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Dreizehntes Kapitel

Dieses Erlebnis des Heiligenhoflenleins mit einer von dem Schmerz um ihr gestorbenes Kind fast von der Erde vertriebenen Mutter war für die beiden Teilnehmer, die nächste Umgebung und im weiteren Umkreise ein Vorgang, der die bedeutsamsten Folgen nach sich zog.

Der Heiligenhofbauer kam im halben Vormittag des Tages, da sich der Vorfall ereignet hatte, gerade zu der Zeit vom Felde herein, als auf dem Gehügel gegenüber der Rütsch-Anselm und seine erlöste Ursula hinter dem Waldstreifen nach der Querhovener Wuhle zu verschwunden waren. Das Lenlein saß noch auf demselben Flecke, wo es von der hochbeglückten Mutter verlassen worden war, und spielte tief versunken mit einem Schmetterlinge, einem braunen, bescheiden gezierten Falter, den das Volk Kuhauge nennt. Nun gehört das Tierchen wohl nicht zu den vornehmen, besonders klugen Schmetterlingen. Doch war es immerhin merkwürdig, sogar wunderbar, was der Bauer da sah. Begierig, mit einem gewissen beglückten Schwung, umschwebte der Schmetterling das blonde Köpfchen des Kindes, fast lichttrunken, und sobald das Lenlein eine Hand ausstreckte, ließ sich der Sylphe darauf nieder, saß erst verwunschen still und begann dann mit einem wuchtenden Ausbreiten und Wiederschließen der Flügel, wie in höchster Ekstase, die rosigen Finger auf und nieder zu wandeln. Das Lenlein aber redete zu ihm, was der Sintlinger, der Entfernung halber, nicht verstehen konnte. Doch merkte er an dem Klang der Stimme, daß sie bald unzufrieden war wie eine ernste Mutter, bald verliebt flüsterte, bald lockte, und das unscheinbare Sylphlein folgte ihr in allem: floh, bat mit hartnäckiger Zudringlichkeit, schmiegte sich bebend über die Hand hin und sog sich dann mit den Füßen förmlich auf der Haut fest. Als der Heiligenbauer näher trat, wurde der Schmetterling zuerst aus seiner Trunkenheit verscheucht und flog fallend, taumelig, unsicher davon, wieder nur ein Schmetterling. Das Lenlein aber wandte das Gesicht in die Richtung seiner Flucht, überlegte lächelnd, streckte dann die Hand aus, ließ die Finger lockend spielen und sagte: »Komm. Wirst du wohl gleich kommen!«

»Da bin ich schon!« antwortete der Sintlinger, als wäre er gemeint gewesen.

Davon erschrak das Kind so, wie man nur vor dem Einschlafen erschrickt, wenn man die Empfindung hat, mit einem Ruck tief hinab zu fallen. Sie ließ kraftlos den Arm sinken und neigte unter einem furchtsamen Atemzug den Kopf.

»Wo hast du denn das hergelernt mit dem Schmetterling?« fragte der Heiliganbauer.

»Von der Frau«, antwortete, sich schnell fassend, das Kind.

»Von welcher Frau denn?«

»Nun, die eben da war, die ganz dunkel in die Tür kam und dann ganz licht wurde. Weißt du, Vater, durch so ein ganz weites, hohes Tor. Erst weinte sie, und ihr Kind ist ihr gestorben. Denk', da dachte sie zuerst, ich heiße Weißköpfchen, hahaha.«

Jetzt lachte sie schon wieder ihr silberschelliges Lachen.

So erfuhr der Heiligenbauer das wundersame Geschehen.

Am Abend fand sich die Lehrerin ein und versuchte erst, ihr langes Ausbleiben mit einem Briefe zu erklären, zu dessen Empfangnahme sie auf die Postagentur nach Hemsterhus bestellt worden sei. Als aber das Erscheinen der Rütschin besprochen wurde, verfärbte sie sich, blickte den Bauer feindselig an, sah dann verwirrt und höhnisch von einem zum andern und sagte schroff: Ja, wenn man darauf komme, so müsse sie erklären, daß dies ihr letzter Tag auf dem Hofe gewesen sei. Morgen müsse sie mit dem ersten Zuge in Dingden abfahren. Sie habe von der Behörde das Anstellungsdekret bekommen und solle in zwei Tagen antreten.

