Vanlyßender gruppierten Partei den Vorwurf zu großer Unbestimmtheit, zu weichlicher Gefühlschwelgerei, weswegen ergriffene Seelen gleichsam nur am Saume berührt, nicht bis in die Tiefe heilsam erschreckt und aufgewühlt, im Sturm dem Glauben gewonnen, sondern nur laulich hin und her geschaukelt würden. Einer legte in einer Versammlung »der Weichen« gar ein hölzernes Schwert vor den Vanlyßender auf den Tisch und fragte mit lauter, vorwurfsvoller Stimme alle Anwesenden: »Wißt ihr nicht, daß unser Herr Jesus den Kampf gebracht hat? Auch sagt der Herr: Ich bin gekommen, ein Feuer auf die Erde zu werfen.«

Und damit verschwand er aus dem Kreise. Denn gar zu leicht vernachlässigen innerlich Besessene bei dem steten Glühen für ihre hohe Absicht die Form ihrer äußeren Handlungen und blasen, könnte man sagen, auf einem Grashalm Posaune. Und so vergriff sich nicht nur dieser streitbare Exorzist unter den Querhovener Gläubigen, sondern auch die anderen beiden Parteien erhoben sich zu gar oft komischen Rechtfertigungen ihrer besonderen Weise. Es erschienen Plakate an den Zäunen mit der großen Frage: »Bin ich ein Lauer?« Und so oft ein Sanfter in die Nähe eines heißen Schwarmhauses kam, begann die ganze Familie drin das Kampflied zu singen: »Spring auf, mein Herz, und wappne dich.« Aus dem Streit um den Schritt wurde unversehens ein Streit ums Bein, man wich in der Auslegung der Grundwahrheiten auseinander, und aus dem ehrlichen Bestreben, sich zu verständigen, entzündete man sich immer mehr. Denn nichts empört so sehr als die Ablehnung einer Kleinigkeit. In diesem Kochen gerieten die Gelassenen auf den Gedanken, dem Heiligenbauer das Amt des Schiedsrichters zu übertragen. Denn wenn er sich auch abseits von ihnen hielt, er war seinem Wesen nach doch einer der Ihren, und eigentlich von seinem Hofe her hatte die Erweckung des ganzen Dorfes den Anfang genommen.

Der Vanlyßender wurde also an den Sintlinger mit der Frage gesandt, ob man in der Seele um des Glaubens halber Gewalt gebrauchen oder alles dem Wirken Gottes anheimstellen solle.

Der Heiligenbauer hörte die langen Auseinandersetzungen des bekümmerten Greises an, überlegte lächelnd eine Weile und sagte dann: Beim Pfeifen komme es nicht aufs Mundspitzen, sondern aufs Lied an. Aber das rechte Lied ordne die Lippen von selber. Das sollten sie bei sich bedenken. Im übrigen bäte er, ihn mit solcherlei Anfragen nicht mehr zu behelligen. Aber die Querhovener hörten nicht auf, ihm jedes Glaubensgericht zur Begutachtung zu übersenden, das ihre Unruhe verdorben zusammengebraut hatte. Und als der Sintlinger noch einige begütigende Ausweichungen aufgebracht hatte, wurde er unmutig, und nach der Meinung der einen soll er nun den Ausspruch über die Fische als Antwort gegeben, nach anderen aber sie erregt mit folgenden Worten vom Hofe gewiesen haben: »Ich bin nicht euer Papst, und wenn ihr noch etwas wissen wollt, so gebt acht auf das Wasser, wenn es sich in eurer Hand zum Tropfen zusammenrollt und so ein Abbild der ganzen Welt wird. Wenn ihr hört, daß es dabei einen Laut hervorbringt, so habt ihr recht, mit Geschrei und Zank auf Gott und eure Seele Jagd zu machen. Im anderen Fall legt einen Grashalm auf den Mund und atmet durch die Nase, wenn ihr mit euch oder anderen andern Sinnes werdet.«

