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Vierzigstes Capitel.

Das vorher sehr gefüllte Local hatte sich mittlerweile ziemlich geleert; aus den anderen Räumen ertönte nur noch zuweilen Lachen und Gläserklirren; in dem Saal aber, in welchem Leo war, befand sich außer ihm nur noch der Herr, der seine Aufmerksamkeit schon vorhin erregt hatte und zu dem er auch jetzt wieder über das Zeitungsblatt weg, das er zur Hand genommen, hin und wieder forschende Blicke schweifen ließ. Dabei bemerkte er denn, daß jener in seine Zeitung ebensowenig vertieft war. Endlich legte der Mann das Blatt hin, trank ein Glas Wein, erhob sich, trat vor einen der Spiegel, ging ein paarmal auf und ab, blieb dann, als er zum zweitenmale an Leo vorüberkam, stehen und sagte:

Verzeihen Sie, mein Herr, wenn ich Sie neugieriger, als es die Schicklichkeit erlaubt, mit Blicken verfolgt habe, aber Sie sind selbst Schuld daran.

In der That? erwiederte Leo, sein Blatt ebenfalls hinlegend, mit einer leichten Neigung seines Hauptes.

Ganz gewiß, fuhr der Andere fort; wenn man, wie Sie, nicht aussieht wie andere Menschen, muß man sich dergleichen gefallen lassen.

Da man in so höflichem Tone Beleidigungen nicht vorzubringen pflegt, nehme ich an, daß Sie eine derartige Absicht nicht haben, sagte Leo.

Beleidigen! rief der Andere, seit wann ist es eine Beleidigung, wenn Einem gesagt wird, daß er nicht aussieht wie andere Menschen? Ist es je eine gewesen, so ist es heutzutage gewiß keine mehr.

Und warum heute nicht mehr?

Das wissen Sie genau so gut, wie ich; oder weshalb sitzen Sie hier, nachdem Mitternacht vorüber ist und Sie Ihren Freund mit den unschuldigen blauen Augen zu Bett geschickt haben? Sie sitzen hier, weil Sie allein sein wollen, weil Sie gewohnt sind, allein zu sein; und würden Sie diese bittersüße Gewohnheit haben, wenn Sie wären, wie andere Menschen, und in Folge dessen aussähen, wie andere Menschen? habe ich bewiesen, was zu beweisen war?

Vollkommen, sagte Leo lächelnd.

Nun denn, so erlauben Sie mir, meinen Wein in Ihrer Gesellschaft zu trinken?

Der Fremde wartete Leo's Antwort nicht ab, befahl dem Kellner, ihm eine neue Flasche zu bringen, setzte sich und sagte:

Es sind nicht Alle frei, die ihrer Ketten spotten. Ich, der ich, ohne ein weiser Nathan zu sein, mich freue, in dieser späten Stunde gegen alles Erwarten einen Menschen gefunden zu haben, und der sich also daran genügen lassen sollte, kann doch nicht umhin, der stupiden Gewohnheit zu folgen und mich Ihnen vorzustellen. Mein Name ist Doctor Ferdinand Lippert, Privatsecretär des Prinzen – ich habe Ihnen schon tausendmal gesagt, Jean, daß ich diese Marke nicht trinke!

Diese Zurechtweisung hatte Ferdinand Lippert verhindert, zu bemerken, daß, als er seinen Stand nannte, Leo sich verfärbte und es dann sonderbar durch sein ganzes Gesicht zuckte.

Entschuldigen Sie, sagte er, man hat seine Noth mit dem Gesindel – ich habe wirklich Ihren Namen überhört, oder nicht?

Leo nannte sich, und Ferdinand sagte, während er nach dem Kellner ausblickte, der ihm zu lange zu bleiben schien:

Den Namen sollte ich, däucht mir, schon gehört haben.

Das wäre kein Wunder; der Adreßkalender füllt jährlich einige seiner Spalten damit aus.

O nein, nicht so – in einer eigenen Beziehung, auf die ich mich aber in der That in dieser Stunde nicht besinnen kann; es ist sonderbar, wie günstig der Champagner der Entfaltung aller übrigen Geistesthätigkeiten ist und sich doch mit dem Gedächtniß nicht vertragen kann. Es ist sonderbar, sehr sonderbar.

