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Zweiundsechzigstes Capitel.

Ich kann Ihnen mit Bestimmtheit nichts versprechen, sagte Herr von Hey und machte eine Bewegung in seinem Sessel, als ob er die Unterredung, die bereits eine Stunde gedauert hatte, nun abgebrochen zu sehen wünsche.

Leo erhob sich.

Ich fürchte, Excellenz, sagte er, die Zeit ist nicht fern, wo Sie es sehr bereuen werden, eine so günstige Gelegenheit nicht eifriger ergriffen zu haben.

Der Minister schob sich die goldene Brille fester gegen die kleinen Augen und starrte vor sich nieder. Leo entging dieser Ausdruck der Unentschlossenheit nicht.

Denn die Gelegenheit ist günstig, fuhr er in demselben Tone ruhiger Ueberzeugung, in welchem er während der ganzen Zeit gesprochen hatte, fort; das müssen mir Excellenz selbst zugeben. Die Kammer hat sich durch ihren gestrigen Beschluß um den Rest der Achtung und des Vertrauens gebracht, dessen sie in den radicalen Arbeiterkreisen etwa noch genoß. Die Stimmen der paar wirklich liberalen Männer sind ohne Wirkung geblieben, man wird diese Männer einfach mit zu den Todten werfen. Die Tafel ist, so zu sagen, rein; in Ihrer Hand liegt es, eine neue Ordnung der Dinge darauf zu schreiben.

Ich sage Ihnen, es geht nicht, es geht nicht! rief der Minister, sich jetzt ebenfalls erhebend.

So lassen Excellenz die Entscheidung wenigstens von Sr. Majestät ausgehen, sagte Leo dringender, bedenken Excellenz die ungeheure Verantwortung, die Sie auf sich nehmen, wenn Sie die Deputation nach Hause schicken, ohne sie auch nur vorgelassen, ohne die Beschwerden der Männer auch nur angehört zu haben. Excellenz kennen aus eigener Erfahrung den revolutionären Geist jener Gegend. Sie wissen, welcher Zündstoff dort bereits vor acht Jahren aufgehäuft war, und wie es nur eines Funkens bedurfte, um die Flamme hoch emporlodern zu machen. Damals hatten Sie es mit einem verdummten ländlichen Proletariat zu thun, heute mit dem um Vieles gewitzigteren, fanatischeren Proletariat der Fabriken. Die Menge, die damals nach Hunderten zählte, zählt jetzt nach Tausenden. Damals reichte eine Compagnie hin, die Empörer zu Paaren zu treiben; heute würde schwerlich ein Regiment ausreichen.

Wir haben mehr als ein Regiment disponibel, sagte der Minister.

Und wen wird das Odium des blutig unterdrückten Aufstandes treffen? Die Regierung Sr. Majestät, ja den König selbst, denn das Volk hat noch keineswegs gelernt, den König von seinen Ministern zu trennen. Mir däucht, der Dank des Königs für diesen Dienst kann nicht groß sein.

Durch Herrn von Hey's Gesicht flog ein Zucken; er bezwang sich indessen und sagte mit einer Miene, die lächelnde Ueberlegenheit bezeichnen sollte:

Ich habe Sie ruhig aussprechen lassen, da Sie ein junger Mann sind, dessen Fähigkeiten mir von einer Seite, auf die ich Gewicht lege, als bedeutend gerühmt wurden. Indessen, so willig ich Ihnen auch eine das gewöhnliche Niveau übersteigende Geistesbildung einräume, so fehlt es Ihnen doch an aller Erfahrung in so wichtigen Dingen. Als ich so jung war, wie Sie, dachte ich etwa wie Sie; Sie würden so denken wie ich, wenn Sie wie ich im Staatsdienst ergraut wären.

Herr von Hey deutete nach seiner blonden Perrücke, in welcher, seitdem er Ministerpräsident geworden, sich einige silbergraue Härchen hatten blicken lassen, und verbeugte sich, zum Zeichen, daß die Audienz beendigt sei. Auf Leo's Lippen schwebte ein bitteres Wort, aber er sprach es nicht aus, sondern erwiederte die Verbeugung und entfernte sich schweigend.

Der Minister sah ihm mit bösem Blick nach.

Ein frecher Mensch, murmelte er, ganz das Ebenbild seines Vaters, der mich vor neun oder zehn Jahren einmal um die Gemeindeschreiberstelle in Tuchheim bat: der Kerl drohte mir damals förmlich, so daß ich auf dem Punkte stand, ihn verhaften zu lassen. O, ich habe ein gutes Gedächtniß.