Dieser Bescheid des Heiligenhofbauern verhalf dem Geiste der stillen Inbrunst in Querhoven wieder zum Siege, und alle kehrten auf den Weg des sanften, verzückten Dienstes zurück. Der Sintlingerstein unter den Torlinden des Heiligenhofes war eines Morgens über und über mit roten Heckenrosen besteckt, die Ursula Rütsch, der man diese Huldigung zuschrieb, sang das Lob des »gottessichtigen« Lenleins wieder öfter, und Gottlieb Meixner fand sich als abseitiger Mitgänger unbelästigt wieder in den Versammlungen ein. Und so hätte sich das geheime Pilgern der armen Querhovener nach dem Schimmer eines fernen, neuen Glaubens vielleicht langsam in diesem ergriffenen Schwelgen erschöpft.

Allein, wenn Leute ein Haus verlassen haben, gehen sie erst recht darin um, und brennende Worte hören nicht auf zu glimmen, hat man sie auch noch so gründlich aus dem Ohr gewischt. Jedenfalls, so tief, wie viele glaubten, hatte sich das andächtige Hinauswachsen der Querhovener aus dieser Welt nicht wieder bewurzelt, sonst hätte der Prahl-Meixner nicht zu einer solchen unseligen Bedeutung unter ihnen gelangen können.

Damals steckte dieser verlotterte Großbauer wieder in einer argen Geldklemme. Es waren ihm wegen tausend Mark, die er zur versprochenen Zeit nicht hatte zahlen können, seine letzten vier Kühe gepfändet worden. Sein Weib war ehemals als Tochter des einzigen Querhovener Großbauern ein stolzes und schönes Mädchen gewesen. Nun ihr das Schicksal alle Hoffnungen zerschlagen hatte, saß sie bei diesem Vorfall, der doch schon oft über sie gekommen war, kleinmütig umher und fuhr bei jeder fremden Stimme, die im Hofe ertönte, zusammen, lief in die Schlafstube und vergrub den Kopf in die Betten. Denn sie glaubte immer, der Gerichtsvollzieher sei da und hole ihre letzten Kühe, und wenn das geschehe, so werde sie es bestimmt nicht überleben. Sie habe es überstanden, daß die Balken aus dem Dachgesparre gesägt und verfeuert worden, daß ihr einziges Kind, ihr Mathinklein, von der Töchterschule habe genommen werden müssen, aber nun ersticke sie, wenn ihr das nicht erspart bliebe. Der große Elis, ihr Mann, lachte sie aus,, pfiff umher und tröstete sie. Wegen dieser paar Lumpenböhmen brauche er nur auf dem ersten besten Wege die Hand in die Höhe zu halten, so flögen sie ihm doppelt und dreifach zwischen die Finger. Mit standhaft gespielter Lustigkeit machte er sich jeden Tag zu einem anderen Freunde auf die Beine, der angeblich gebeten hatte, ihn bei einer eintretenden Gelegenheit doch ja nicht zu übergehen. Denn Geld sei immer in seinem Hause, und je mehr der große Meixner brauche, desto besser sei es für den Geldgeber.

