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Zweites Kapitel

Das ließ sich auf keine andere Weise tun, als daß die Bäuerin so verfuhr, wie sie dem toten Glöckchenhorcher das albische Handwerk gelegt hatte, daß man dem tollen Jakob und seiner Geistersippe einen tüchtigen, heiligen Denkstein setzte und damit ihre gefährliche Unruhe für immer unter die Erde drücke.

Als Johanna dem alten Zenker von dieser Absicht sprach, glänzten dem Graukopf sogleich die Augen wie geputzte Laternenscheiben, hinter denen das Licht angesteckt wird, und er war der Meinung, daß damit etwas geschaffen würde, was das Wohl des Hofes schon seit langem gefordert hätte.

»Und neben die Linden, nicht weit vom Tore, muß der Stein hinkommen«, meinte der Alte. »Wenn was Böses den Hübel 'rauf will, stößt es gleich am Tore gegen das Kreuze und fällt über den Abschuß hinunter auf den Grenzweg. Und will was Meschantes aus der Luft her an den Linden 'runter, kann es nicht weiter. Es bleibt in den Kronen stecken und muß sich da ausrasen.« So schweifte der Knecht das Lob des Denksteines bis auf den letzten Tropfen aus. Am Ende aber geriet er sich mit verlegenem Finger in die Haare, kratzte den ganzen grauen Schopf durch und meinte, daß das, was besprochen, ja ganz schön sei, allein, machen werde es sich doch nicht lassen, denn in aller Welt sei der Bauer zu so was nicht zu bringen. Wenn es ausnehmend gut ginge, würde ihm das Lachen aufhocken, und damit hätten sie von vornherein einen Rechen mit abgebrochenem Stiel in der Hand, und das ganze teufelsmäßige Erbe der Sintlinger müßte eben in der Luft liegenbleiben.

Die Befürchtungen des Alten trafen nicht zu.

Der Sintlinger hatte sich in diesen Wochen still auf ganz abseitigen Wegen gehalten. Ohne sich vor Johanna mit Absicht zu verheimlichen, blieb er doch gern in der Abgeschiedenheit, zu der ihn die gesteigerte Tätigkeit nötigte, seit sich der alte Wirtschafter wegen der Kränklichkeit von jeder energischen Arbeit fernhalten mußte.

Der Bauer schraubte sich zum Platzen scharf in die Zange des Fleißes: überwachte selbst unermüdlich das Einzeln der Rübenpflanzen, trieb das Gespann übers Kartoffelfeld, walzte die zu geile Kornsaat ein und riß sich mit ungeduldigen Schritten jeden gemächlichen Atemzug aus dem Munde. Bei alledem sah man einen immer tieferen Frieden in seinem Gesicht glänzen, und oft kam es seinem Weibe vor, er sei nicht zu erreichen, obwohl sie Seite an Seite mit ihm hinter dem Tisch saß, durchs Feld ging oder im Hofe schaffte.

Auch als Johanna zu ihm von der Errichtung des Denksteines sprach, fiel er nicht aus der hohen Weite herab, in der er lebte.

»Für wen soll denn der Stein?« fragte er ruhig und sah sie so klar an, daß sie verwirrt wurde.

»Nun, für die Sintlinger alle«, antwortete sie errötend. Er nickte sinnend und setzte gedankenvoll fort: »... damit sie unten bleiben, meinst du, nicht? Ja, ich verstehe. So etwa, wie du es mit dem Albe gemacht hast. Hm, hm.«

Mit diesen Worten gab er zu verstehen, daß ihm trotz seiner Abseitigkeit der Spukhandel zwischen ihr und dem Graukopf nicht verborgen geblieben sei. Und als Johanna zu ihrer Rechtfertigung von den Berückungen zu erzählen begann, ließ sie Andreas zwar einen Teil auspacken, bekam aber ein immer lustigeres Gesicht und faßte sein Weib endlich am Arme.

