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Vierundsechzigstes Capitel.

Als Leo nach Hause kam, empfing ihn der Diener mit einiger Bestürzung in den Mienen; es warteten schon seit mehreren Stunden zwei Herren, die erklärt hatten, nicht gehen zu wollen, als bis der Herr Doctor nach Hause gekommen; er wisse nicht, was das zu bedeuten habe.

In dem Vorzimmer fand Leo den Einen am Fenster stehend, den Anderen am Tische sitzend und mit den Fingern auf der Platte trommelnd. Sie erhoben sich bei seinem Eintreten. Der Erstere, ein junger, elegant gekleideter Mann mit sehr dunklem Haar und dem ersten Anflug eines Bartes, näherte sich ihm in schlotteriger, vornehm sein sollender Haltung und sagte mit näselnd-matter Stimme:

M. Markus von der Firma A. von Sonnenstein; ich habe Ihnen diesen Wechsel zu präsentiren, Herr Doctor.

Unterdessen war auch der andere Herr, ein untersetzter Mann in mittleren Jahren, mit einem Paar verschmitzter Augen unter einer breiten, niedrigen Stirn, herangetreten und hatte Leo einen Brief überreicht.

Von dem Bureau des Herrn Rechtsanwalts Hellfeld. Bitte um Antwort.

Leo erbrach das Schreiben des Rechtsanwalts. Es enthielt nur wenige Zeilen: »Werther Herr und Freund! Ich habe nun doch Ihr Papier aus meinem Portefeuille geben müssen, hoffe, daß Ihnen keine Ungelegenheit daraus erwächst. Außerdem hat Ueberbringer dieses eine Vollmacht von Seiten des Marquis de Sade, von der Sie mich gütigst wissen lassen wollen, ob Sie dieselbe als vollgültig anerkennen.«

Das Papier, welches der Mann jetzt aus einer umfangreichen Brieftasche nahm, war ein schmaler Streifen, auf welchem in französischer Sprache die Worte standen: »Ich ersuche und autorisire den Herrn Baron Henri von Tuchheim, meine dem Herrn Doctor Leo Gutmann überlassene Wohnung für mich zu reclamiren. Alphons de Sade.«

Die Wohnung wird morgen früh zu Ihrer Disposition stehen, sagte Leo zu dem Untersetzten, und dann zu dem jungen Commis sich wendend: Wollen Sie mir gütigst in mein Arbeitszimmer folgen.

Eine Minute später verschloß Leo die Thür hinter dem Commis, der sich mit einer nachlässigen Verbeugung, das empfangene Geld in eine Maroquin-Brieftasche schließend, entfernt hatte.

Die Schlinge hielt noch nicht, murmelte Leo, und doch war sie geschickt genug geknüpft.