Aber die reichen Helfer spukten nur in seinem Kopfe, und hatte er glücklich den nächsten Hübel hinter sich gebracht, so lenkte er in die erste beste Dorfschenke ein, begann sogleich nach seiner wilden Art auf alle Welt zu lästern, trank ohne Unterlaß dazu und kam jeden Abend mit leeren Händen und in einem Zustand nach Hause, daß er kaum die Lügen herausbrachte, mit denen er seine arme Frau trösten zu können glaubte. Die aber hatte nach kurzer Zeit alle Hoffnung aufgegeben und ging wie ein krankes Huhn während eines Landregens umher. Das Mathinklein, ihre vierzehnjährige Tochter, war zwar immer in Liebe und Trost um sie. Aber was kann ein Kind von der Not des Alters fassen? Mitten im Trost, mitten im Weinen um ihr und des Hauses Unglück wurde das Mädchen plötzlich von dem Wirbel ihrer Jugend angefallen und sagte, glücklich herauslachend, das beste sei, sie und ihre Mutter gingen von diesem abscheulichen Hofe fort in die Welt. Und jedesmal, wenn sie ihrer armen Mutter das sagte und zur Beteuerung die Hand aufs Herz legte, fühlte sie ihren keimenden Busen. Da loderte es wie ein Feuer durch sie, wie schön sie sei. Ja, das wurde manchmal so toll in ihr, daß sie schnell hinausging, sich in einer entlegenen Stube des großen, öden Hauses einschloß und dann laut zu singen und zu tanzen begann, bis sie erschöpft in einem Winkel zusammensank und leise in sich hineinweinte. Die Mutter aber, wenn die Tochter von der Sucht nach Wirbeln so von ihr fortgezogen wurde, sah hinter ihr her, nickte ihr toten Auges nach und sagte dann: »Ja, ja, Kind, das beste, du hast recht, ist, von hier fortzugehen; aber nicht in die Welt, sondern aus der Welt.« Diese grauen Eulenflügel huschten ihr öfter und öfter in die Seele, daß sie zuletzt keinen Ausweg wußte, als in dem allgemeinen, verborgenen Gottesschwärmen des ganzen Dorfes Ruhe zu suchen. Unter einem Vorwande schloß sie sich dem Gottlieb an, stand mit ihm schweigend an der Tür und sog sich aus dem Schwelgen der Frömmigkeit voll eines entrückten, friedevollen Taumels. Allein, kaum zog sie beim Nachhausekommen das schiefe, zerfallende Beitürchen des Hofes hinter sich zu, so hing sie schon wieder an dem Kreuz ihrer alten Verzweiflung.

Auf diese Weise rückte der Termin für den öffentlichen Zwangsverkauf der Kühe immer näher. Die Frau hatte noch immer keinen Boden unter die Füße und ihr Mann kein Geld und keinen Helfer gefunden. Da entschloß sich der Bauer endlich nach einer Rettung zu greifen, die er bisher immer aus Scham und Wut in sich abgelehnt hatte. Er machte sich den Tag vor der Versteigerung auf den Weg nach Hemsterhus zu dem Heiligenbauer. Hilft der nicht, dachte er im Gehen bei sich, dann soll die Welt einmal etwas erleben. Aber doch, während er so in dumpfer Wut vor sich hin drohte, mußte er schon wieder höhnisch auflachen. Denn wenn er seine richtigen Flöten spielen ließ und dem Sintlinger den Handel mit den Querhovenern recht um den Mund schmierte, so werde der Kleine, ohne zu wissen, was ihm geschehe, nicht nur in das erste, sondern vielleicht in das zweite Tausend hineintanzen.

Am Fuße des Sintlingerhübels war Meixner den Katzenjammer des Bankrotteurs schon los, und als er in den Heiligenhof trat, hatte er den breiten, wuchtigen Schritt des großen Elis und stieß unter der Tür einen blassen, schüchternen Landstreicher fast um, der um Entschuldigung bat und mit Tränen in den Augen davoneilte.