Der Sintlinger nickte überzeugt und ließ sie, ohne ein Wort zu fragen, in der nächsten Frühe noch im ersten Grau des erwachenden Tages davonfahren. Das Lenlein war für Elfriede Knille nicht zu einem letzten Wort zu erreichen gewesen, den ganzen Abend nicht und am Morgen erst recht nicht. Und nun, da die Lehrerin zwischen Körben und Koffern durch das schlafende Hemsterhus fuhr, bei einem Licht, daß alles in Auflösung und Unsicherheit schwankte, in den dahinter liegenden Wald, durch den von einem steten Wind der Nebel in langen, zähen Streifen getrieben wurde, daß es aussah, als seien die Bäume verbissen, finster, stumm auf einer aussichtslosen Wanderung begriffen, nun war es ihr plötzlich, sie fahre nicht dem Tag, sondern dem Dunkel entgegen, sei wie ein Mensch, der sein Glück fliehe, und es nutzte nichts, daß sie sich höhnisch auslachte, den verrückten Hof verlästerte und endlich zum Trotz gar lustig zu singen anfing.

Als sie in Dingden den Fahrschein löste, zitterten ihr die Hände, und sie brachte kaum die Worte hervor. Im Wagen aber sah sie nicht aus dem Fenster in den heiteren Morgen hinaus, sondern hatte ein Gefühl wie einst als kleines Mädchen, da sie während der Messe im Gotteshause unehrerbietig gewesen war und denken mußte, aller Segen sei jetzt von ihr genommen und nichts werde ihr gelingen. In Bocholt beim Umsteigen, mitten im Trubel, wurde sie plötzlich von dem engelfernen, wundersamen Wesen des Heiligenhoflenleins so wie von einem außerirdischen Licht ergriffen und brach in lautes Weinen aus.

*

Der Ursula Rütsch aus der Wuhle war in die tiefste Seele hinein durch das Sintlingerlenlein ihr gestorbenes Weißköpfchen wiedergeschenkt worden, und das Leben dieses armen Weibes hatte damit ein neues, großes Gebiet zu ihrem alten Dasein hinzugewonnen, jene Wunderprovinz nämlich, jenes außerweltliche Land, in dem sie durch die tiefsten Kräfte ihrer wiedertäuferischen Abkunft von jeher heimisch war. Dort wohnte nun in sonnenlosem Lichte ihr schönes Kind, und wenn es sie gelüstete, trat nun der Strom ihrer Seele über die irdischen Ufer und zitterte eine Weile glückvoll im Widerschein ewiger Verklärung.

In dieser Zeit vollzog sich mit Notwendigkeit ihr entschiedener Anschluß an die verheimlichten Gebräuche ihrer wiedertäuferischen Ahnen. Sie nahm eines Nachts ihre drei anderen Jungen aus dem Bett, wanderte mit ihnen tief ins hohe Holz an den versteckten Waldteich hinter der Wuhle und taufte sie dort, inbrünstig den Fußtapfen alter Zeremonien nachfolgend, wieder. Als die drei Jungen verschüchtert und ergriffen von der Glaubensglut ihrer Mutter in ihren weißen Hemden mit gefalteten Händen dem schwach gleißenden Teichspiegel zuschritten, glichen sie wirklich mehr dem Lichtschatten seliger Geister als lebendiger Menschen, und da nun gar vor dem Tauchen die Rütschin wahrnahm, daß ein Stern, der gerade über dem Teiche stand, sein Licht änderte, so daß sein unruhiges, glühendes Flackern plötzlich in ein friedvolles, weißes Strahlen überging, glaubte die gute Seele, nun werde wohl ihre Sünde wieder gutgemacht sein, die sie durch den erzwungenen Abfall von der geheimen Sehnsucht ihrer Voreltern begangen hatte.

Ihre Rückkehr und Wiedererweckung blieb verborgen, wie eben so etwas verborgen bleiben kann. Ihr Mann, der Anselm, tat, als habe er diese Nacht besonders tief geschlafen, die Rütschjungen schwiegen teils aus Freude, ein großes Geheimnis zu besitzen, teils aus Furcht vor ihrem Lehrer, dem Hemsterhuser Kantor. Sie schwiegen richtig, ohne jedes Zwinkern, Mundkräuseln, Augenklirren und Stolztun. So erfuhr Querhoven vorerst nichts von dem ersten Wiederaufbruch des sektiererischen Geistes, von dem es doch in einigen Jahren so tief ergriffen werden sollte.