»Liebe Johanna«, sagte er, »die meisten Menschen jagen sich die Mücken mit der Hand. Du schmeißt mit Steinen danach. Wenn's hilft, meinetwegen. Ich bin zwar auch ein Sintlinger. Aber ich denke, so weit hab' ich's noch nicht getrieben, daß du dich vor mir fürchten mußt, und schaden kann mir ja so ein Stein auch nicht.«

Nach diesen Worten sprang dem Bauer doch das Lachen aus dem Munde, das Zenker prophezeit hatte, und klang dazu noch so spöttisch, daß die Bäuerin wirklich glaubte, ihr sei auf diese lustige Weise endgültig alles aus der Hand geschlagen, und sie wandte sich ab und sah bedrückt ins Weite. Dem Sintlinger aber war es wirklich nur um den Spaß zu tun gewesen. Er strich ihr darum liebevoll an der Wange hin, hob ihr mit dem Kinn das Gesicht und sagte: »Nein, nein, Johanna, mußt einen Scherz verstehen. Deinen Denkstein sollst du schon haben ... Was willst du noch sagen?«

Doch die Bäuerin hatte keinen Drang, noch etwas zu erwidern. Sie drückte ihm die Hand, und sie trennten sich, ein jedes zu seiner Arbeit.

*

Der Steinmetz in der Stadt, dem die Herstellung des Sintlingersteines übertragen wurde, nannte sich Bildhauer, weil er in seiner Jugend einen rasch mißlungenen Versuch zu künstlerischer Ausbildung unternommen hatte. Seitdem war er ein verpfuschter Handwerker, der zur Ausführung aller Aufträge die doppelte Zeit brauchte, weil er sich vor Inangriffnahme einer Arbeit erst mit einem wilden Wespenschwarme ausschweifender Einbildungen herumschlagen mußte. Vielleicht stürzte er sich auch nur aus Eitelkeit in dieses innere Brodeln, um die Not »des echten Künstlers« zu kosten und die Kunden von der Anschlägigkeit seines Kopfes zu überzeugen. Für den Heiligenhof gebar er zunächst Rotunden mit Weltkugeln, sitzende und fliegende Genien auf einer Kuppel, Säulenhallen mit Freitreppen, symbolische Figuren, die bald mit ausgelöschten Fackeln, bald mit Sanduhren hantierten und in allen Stellungen des Nachdenkens und schwermütiger Prophetie gedacht waren. Mit diesem bunten Plänegeräusch drehte er sich hartnäckig vor dem Sintlinger und seinem Weibe, obwohl ihm gleich gesagt worden war, daß es sich nur um ein einfaches Postament mit einem Kreuz handle. Als er endlich sich aus seiner eitlen Beneblung faßte und den Auftrag verstehen konnte, war er tief enttäuscht, kriegte ein graues Gesicht und ging feindselig davon, als halte er diese Arbeit unter seiner Würde. Damit pflegte indes immer seine fördersame Arbeit zu beginnen, und es stand zu erwarten, daß nun in kurzem die Hoffnung der Sintlingerin erfüllt werden würde. Der Bauer zog sich immer mehr von dieser Angelegenheit zurück und überließ es seinem Weibe und dem alten Zenker, den »Bildhauer« immer wieder anzufeuern. Es gab auch nichts mehr als diesen mechanischen Antrieb, womit dem Werk genützt werden konnte, nachdem durch den Sintlinger der einfache Wortlaut der Widmung festgestellt und mit nicht großer Mühe der Entschluß bei Johanna durchgesetzt worden war, wegen der üblen Nachrede der Leute von der kirchlichen Weihe des Denkmals abzusehen. Nach der Versicherung des Bildhauers rückte die Arbeit im Galopp vorwärts, und schon gab er die Anweisung, mit der Aushebung der vermessenen Grundgrube zu beginnen.