Er fand den Heiligenbauer in der Armenstube, das Lenlein mit herabgeglittenem Arm halb umschlungen haltend, und als der Sintlinger sich erhob, dem Meixner einen Schritt entgegenzugehen, lag über seinem ganzen Gesicht in die Tiefe seines Auges hinein das ernste Feuer schwerer Betrachtsamkeit. Denn er hatte soeben die Beichte eines verfehlten Lebens abgenommen. Die Türklinke war noch warm von der Hand des Davongegangenen, und die laute, schmerzvolle Erinnerung eines herzlichen, aber irren Menschenstrebens bebte noch in der Luft. Und herzlicher, wie es seine Art war, begrüßte er darum den verwitterten Bankrottbauer und bot ihm in Erinnerung eines früheren Vorfalls ein anderes Zimmer zu der Unterredung an. Meixner war von der fernen, fremden Geschlossenheit des Sintlingers so betroffen, daß er alle pfiffige Schlauheit im Augenblicke vergaß und in ein kordiales Verlegenheitsgelächter ausbrach. »Das, mein Lieber, is gerade die rechte Stube für mich«, dröhnte er in fortwährendem Lachen und schlug dabei den Sintlinger humorvoll auf die Schulter. »Is das nicht die Bummlerbank?« fragte er und ließ sich schwer auf die Bank fallen. »Ja! Und das ist also die Fechterstube?« fragte er wieder nach einer schneidenden Pause und sah sich mit verstörter Lustigkeit in dem großen, kahlen Raum um. Fast wäre ihm herausgefahren: Gerade gut für mich. Aber noch konnte er die Worte zurückhalten, und der Sintlinger sah unter den Zupfeln seines rötlichen Bartes nur das Kinnbeben und Mundzucken.

Der Heiligenbauer dachte im Augenblick, Meixner sei schon am Morgen trunken, erinnerte sich aber des morgigen Termines und wußte nun, daß den Armen schmerzvolle Scham und verzweifelter Stolz also beutelten.

Deswegen redete er ihm mit behutsam gütigen Worten zu. Aber anstatt sich nun kurzerhand seiner Bitte um ein Darlehen zu entledigen, denn er sah doch, der Heiligenbauer sei zu allem bereit, griff Meixner nach seinem schlauen Plane, sprang auf, lief durch das Zimmer, wehrte mit den Händen ab und sagte dann, gedankenvoll seinen Bart zergrabend: »Nicht doch, Bruder, nicht doch.«

Das Lenlein rückte furchtsam an den Heiligenhofbauer, der eine halbe Wendung auf der Bank machte und sie so mit seinem Rücken verdeckte. Indessen war Prahl-Meixner wieder auf die Bank zurückgekehrt und begann mit einem spaßhaften Stoß gegen des Sintlingers Bein ein verworrenes Geschwätz über das »Hocken«, »Plärren« und »Rammdösen« der Querhovener, über ihr geheimes Gezänk und ihre belästigenden Botschaften auf den Sintlingerhof. Und alles, was er sagte, war durchjauchzt von Hochachtung und widerlichem Lob der guten Eigenschaften des Heiligenbauers, und je mehr Prahl-Meixner in dieses honigsüße Hudeln hineinkam, desto wütender wurde er auf sich, seine Lage und den Sintlinger, und aus wachsendem Haß lobte er doch immer dicker, bekam fahle Flecken ins Gesicht, lachte heiser und sprang zuletzt mit einem Satz wie gestochen in die Höhe, in Not nahe am Erwürgen.

Davon schrak das Lenlein so zusammen, daß sie in den Heiligenbauer kroch und aufschrie: »Jag' den Mann hinaus, Vaterlein! Siehst du nicht, er hat ein Hundegesicht!« Dabei bebte sie am ganzen Leibe und begann laut aufzuweinen.

Der Sintlinger tröstete das Kind, sprach einige entschuldigende Worte zu dem Meixner und führte die Weinende davon. Der Bankrotteur lachte gezwungen und tartschte kosend nach dem Kopfe des Mädchens. Aber seine Hand bebte, und als sich hinter den beiden die Tür geschlossen hatte, packte ihn eine solche Wut, daß er weiß wie Kalk und steif wie ein Stock wurde, und da er nicht toben durfte, schossen ihm die Tränen aus den Augen. So wie eine Bildsäule des Hasses, fast besinnungslos mitten in der Stube stehend, traf ihn der wieder eintretende Heiligenbauer und war betroffen beim Anblick dieser wilden Zerrüttung.