Er stützte den Kopf in die Hand. An der weißen, schmalen Hand waren die Adern sehr stark hervorgetreten und ebenso an den Schläfen, während es auf der Stirn wie eine rothe Wolke lag und der vorherige schöne Glanz der Augen sich in ein düsteres Feuer verwandelt hatte. Es bedurfte nicht Leo's kundigen Blickes, um zu erkennen, daß der Kellner sich in dem Zustande seines allabendlichen Gastes nicht eben sehr verrechnet hatte und daß Ferdinand in der That mehr als halbbetrunken war.

Der Champagner war gebracht; Leo füllte die Gläser und sagte: Das ist so sonderbar nicht, und vor Allem scheint es mir eine weise Einrichtung. Nunc vino pellite curas! Wie könnte man dem frommen Befehle folgen und die Sorgen vergessen, wenn der Wein das Gedächtniß aufmunterte, anstatt es einzuschläfern?

Sorgen! sagte Ferdinand, was haben Sie und ich, die wir Beide noch nicht dreißig Jahre alt sind, mit Sorgen zu thun?

Ich eben nicht, aber Sie, ein Mann in einer wichtigen, verantwortlichen Stellung; ein Mann, der sich fortwährend in der höchsten Gesellschaft bewegt, jedes Wort auf die Wagschale legen, jeden Blick berechnen, jeden Ton harmonisch abstimmen muß; ein Mann, der eine so schwierige Position in jedem Moment behaupten und sie nur durch das Uebergewicht seines Geistes behaupten kann, da ihm nicht einmal der Vortheil einer adeligen Geburt zur Seite steht – ein solcher Mann, sollte ich denken, muß in der That manchmal das Bedürfnis haben, seine Seele im Champagner von allen Sorgen rein zu baden.

Ja, bei den Göttern, Sie haben Recht! rief Ferdinand; der Champagner bringt Alles an seine rechte Stelle; von Zwölf bis Zwei in der Nacht seh' ich die Welt wie sie ist! Da fallen alle Masken, da fällt der übrige Plunder, mit dem sie sich herausstaffiren auf diesem närrischen Mummenschanz! O, es ist ein lustig, lustig Ding, Alles zu wissen. Alles zu sehen! Was wollen Sie? Ich sehe den Jean, wie er mir hinter dem Rücken eine Faust ballt! Ich sehe in Ihren Augen ein Licht, ein klares Licht, das durch den Weindunst nur unten ein klein wenig blau gefärbt ist, sonst aber nicht im Mindesten flackert, und mit dem Sie mir über Stirn und Augen leuchten, ganz ruhig, ganz methodisch-wissenschaftlich. Ist das nicht köstlich?

Ich muß Ihnen glauben, was Sie mit so großer Bestimmtheit aussprechen, sagte Leo.