Allein so nahe vor der Vollendung wälzte sich eine Störung in die Werkstätte des Steinmetzen, für die er nicht verantwortlich war. Sie verzögerte nicht nur die Aufstellung des Denksteines, sie rührte von Ereignissen her, die auch in das Leben des Sintlingers auf die merkwürdigste Weise eingriffen.

In jene Zeit fiel die schreckensvolle Unruhe, von der ganz Deutschland durch ein furchtbares Grubenunglück im Ruhrrevier versetzt wurde.

Die lässige Handhabung der Berieselung des Kohlenstaubes hatte auf der Zeche »Gotthilf« in Gelsenkirchen einen Grubenbrand hervorgerufen, der sich mit unheimlicher Schnelligkeit verbreitet und mit seinen Rauchschwaden einen großen Teil der Stollen der letzten Sohle erfüllt hatte, daß mehr als hundert Bergarbeiter, von der Außenwelt abgeschnitten, dem sicheren Tode überliefert schienen. Ganz Deutschland fuhr in lähmendem Schrecken zusammen, und hart drang dieses Ereignis auf die bäuerliche Bevölkerung, vor allem auf jene ein, die, wie die Bewohner von Hemsterhus und Umgegend, der Herdstelle des Unglücks so nahe waren. Die Erde, der vertraute, sichere Boden alles Lebens, erschien gar manchem nun als eine trügerischtückische Decke, unter der sich unvorstellbare Drohungen zusammenballten, Gewitter der Tiefe hinliefen, wo sich geräuschlos Gräber bereiteten, die jeden Augenblick aufgähnen und an Menschen sich vollschlucken konnten. Und weil diese Erschütterung noch dazu in Wochen vor der Ernte fiel, in der den Bauer im Anblick des reifenden Getreides immer eine lebhaftere Empfindsamkeit um das Wohl und Wehe seines Lebens packt, belud sich jede dunkle Wolke, die aufstieg, mit größerer Gefahr, schrie jeder Wind unheimlicher, lastete jede stille Hitze unheilvoller als je vorher. Diese Angst, die jeder vor dem anderen verheimlichte und doch nicht verbergen konnte, wurde noch vermehrt, als die Nachricht wie ein Sensenreiter durch die Dörfer stob, daß es bei der Bergung der Opfer der Grubenkatastrophe zu wilden Auftritten nicht nur der Angehörigen, sondern der Belegschaft von anderen Gruben gekommen war, die die Verwaltung der geizvollen Vernachlässigung der Sicherheitsmaßregeln zieh. Die verzweifelten Weiber hatten wie ein schreiender Orkan getobt, Türen und Fenster der Zechenhäuser mit Steinen bombardiert und so auch endlich die Bergleute zu Gewalttaten mit fortgerissen, die anfangs drohend und düster, aber gehalten und besonnen in der Rettung ihrer armen Genossen Aufmerksamkeit und Kraft erschöpft hatten. Jetzt aber, als man den Schmerzausbrauch der Witwen und Waisen durch ein starkes Polizeiaufgebot unnötig zusammengedrückt hatte und beim ersten Überschreiten der Ordnung sogar die Flinten hatte losgehen lassen, war die dumpfe Betäubung der Männer dem hellen Aufruhr gewichen. Auf den Hilferuf der Grubenbesitzer war das Militär der nächsten Garnison herangezogen worden und hatte die aufsässigen Bergleute mit einer Salve auseinander gesprengt, wobei drei Tote und eine größere Anzahl Verwundeter auf dem Platze geblieben waren. Diese Maßregel der Dämpfung schlug in das Gegenteil um. Wie ein Flugfeuer beim Sturm verbreitete sich die Auflehnung über alle Zechen des Ruhrgebietes, als hätten all die schwarzen Tausende nur einen Mund, um Rache zu schwören, einen Arm zum Losschlagen und einen Kopf, auf Vernichtung oder Demütigung ihrer Feinde zu sinnen. Das regellose Marodieren, in das alle Widersetzlichkeit aufsässiger Arbeiter sich bald am Anfange sonst immer verliert, die unbändigen Ausbrüche eigenwilliger Roheit und Zerstörungswut wurden von einem überlegenen Willen unbeirrbarer Umsicht und ruhiger Entschlossenheit unterdrückt und schufen sich wie von selbst in den einheitlichen Geist eines wohldisziplinierten Heeres um.