»Nimm's dem Kind nicht übel, Meixner«, sagte er besänftigend, nahm ihn bei der herabhängenden Hand und führte ihn auf die Bank zurück. »Du weißt, der Kindermund ist ein Taubenhaus. Aber es packt dich wohl auch nur so wegen morgen, nicht?« so redete der Sintlinger gütig, und der wutsteife, fahle Mann bekam von der Berührung einer wahren Menschenhand einen förmlichen Krampf, sein Gesicht zuckte, die Zähne knirschten, die Tränen stürzten nur so, und endlich schluchzte er röchelnd, daß es seinen riesigen Leib zum Zerspringen schüttelte.

»Hör auf, Meixner«, sagte der Heiligenbauer, »es wird alles wieder gehen. Wieviel fehlt dir denn?«

Meixner faßte sich gewaltsam und schüttelte den Kopf.

»Sind tausend Mark genug?« fragte der Sintlinger wieder.

Der Bankrotteur verneinte wortlos.

»Da hast du zweitausend. Ich hab' gestern drei Ochsen verkauft. Nimm sie, und wenn du kannst, gibst du sie wieder.« Mit diesen Worten schob der Heiligenbauer zwei Tausendmarkscheine tief in die Seitentasche seines Rockes, faßte dann Meixners Hände und sprach: »Jetzt geh, und grüß mir deine Frau. Laßt es euch nur inwendig gut gehen, so läuft das Auswendige von selber gut hinten nach.«

Wie im Traume kam der Prahl-Meixner über den Heiligenhübel hinunter und ging in einer unbeschreiblich hohen Luft den halben Grenzweg hin. Unvermutet fiel ihm ein Lied ein, das er seit seiner Knabenzeit nicht mehr gesungen hatte. Und mit lauter Stimme begann er zu singen: »Ich geh durch einen grasgrünen Wald und höre die Vögelein singen.« Doch das reine Blühen seiner Seele stürzte schon nach wenigen Augenblicken in ihm zusammen. Er griff nach den Scheinen in der Tasche, zog sie heraus, besah, befühlte sie und brach, als er sich überzeugt hatte, daß es wirklich, wahrhaftig, richtig »zweitausend Mark« seien, in ein lautes, wildes Gelächter aus. Dann schwang er seine Beine in tanzendem Gange. So schoß er in die Hemsterhuser Schenke, ließ sich hinter einen Tisch fallen, hieb mit der Faust auf und verlangte eine Flasche Wein, aber »Meixnerwein, vom besten, nicht solch verfluchten Krötenseich«.

Er trank über den Mittag hinaus, und als ihn der Wirt, ein entfernter Verwandter der Frau, endlich zum Nachhausegehen bewogen hatte, stolperte er davon, aber nicht nach Querhoven, sondern nach Brederode hinüber und sammelte dort allerhand Pack um sich, mit dem er bis tief in die Nacht lärmte.

Aber heute trank er sich nicht aus der Not in immer keckere Zuversicht hinein. Er taumelte tiefer und tiefer in Zerknirschung, in Selbstanklagen, in Verwünschungen seiner reichen Heirat hinein, und als er in der Finsternis seinem Hofe zuschritt, hatte sein Zorn eine Höhe erreicht, daß die Flüche nur so von den Lippen pfiffen. »Mein Weib ist schuld mit ihrem Nobeltun, daß ich ein Hundegesicht gekriegt habe.«

Als Wüterich drang er in den Hof, riß sein Weib und seine Tochter aus den Betten, begann auf sie einzuschlagen, was er noch nie getan hatte, und trieb sie durch alle Räume, indem er ohne Aufhören brüllte: »Ich habe ein Hundegesicht, und ihr seid schuld an allem!« Zuletzt sah er niemand mehr vor sich. Er stieß an etwas, wurde sterbensmüde, fiel in sich zusammen und schlief ein.