Es war gleich im Anfange seines intimen Verkehrs mit dem Freiherrn gewesen, daß Leo auch zu dem Anwalt desselben, Herrn Hellfeld, in nähere Beziehung trat. Herrn Hellfeld's politische Tendenzen waren so radical, daß er ein- für allemal nichts mit der liberalen Partei zu thun haben wollte. Seine Praxis war nicht eben ausgedehnt, dennoch machte er einen Aufwand, welcher auf ein sehr bedeutendes Vermögen schließen ließ. Seine kleinen Diners und Soupers – Herr Hellfeld war Junggeselle – erfreuten sich eines großen Rufes; auch rühmte man die spirituelle Unterhaltung, welche bei solchen Gelegenheiten an der Runde seiner Tafel gepflogen wurde. Leo war er mit ganz besonderer Freundlichkeit entgegengekommen; ja er hatte den jungen Mann, der in der Schätzung der Gesellschaft so rasch eine Staffel nach der anderen erstieg, mit Freundschaftsbezeugungen überschüttet. Er hatte ihm seine Bibliothek, seine Equipage zur Verfügung gestellt; er hatte ihm wiederholt Geld angeboten. Leo hatte endlich, da die Bahn, die er sich vorgezeichnet, ohne größere Mittel, als über die er verfügen konnte, nicht zurückzulegen war, von diesem Anerbieten Gebrauch gemacht, aber er war weder verwundert noch beleidigt gewesen, als der großmüthige Freund – um Lebens und Sterbens willen, wie er sagte – sich für sein Geld einen Wechsel ausbat. Wußte er doch längst, mit wem er zu thun hatte, und wollte er doch lieber einem Wucherer in die Hände fallen, als Walter oder Paulus verpflichtet sein, die sein Treiben mißbilligten, oder dem Freiherrn, der selbst in Verlegenheit war! So hatte er sich denn auch durch Hellfeld's Versicherung, er betrachtete das einem Freunde geliehene Geld als ein unkündbares Capital, nicht täuschen lassen, und für den Nothfall die für seine Verhältnisse bedeutende Summe, mit welcher sich der schlotterige Jüngling aus dem Comptoir von A. von Sonnenstein entfernt hatte, zurückgelegt. Es war freilich, bis auf einen winzigen Rest, alles Geld, über das er in diesem Augenblicke verfügen konnte, und er wußte nicht, wie er sich weiter helfen würde. Aber er hatte sich in seinem vielbewegten, abenteuerreichen Leben oft in ähnlichen und schlimmeren Lagen, als diese war, befunden und sich noch immer weiter geholfen. Das also war es nicht, was ihn stutzig machte.

Wohl aber die Ueberzeugung, die er jetzt gewonnen, daß seine Feinde den Handschuh aufgenommen, und daß er zu einem harten Kampfe auf Tod und Leben bereit sein müsse. Hellfeld hatte den Wechsel an Sonnenstein verkauft, und der Marquis hatte Henri von Tuchheim zu seinem Bevollmächtigten gemacht, das hieß: Henri war die Seele des Complots. Und war es nicht mehr als wahrscheinlich, daß Henri auch Even und Ferdinand gegen ihn aufgehetzt hatte? Ja, konnte ihm Henri nicht bei dem Minister von Hey und bei dem General von Tuchheim zuvorgekommen sein?

Leo sprang auf und ging in heftiger Bewegung hin und her. Er dachte der Scene im Schulzimmer von Tuchheim, als Tusky den Buben, der ihn beleidigt hatte, in den starken Armen emporhielt und am Boden zerschmettern wollte; er dachte der Worte, die Tusky hernach an den Wasserfällen sprach: Hätte ich ihn getödtet – was wäre mein Verbrechen gewesen? Ich hätte eine junge Natter zertreten, die sich von Eitelkeit und Selbstsucht nährt, und nur darum groß wird, um ihre Giftzähne in das gesunde Leben zu schlagen.

Eitelkeit und Selbstsucht!

Leo blickte in dem Zimmer umher. Es hatte sich so schön hier gewohnt; es hatte sich so behaglich gesessen in diesen Sammetdivans! das arbeitmüde Auge hatte sich so gern ausgeruht auf diesen herrlichen Gemälden, sich so tief erquickt an diesen reizenden Marmorbildern! Es war das Alles nur ein Mittel zum Zweck gewesen – wohl! Aber hatte er nicht – auf Momente wenigstens – den Zweck über dem Mittel vergessen? Durfte er das? er, dessen Blick unverwandt nur auf das eine hohe Ziel gerichtet sein mußte? Erkannte man nicht daran, daß sie nicht mit den Augen winkten, die Götter? Und war er denn wirklich nicht mehr als die anderen Menschen?

Aber dieses Fragen und Klagen, dieses Hangen und Bangen – das ist ja auch nur wieder Winken mit den Augen! Dazu ist Zeit am Ende meiner Bahn, und wenn auch dann nicht – um so besser! Noch ist es Tag, noch leuchtet mir die Sonne, noch ist es Zeit, zu wirken und zu schaffen – Zeit zum Ruhen bringt allein das Grab!


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