Der Mann, der das Wunder der Zusammenfassung dieser wilden Masse zustande gebracht hatte, gehörte keiner Partei an und war auf kein Programm eingeschworen. Nach der Meinung der einen war er ein Bergmann, der aus dem belgischen Kohlenrevier den bedrängten deutschen Arbeitsgenossen zu Hilfe geeilt war, andere wiesen nach, er sei ein davongelaufener Volksschullehrer aus Schlesien, der wegen Unglauben und Widersetzlichkeit gegen seine Behörde des Amtes verlustig gegangen sei. Überall, wo die Wut der Bergleute zum offenen Kampf drängte, erschien er und verhalf den vom Zorn Berauschten zur Besinnung ihres Rechtes und zum ruhigen Vertrauen auf ihre Forderungen. Die Bedrückten verwandelten sich unter dem Einfluß seines Wortes in mutige Soldaten der Armut, die Zaghaften lebten von seinem Feuer, und die Böswilligen hielt die Reinheit seiner Begeisterung im Zaume.

»Herr de Favre, der ungekrönte König der Bergleute«, »Der Volksschullehrer Faber, Gegenpapst und Gegenkaiser«, das waren so die Überschriften aus den Zeitungen, die über das Wirken und die Persönlichkeit des seltenen Mannes berichteten. Und wie alle Menschen, die von der gewohnten Form des Lebens beträchtlich abweichen, wurde er sofort ein Gegenstand der Legende, so daß es den Fernstehenden unmöglich war, sich von ihm eine richtige Vorstellung zu bilden. Es hieß, er sei klein, kalt und dämonisch wie Bonaparte, blaß und unschön wie er, und keiner vermöge der Unergründlichkeit seines Auges und dem stürmischen Feuer seines Willens zu widerstehen. Andere beschrieben ihn als einen Mann von ungewöhnlicher Größe, mager wie ein Trappist, mit einem wallenden Bart und der gütigen Sanftmut eines Franziskaners. Aber es blieb keine Zeit, sich die Gestalt des Mannes einzuprägen, der unaufhaltsam gleich einem geborenen Heerführer und träumerisch entrückt wie ein Gottesstreiter der Rechtlosen aus dem Dunkel aufgetaucht war. Denn die Ereignisse überstürzten sich. Faber oder de Favre hatte in der Nähe von Herne eine Bergarbeiterversammlung unter freiem Himmel zusammengerufen.

Hier nun brach die Katastrophe über ihn herein. Wie bei allen Explosionen einer Volksmenge wußte nachträglich niemand recht zu sagen, welches die Veranlassung dazu gewesen, und auch über den Verlauf des Tumults herrschten die widersprechendsten Ansichten. Nach der Meinung der Polizei soll sich de Favre oder Faber leidenschaftliche Aufreizungen zum Widerstand gegen die Staatsgesetze haben zuschulden kommen lassen, nach Aussage der sozialdemokratischen Führer habe er sich nur wie immer in seine bekannten erdentrückten Phrasen verstiegen. »Männer, Menschen«, so soll er gerufen haben, »ihr alle seid so ewig und göttlich wie der Himmel mit allen Wundern über euch. Ihr besitzt die Macht der Unwiderstehlichkeit wie er, wenn ihr innerlich die wahre Gerechtigkeit einer schuldfreien Seele aufrichtet und sie zu einem geschlossenen Strome vereinigt. Dann werdet ihr die widersacherischen Reichen überwinden, so wahr sich meine Hand an meinem Arm schwenkt. Nichts kann euch widerstehen. Könige sind dann wie der Atem eures Mundes, den ihr von euch blast, und selbst Gott vermögt ihr zu zwingen.«