Der Müller drunten am Hornwasser, der aus der Mühle getreten war, hörte ihn toben und sagte bei sich: »Na ja, freilich, morgen ist der Termin, oder vielmehr heute. Denn es wird schon grau über den Vördner Hübeln.« Unvermittelt brach das Toben des Trinkers und das Geschrei weiblicher Stimmen ab.

»Na, nu schlaf«, sagte der Müller zufrieden. »Man kann schon einen trinken; aber so was ist Unflat.« Ehe er in die Mühle zurückging, sah er noch einmal den Meixnerhof an, der jetzt lautlos im Grau auf dem Felsenstoß droben lag.

Da glitt eine weiße Gestalt aus einem der Gebäude, stutzte, huschte geduckt durch den Garten, kam an den zerfallenen Staketenzaun und bog ihn auseinander.

»Was ist denn das?« fragte der Müller beklommen, aber ehe er die Worte zu Ende sprechen konnte, schrillte ein Schrei auf. Wie ein weißer Strich fiel's durch die graue Luft und schlug ins Hornwasser, daß der Gischt weiß aufspritzte.

Dann war's totenstill ...

*

Am Morgen fand man die Querhovener Großbäuerin zerschlagen, blutig und ertrunken im Hornwasser. Die Polizei schaffte sie in die Leichenkammer des Kirchhofes, und der Totengräber verscharrte sie am anderen Abend in der Ecke der Unheiligen. Die Mathinka suchte Schutz bei ihrem Verwandten, dem Hemsterhuser Gastwirt, der sich gern des schönen, wildfeurigen Mädchens annahm. Prahl-Meixner stand am Küchenfenster seines Hofes und schaute mit ratlos bohrenden Augen durch den Garten auf die Zaunlücke, die sein Weib auf ihrem letzten Wege gebrochen hatte. So soll er Tag und Nacht und Nacht und Tag gestanden haben, bis er gefunden hatte, was er suchte. Dann verbrannte er bis aufs Hemd die Kleider, die er in der Unglücksnacht auf dem Leibe getragen hatte, überließ den Hof seinen Gläubigern und schaffte sich mit dem Gelde des Heiligenbauers in einem kleinen Hause ein neues Leben, indem er an die Bank der Speilhobler zurückkehrte, von wo ihn einst die Liebesraserei der Großbauerntochter weggelockt und um Glück und Ehre gebracht hatte. Er trank nicht mehr. Dafür hatte sich in seinen versteckten Augen ein unheimliches Glühen entzündet, und wenn er nach getaner Arbeit des Abends auf dem Bänklein seiner niedrigen Hütte saß, einsam und drohend wie halb im Schlaf, aus dem er dann und wann aufschrak, so hatte er etwas von einem versprengten, ausgehungerten Raubtier, das von seinem Lager zeitweise nach Beute in die Luft schnobert.

Der Heiligenbauer war von dem schrecklichen Geschick auf dem Meixnerhofe tief erschüttert, weil der zermalmende Stein durch sein Lenlein ins Rollen gekommen war. Niemand kam auf den Grund, warum sich der wilde Prahl-Meixner gerade an dem verhängnisvollen Tage mit einem »Hundegesicht« behaftet gefühlt hatte, während er doch sonst immer mit anderen über seine »Schönheit« zu spotten pflegte. Man hielt die Wildheit dieser Nacht überhaupt für eine Ausgeburt des Säuferwahns und begann, je länger, desto mehr, den Prahl-Meixner wieder zu achten, wegen des reißend entschiedenen Sprunges, mit dem er sich aus den Wirbeln des Verkommens wieder aufs feste Land gerettet hatte. Und der Sintlinger wollte dies schöne Erraffen nicht stören, darum behielt er für sich, was mit dem Meixner auf dem Heiligenhof geschehen war, und drang auch nicht auf Wiederbezahlung des geliehenen Geldes.


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