Nur daß die Rütschin an einem verborgenen Glanz auflebte, daß sie in das Glück ihrer besten Zeit gerückt schien, das und einen vertieften, geheimnisvollen Schleier über ihr Gesicht, ja über ihr ganzes Wesen sah man. Aber man hielt das alles für die Wirkung des hübelheiligen Mädchens, des Sintlingerlenleins allein, und der Zauber des seltenen Kindes lief wiederum lebendig durch alles Volk der Dörfer und kleinen Städte in der Umgegend von Hemsterhus. Daß die Rütschin überall, wo sie nur mit Menschen ins Reden kam, von den verborgenen Segen- und Wunderkräften des blinden Mädchens sprach, ist klar. Es verfing sich in ihren Worten immer auch etwas von dem religiösen Feuer ihrer Wiedererweckung, und sie nannte Helene nicht anders als das »Gnadengeistlein«, »ein wirkliches Himmelskind«, und schwelgte so über ihr Erlebnis in das Glaubensgeheimnis hinein, das sie auf diese Weise ausplaudern konnte. All ihr Lob bebte von religiöser Inbrunst, und wie sie den Ruhm des blinden Mädchens verbreitete, zündete sie allenthalben Scheu und Freude über die Geheimseiten des Menschen, der Natur und Gottes an. Das Erlebnis der Schwerdtner-Josefa, die durch das Sintlingerkind vom Trunke errettet worden war und eine andere ergreifende Stimme erhalten hatte, tauchte nun auch aufs neue ins Gedächtnis aller Leute.

Als dann noch bekannt wurde, daß die Lehrerin auf dem Bahnhofe zu Bocholt vor Sehnsucht nach dem Heiligenhofkinde plötzlich in fassungsloses, lautes Weinen ausgebrochen war, kam allen Ernstes die Meinung auf, das Sintlingerlenlein sei im Besitz von Kräften, die über drei fließende Wasser hin, über alles Lebendige, ja sogar bis hinter die Schatten des Grabes zu wirken imstande seien.

Immer, wenn die Menschen von dem Ahnen ihrer seelischen Grenzenlosigkeit berührt werden, bemächtigt sich ihrer Heiterkeit und Lebenszuversicht, und von allen Dörfern wurden die Querhovener am nachhaltigsten von dem Zauber des blinden Kindes getroffen, denn daß einem Weibe aus ihrer Mitte das Wunder einer so lichten Schicksalswendung bereitet worden war, empfanden die Dorfbewohner als Rechtsprechung des von allen so oft verspotteten Querhovener Winkel- und Schrullenwesens. Die Speilhobel fuhren in allen Häuslein nun sausender durch die eingepflöckten Scheite, die Drechslermesser schnitten mit fröhlicherem Gellen die Spunde und Rahmzapfen aus dem Astholz, und die Jungen und Mädchen klebten die Spanschachteln mit heitererem, bedeutsamerem Eifer als sonst. All diese emsigen, stubenengen Menschen, mit einem verjährten Makel belastet, die sich als Nachkommen vertriebener Ketzer immer noch neben die Straße des Lebens gestoßen vorkamen, waren ihrem Wesen nach darauf angewiesen, nur von Wundern und außergewöhnlichen Erschütterungen eine Erfüllung ihrer Hoffnungen zu erwarten, die nicht anders wie ein wirres, trunkenes Gelock ins Gesicht ihrer Seele hingen.

Darum hörten sie in der Stimme, die die Schwerdtnerin, und dem neuen Leben, das die Rütschin von dem hübelheiligen Mädchen geschenkt erhalten hatte, die Verheißung des Herannahens einer besseren, höheren Zeit, ja, der Müller, der allerdings in jenem Jahr öfter als sonst die Beine verwechselte, wenn er aus der Schenke kam, redete gar von einem »Ruf aus Zion« und erinnerte in besonders angeregten Augenblicken an die Bibelstelle: »Aus dem Munde der Säuglinge und Unmündigen hast du, o Herr, dein Lob bereitet.«

*

Da platzte in diesen gelinden Wirbel, der sogar hier und dort, und das besonders in Querhoven, gelegentlich mit einem Funkenstoß vermischt war, ein Ereignis, eigentlich, wenn man's recht überlegt, zwei, daß auch jene in unklarem Schrecken zufuhren, die schon anfingen, in dem Heiligenhoflenlein etwas wie den Augapfel der Gottesmutter und im Sintlingerhof einen zukünftigen Gnadenort zu sehen.

Die Zeit war in einen neuen Frühling gerückt, schon ziemlich weit hinein, um den Tag der Himmelfahrt. Wie's der Bauer gern hat, konnten sich die Krähen schon in der Kornsaat verstecken, und auch das Gras auf den Wiesen stand dicht wie ein Filz. An den warmen Wasserläufen insbesondere lag es ganz breite Streifen lang aufeinander, denn die Halme vermochten die vielen fetten Blätter nicht mehr aufrecht zu tragen. Und die Rütschin, als umsichtige Wirtschafterin, fing wie andere Hausmütter schon an, da und dort solchen Überwuchs sich für die Viehpflege zunutze zu machen. Denn das Winterheu war sehr knapp, die Kühe mußten schon lange ins Stroh beißen, und im Butterfaß wurden wohl Molken, aber wenig Butter, die noch dazu knotenbitter schmeckte.