Bei diesen Worten entstand ein rasendes Durcheinanderschreien von »Bravo«, »Majestätsbeleidigung«, »Gotteslästerung«, »Ruhe«, »Im Namen des Gesetzes«, »Hunde« und ähnlichem. Der Menschenhaufe wurde ein Knäuel, der sich selber schoß, stach und prügelte. Und als sich die Wildheit nach einer Weile auf diese Art selber aufgefressen hatte, war Faber wie von der Erde verschluckt. Ein großer Teil seiner Zuhörer machte mit der Polizei gemeinsame Sache und brach unter Verwünschungen zu seiner Verfolgung auf. Im Handumdrehen verkehrte sich die Begeisterung für den rätselhaften Mann in Haß gegen ihn. Gerüchte über allerhand Ehrlosigkeiten, ja verbrecherische Handlungen verdunkelten die Luft um die unbekannte Spur seiner Flucht.

Telephon und Telegraph läuteten durch die ganze Provinz, und die verfolgenden Gendarmen kamen Tag und Nacht nicht von ihren Gäulen. Man hetzte ihn wie einen Mörder und Räuber.

Hemsterhus und alle Ortschaften seiner nahen und weiteren Umgebung gerieten in heftige Unruhe, denn es verbreitete sich das Gerücht, der »Held von Herne« habe auf der Flucht nach der heimatlichen belgischen Grenze den Weg durch die westfälische Ebene genommen und, von den vielen Forsten um Hemsterhus begünstigt, könne es nicht fehlen, daß der »Königs- und Gottesfeind« mit seinem geringen Anhange nirgends als hier durchkommen müsse. Man stellte sich unter Faber einen bestialischen Menschen vor, dem aus allen Taschen Schieß- und Stichwaffen sahen, der von Lasterhaftigkeit funkelte, in dessen Nähe die Höfe von selbst Feuer fingen. Deshalb war man in allen Dörfern während dieser zwei, drei Tage nach dem Herner Tumult in einer fortwährenden Aufregung der Furcht. Jeder schlecht gekleidete Fremde, den man sonst ruhig die Häuser und Höfe abklopfen ließ, war sofort verdächtig. Die Jugend schrie, die Weiber rannten vors Tor, die Männer tauchten mit einem errafften Prügel im Hintergrunde auf, und wenn der gutmütige Landfahrer oder erschrockene Händler sich ausgewiesen hatte und schleunigst davongegangen war, behauptete man hinterher, es sei doch der Teufelsbergmann, der »zwanzigfache Mörder« gewesen, schnoberte jedes Kornfeld durch, ließ keinen Hohlweg aus und schoß sogar auf Sträucher, die in der Ferne wie ein Mann mit krummem Rücken am Graben kauerten oder geduckt durch die Felder zu laufen schienen.

Die Luft bebte in allen Richtungen von Erschütterungen durch Schüsse, die man eigentlich nur zur eigenen Beruhigung abfeuerte; alle Wälder sahen aus, als wimmelten sie von Gesindel; jeder Weg trug Male verdächtiger Fußtritte; ja, den Überängstlichen war gar der Schatten unheimlich, der draußen neben einem einsamen Baume lag, und die verborgenen Winkel ihrer eigenen Häuser hockten drohend im Dunkel.