Der Minister reckte seine kleine untersetzte Gestalt behaglich in dem bequemen Fauteuil. Wie lange war es denn her, daß er ein kleiner Landrath war – und jetzt war er ein großer Minister! Damals mußte er vor dem Freiherrn von Tuchheim sich neigen, mußte sich eifrig um die Gunst des vornehmsten Mannes im Kreise bemühen; heute war der Mann allem Anscheine nach ein Bankerotteur, eine gefallene Größe – und er, der Minister, hatte das Heft in Händen.

Herr von Hey hatte den Freiherrn immer gehaßt, ja eigentlich die ganze Familie. Der Freiherr war jetzt unschädlich, aber stand ihm der General nicht noch immer im Wege? Scheinbar freilich hatte er ihm den Rang vollständig abgelaufen; der General, der die ersten Schritte des jungen constitutionellen Königs geleitet hatte, war gefallen, als die Fluthen der Revolution sich verlaufen hatten und die Solidarität der dynastischen Interessen zu einer energischen Reaction drängte. Aber der General war doch immer noch in der Nähe des Königs und erfreute sich unfraglich einer besseren Behandlung von Seiten des heftigen jungen Monarchen, als irgend einer der actuellen Minister. Wer wußte, ob nicht wieder einmal eine Zeit kam, wo der alte Schleicher der öffentliche Beirath des Königs wurde, wie er jetzt der geheime Rathgeber war! Wenn es eine Möglichkeit gab, dem General zu schaden, so durfte man die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen.

Und die Gelegenheit war offenbar günstig. Der Freiherr hatte durch seine Erklärung der Tuchheimer Arbeiterbewegung unzweifelhaft bedeutenden Vorschub geleistet; der junge Mensch vorhin hatte eingeräumt, daß die Leute gerade in der Hoffnung auf den Beistand des Freiherrn den Gedanken gefaßt hatten, eine Deputation in die Hauptstadt zu senden. Konnte man nun dem Könige das Schädliche, Verdammliche dieser ganzen Bewegung begreiflich machen – und warum sollte man das nicht können? – so fiel ein großer Theil der Schuld auf den Freiherrn, das heißt auch auf den General.

Und dann konnte man bei dieser Gelegenheit so zu sagen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Es war politisch nothwendig, den Einfluß des Prinzen auf die öffentlichen Angelegenheiten möglichst zu paralysiren, aber ihm privatim einmal eine Gefälligkeit zu leisten, verbot die Klugheit nicht. Und man durfte das umsomehr wagen, da der Mantel der Liberalität, in welchen sich der Prinz in letzter Zeit zu hüllen gesucht hatte, durch die Briefaffaire so fadenscheinig geworden war. Er wünschte den Mann, der aller Wahrscheinlichkeit nach der moralische Urheber des Diebstahls gewesen war, bestraft zu sehen; nun wohl, so werde er bestraft.

Der Minister dachte weiter darüber nach, welchen Grund wohl der Unterhändler des Prinzen, der junge Tuchheim, gehabt haben mochte, die Sache mit einem so großen Eifer zu betreiben. Aus bloßem Eifer für seinen hohen Freund, oder aus persönlichem Interesse? Die Motive waren jedenfalls nicht ganz klar; aber gleichviel! So viel stand fest: der gestörte Frieden in der Familie Tuchheim würde durch die Parteinahme des Sohnes gegen den Rathgeber seines Vaters ganz gewiß nicht wieder hergestellt werden.

Herr von Hey lächelte.

Und dann hatte der junge Tuchheim gewisse Andeutungen in Betreff eines möglicherweise schnelleren Avancements des Bruders fallen lassen, der noch immer erst Oberstlieutenant und leider von dem Prinzen, dem man das Präsidium im Militärcabinet hatte lassen müssen, abhängig war.

Herr von Hey faßte nach der Schelle.

Aber der Ministerialrath Urban hatte auf den Doctor Gutmann als einen Mann hingewiesen, der, wenn er sich erst die Hörner abgelaufen, ein ganz vortreffliches Werkzeug abgeben würde. Urban hatte einen scharfen Blick, pflegte fast immer den Nagel auf den Kopf zu treffen. Nun wohl, so helfen wir dem jungen Manne sich die Hörner ablaufen; ein paar Monate Untersuchungshaft sind herrlich dazu geeignet, einen Menschen mürbe zu machen.

Herr von Hey klingelte und ließ seinen Secretär kommen.

Auf wann ist die Arbeiterversammlung angesagt?

Auf Sonnabend Abend, Excellenz, ein halb acht Uhr, in der Musenhalle.

Noch vier Tage. Morgen ist das Souper bei dem Polizeipräsidenten. Da kann ich die Sache bequem mit ihm besprechen. Es ist gut, Mühlbach!


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