Deshalb machte sie sich, wenn alle Arbeit im Hause getan war, schon tief im Dunkel der Stunde, wenn der Abendtau zu fallen begann, auf den Weg in ihr hinterstes Wieslein. Das zog sich an einem Beifaden des Hornwassers unter einer warmen Lehne hin. Manchmal ging ihr Anselm mit. Kam er indes zu spät aus dem Walde, so duldete sie seine Hilfe durchaus nicht, sondern schlich sich mit Grastuch und Sichel zur Hintertür hinaus heimlich davon. Und wenn sie zurückkam, war es manchmal schon Mondzeit, so spät, daß der gute Rütsch sie aus der Ferne wie einen Laubbaum heranbuckeln sah, so finster war es schon, und so hoch über den Kopf hinaus hatte die Ursula Gras geladen. Da blieb er dann nicht die Hand im Hosensack stehen, sondern lief ihr entgegen, nahm die Hucke von ihrem Rücken und schalt sie tüchtig aus wegen der Rücksichtslosigkeit gegen das Kind, das wieder zu erwarten war. Aber die Ursula lachte ihren Mann nur aus, und wegen des Kindes tröstete sie ihn, das wachse gleichsam im Schatten des Heiligenhofes, und sie spüre, wie es gedeihe; denn so glücklich wie diesmal sei ihr noch niemals in der Zeit gewesen, selbst nicht da, als das Weißköpfchen auf dem Wege war.

Allein einmal, als sie wieder so spät auf der Waldwiese draußen war, wischte es ihr etwas aus, worauf freilich weder ihres Mannes Sorge noch eines anderen Menschen Argwohn in der ganzen Umgegend hätte geraten können. Sie war fertig, hatte die Hucke schon auf dem Rücken und suchte mit den Füßen die alte Schwarte, die als Brücke über dem Wassergräblein lag, fand sie auch und fing gerade an, wacker auszuschreiten, als sie hinter sich die Schwarte von einem eiligen Sprung knacken hörte. Doch blieb ihr nicht Zeit zu denken, was das wäre. Es keuchte hinter ihr der Atem eines überjächten Mannes auf, packte die Hucke, riß sie ihr mit so wilder Gewalt herunter, daß sie taumelte, und wie sie unter gellem Aufschreien noch an sich raffte, nicht zu Boden zu fallen, springt es ihr schon auf den Rücken, schlägt die Beine über ihren Hüften fest und beginnt sie zugleich mit Händen, die wie Krallen oder Holzklammern schmerzen, am Halse zu würgen, daß ihr die Sinne vergehen, preßt, quält und reitet auf ihr, als sei sie kein Mensch, sondern ein Pferd.

Rütsch, der hinter dem Hause stehend auf den gellen Schrei hin sofort herbeigeeilt war, fand sie wie leblos ein Stück von der Hucke entfernt im Grase liegen, und nachdem er mit ein paar Handvoll Wasser aus dem Graben sie wieder zur Besinnung gebracht hatte, erfuhr er von dem rätselhaften Überfall, sprang sofort in Wut hier- und dahin, schrie Verwünschungen in die Nacht, sah aber und hörte nicht das mindeste, auch nicht das leise Fortstehlen gedämpfter Schritte.

Allein, ehe man sich in den ersten Vermutungen zurechtgefunden hatte, nur zwei Tage später, wurde der Josefa Schwerdtner, die mit ihren leisen Liedern von Dorf zu Dorf zog, genau auf dieselbe Weise mitgespielt.

Als sie, im tiefen Abenddunkel nach Brederode zu unterwegs, an dem Steinbruch vorüber wollte, der eine Viertelstunde vom Dorfe entfernt lag, sprang es, daß die Steine rollten, in langen Sätzen auf sie zu, und ehe die furchtsame Witwe ein paar flüchtende Schritte getan hatte, fiel ein Hagel von Faustschlägen auf Rücken, Kopf und Nacken über sie. Zerzaust und übel zugerichtet raffte sich die Angefallene endlich aus ihrer Betäubung. Die Gitarre war in kleine Stücke getreten, aber ihr Bündel Habseligkeiten unversehrt. So schleppte sie sich zitternd vor Angst und Schrecken in den ersten Brederoder Bauernhof.