Der Sintlingerhof sah freier in diese allgemeine Aufregung hinein, wenn es auch den Frauenzimmern des Hübels oft genug gruselig durch den Kopf flatterte und den Knechten die Hälse langzog. Dem Bauern und seinem Weibe schien es kaum an den Stiefelsohlen zu schaben. Sie traten zwar manchmal, besonders in den letzten Tagen, als die ganze Gegend von der Verfolgung des flüchtigen Bergmannes Faber aufgeregt wurde und das Rumoren alle Dörfer rundum aufpleuderte, vor den Hof hinaus, hörten da einen Flintenschuß aufplatzen, dort einen Pfiff vergellen und woanders einen Zuruf in der Luft wie Gähnen verhauchen. Aber dem Sintlinger lief über den Tumult der allgemeinen Furcht nur ein halb spöttisches, halb betrachtsames Lächeln durchs Gesicht:

»Als ob man die toten Bergleute lebendig schießen könnte, tun die Leute alle, oder als könnte man mit Preschen den Totengräber zwingen, die Leichen wieder warm aus dem Grabe zu scharren, so laufen die Menschen umher. Ach Gott, und den armen Schelm, der die Bergleute aufgeredet hat, den sollen sie doch in Ruhe lassen. Der fürchtet sich jetzt selber vor sich am meisten, denn sonst wäre er doch nicht davongelaufen«, so redete der Sintlinger, nachdem er eine Weile sich umgeschaut hatte, und schritt dann wieder dem Hofe zu, und auch in Johanna verfing sich das Erschrecken nicht tiefer als in der Sorge über die Verzögerung der Aufstellung des Sintlingersteines.

Die Boten, die sich nach dem Fortschritt der Arbeit erkundigen, und die Fuhrwerke, die dies und das fertige Stück auf den Heiligenhof führen sollten, kehrten unverrichtetersache und leer von dem Steinmetzen zurück, weil der aufgeregte Meister nicht zu Hause angetroffen wurde. Die Neuigkeiten und die allgemeine Erregung wirbelten ihn fortwährend in der Umgegend umher, und traf man ihn ja einmal im Hause an, so antwortete er nach der Meinung der Knechte nicht anders wie »ein Markt voll Narren«.

Trotzdem – wie es möglich geworden war, begriff keiner – knarrte eines Tages der ausgesandte Wagen mit dem fertigen Denkmal auf dem Grenzwege von Hemsterhus her gegen den Sintlingerhügel.

Es war gerade der dritte Tag nach dem Herner großen Tumult und dem spurlosen Entweichen Fabers. Der Sintlinger saß an dem offenen Fenster und las die Zeitung, als eine Magd mit der Meldung hereinkam, der Wagen mit den Steinen stehe drunten am Zufahrtswege, und der Bildhauer lasse fragen, wie es der Bauer halte mit dem Heraufschaffen der schweren Werkstücke, denn auf einmal würden es die Pferde nicht den Hügel heraufbringen.

Andreas las eben die Schilderung des Herner Krawalles und horchte kaum auf die Worte der Magd. »Was?« fragte er zerstreut, als sie ausgeredet hatte, und ließ dann den Auftrag noch einmal ausrichten, hörte aber ebensowenig darauf, sondern fuhr fort, sogar noch die Rede Fabers zu lesen, die am Ende im Auszüge wiedergegeben war. Als er bis zu den Worten kam, in denen Faber behauptet hatte, daß der Mensch die Macht habe, selbst Gott zu zwingen, brach er in ein lautes Gelächter aus, zerknitterte zornig die Zeitung in seinen Fäusten und rief überlustig: »Der Narr! Der ausgemachte Narr!«

Dann schritt er an der Seite der Magd zur Tür hinaus den Flur hin über den Hof, als habe er die Absicht, die Anfahrt der Denkmalssteine zu leiten. Am Hoftor stutzte er aber und sagte, der alte Zenker solle die Angelegenheit regeln, kehrte um und verließ durch das Gartenpförtchen den Hof, ohne sich weiter um die Zurufe zu kümmern, mit denen ihn bald darauf sein herbeigeeiltes Weib verfolgte. Als Johanna hinter den Hof lief, sah sie ihn nach dem Buchengrund zu mit ungewöhnlich schnellen Schritten schon weit im Felde untertauchen.


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