Die Aufregung über diese beiden Vorfälle war groß, ja, nahm binnen kurzer Zeit einen solchen Grad an, daß kein weibliches Wesen unter Lichts das Haus zu verlassen wagte. Doch je dringender man sich mit der Aufklärung beschäftigte, desto näher nur kamen die Menschen an die Unbegreiflichkeit dieser beiden Überfälle, die offenbar von ein und derselben Person, und zwar aus der nächsten Umgegend, verübt worden waren. Nachdem Polizei und Publikum eine lange Reihe mißbräuchlicher Verhaftungen und ärgerlichster Verdächtigungen hinter sich gebracht hatten, trat der Totengräber Wachsmann von Hemsterhus mit der Behauptung unter seine heimlichsten Vertrauten, daß es um das Grab des gestorbenen Niemand-Albes, er sage nicht geradeheraus, umgehe, aber immerhin nicht geheuer sei. Er habe einmal die Totentür in dem Grabhügel des Narren gehen hören, und ein anderes Mal habe die Leichenflasche gegluckt. Was das sei, verriet er allerdings nicht, sondern deutete nur an, daß er für seine Person sehr wohl an ein Schweifen des Niemand-Albes über das Grab hinaus glaube, weil ein Mensch, der nicht ausreichend ins Leben trete, auch nicht ganz sterben könne. Das genügte, daß sich der Glaube ausbreitete, der Niemand-Alb sei den beiden Weibern aufgehockt.

Allein, nachdem der Vorfall erst in diese Gegend des Gruseligen gedreht war, wachten viele alte, fast vergessene Gespenstergeschichten auf. Hausunholde begannen allenthalben sich an ihre Pflicht zu erinnern, pochten mitten in der Nacht ans Fenster, sanken mit dem Gewimmer kleiner Kinder in Brunnen und gingen mit gerungenen Händen an fernen Waldsäumen verzweifelt auf und nieder. Es gab Leute, die schworen, den Niemand-Alb leibhaftig, so wie es seine Gewohnheit war, lang, hager und schief, gleich einer riesigen, geständerten Krähe gesehen und sein idiotisches Gaumenlachen gehört zu haben. Ja, ehe die Angelegenheit sich ganz in dem unbestimmbaren Wunderdunst verlor, den das Volk immer um sein Leben braucht, spukte auf einen Augenblick gar noch die Gestalt des Herner Rebellen-Fabers in den allgemeinen Wirbel hinein. Er sollte am Rande eines einsamen Weges sitzend getroffen worden sein, abgezehrt, diabolisch, mit Augen wie geschliffene Messer, und als der, dem das Begegnis widerfahren war, sich scheu und angstvoll vorbeigedrückt, habe er höhnisch hinter ihm drein gelacht und etwas gerufen, das wie Spott und teuflisch Drohen geklungen habe.

Und doch, wenn ein einziger Mensch die Augen da gehabt hätte, wo sie hingehören, im Kopf, und nicht, wie alle, an der wundersüchtigen Zunge, so würde er mit einem Blick den Übeltäter herausgefunden haben.

Kaum daß nämlich die wunderbare Wiederbelebung der Ursula Rütsch aus der Wuhle sich auf dem Heiligenhofe ereignet hatte, war dem Meixner-Gottlieb sein unruhiges Umherfahren in den Beinen steckengeblieben. Er erschien im Hause seiner Mutter, saß ratlos und blaß umher, verbrachte den Tag wie abwesend und lag die Nacht mit offenen Augen. Endlich erklärte er, er müsse nach Echternach zur Jungfrau Maria, sonst sterbe er. Abgezehrt und weltabgewandt wie ein Büßer ging er davon. Etwa acht Tage nach seinem Weggange geschahen die Überfälle, und als er wieder zurückkehrte, war alles schon in der allgemeinen Wunderwolke untergegangen. Man frug ihn nur spöttisch, ob die Echternacher Mutter allen das Genick umgedreht oder ob er dem wilden Bergmann, dem Faber-Rebellen, unterwegs in die Hände gefallen sei, denn er sehe wirklich aus wie erwürgt und zerschlagen, nicht wie einer, der Gnade empfangen habe.

»Wem die Nase nicht tropfe, brauche sie nicht zu wischen«, antwortete er ruhig und mit nachsichtigem Lächeln, nickte denen zu, die ihn so stichelten, und ging zum Verwundern, ja Schrecken seiner Mutter in ein so stilles, abseitiges Leben, als habe wirklich eine göttliche Hand die Deichsel seines Wagens ins richtige Gleis gedrückt.


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