Ja, ja, glauben Sie mir immerhin, sagte Ferdinand. In meinen Augen werden Sie dadurch nicht schlechter. Es ist ein Genuß, ein Gesicht sich gegenüber zu haben, das ordentlich componirt ist und dessen großartige Plastik Einem immer imponirender entgegentritt; es ist ein hoher Genuß, selbst wenn man seinen Meister gefunden hat, selbst wenn man hinaufschauen muß, wie – ja, wie der knieende sichelschleifende Sclave, den ich einmal in einem Sculpturensaal sah. Es lag so viel Erdenjammer in den gedrückten und doch auch wieder so schlaffen Zügen dieses stumpfen Menschengesichtes, in der faltenreichen Stirn, in den heruntergezogenen Lippen. Ich stand lange davor; es wurde mir wehe um's Herz. Die langgeschlitzten Augen waren mit einem bittenden, klagenden Ausdruck in die Höhe gerichtet, ganz starr, ganz starr! Ich folgte endlich dem starren Blick, und da sah ich einen mit dichtem Epheukranz und breitem Diadem geschmückten Bacchuskopf – Lippen, die alle Grazien geküßt hatten, Wangen von einer Zartheit der Formen, die aller Beschreibung spottet, herrlichste, große, feuchte, träumerische, mitleidige Augen, die immerfort auf den sichelschleifenden Sclaven schauten und deutlich sagten: Du armer Sohn des Lasters und der Noth! ich kann Dir nicht helfen – Gott, wie ich bin, und wie oft ich mich auch im Nektar berausche – ich habe keinen Dreier in der Tasche, und ohne Geld kann man unten bei Euch auf Erden keinen Champagner trinken. So sichle Du immer fort, bis der große Schnitter kommt und Dich mit dem übrigen Grase abmäht! – Was wollte ich doch nur mit den beiden Marmorpuppen? Ja so – die Eine, der Bacchus, sollten Sie sein, und der Andere ich. Sie sehen nicht aus wie ein Bacchus – wahrhaftig nicht! eher wie der Apoll, der in das Lager der Danaer die tödtlichen Geschosse schleudert – gleichviel! hinaufblicken muß man; das ist eine Wollust, schon der Abwechselung wegen. Aber hinabblicken zu müssen, wie es mir alle Abende, so oft ich hier bin, in diesem Saale passirt; sehen zu müssen, wie die glatten, dummen Gesichter immer glatter und immer dummer werden, bis man zuletzt gar keine Menschengesichter, sondern lauter Thierfratzen, meckernde Böcke, blökende Hammel, wiehernde Pferde um sich hat – das ist ein Spuk, bei dem man vor greulichem Ekel sterben müßte, wenn man die Sache nicht leider so gewohnt wäre!

Aber weshalb suchen Sie sich keine bessere Gesellschaft? warf Leo ein.

Weil es die beste, die anerkannt beste ist, und diese beste Gesellschaft mich sucht! Sie können ohne mich nicht fertig werden, die Tröpfe! Ich bin das Salz in ihrer mageren Bettelsuppe. Und dann, ist es denn nicht überall comme chez nous? Nur daß die Anderen ihren Unsinn bei Bier vorbringen und wir bei Champagner. Ich für meinen Theil trinke lieber Champagner.

Und Ferdinand stürzte Glas auf Glas hinunter, und die Adern auf seinen Schläfen schwollen wie Aeste an, und das ganze schöne Gesicht sah aus wie ein blühender Garten, den der Sturm zerzaust.

Er knirschte mit den Zähnen, stieß das Glas heftig auf den Tisch, daß der Stiel zerbrach und der Wein verschüttet wurde.

Weshalb soll ich das Leben nicht genießen, wenn ich dazu Lust habe? flüsterte er in heiserem Ton, weil ich kein Von vor dem Namen führe, weil mein Vater nicht Kammerherr, sondern ein ganz gewöhnlicher Bedienter ist, der sich Castellan tituliren läßt? Ich habe mir den Namen nicht ausgesucht und den Vater auch nicht; ich hätte einen besseren Geschmack bewiesen. Wer sagt, daß ich meines Vaters Sohn bin? Meine Mutter sagt Alles, was mein Vater sagt. Ich will wissen, wer ich bin. Warum kann ich nicht ausgetauscht oder untergeschoben sein? Wer war der Mann in dem rothseidenen Schlafrock, zu dem mich meine Mutter einmal gebracht hat? Ich war vielleicht drei Jahr alt, und aus der Zeit weiß man gewöhnlich nicht viel; aber einzelne besonders merkwürdige Eindrücke bleiben denn doch in dem weichen Gehirn haften, und so ein Eindruck war das! Von der Decke hing eine Lampe, und ihr Licht fiel hell auf den rothen Schlafrock. Einen rothseidenen Schlafrock zum Vater haben, ist das nicht merkwürdig? Man könnte eine spukhafte Novelle im romantischen Styl daraus machen, wie man sein Leben lang nach seinem Pater sucht und ihn eines schönen Tages auf dem Trödel kauft, mit nach Hause nimmt und an den Nagel hängt. Auf einmal fängt der Kerl an mit den Schößen zu wehen und zu ächzen, und bittet uns, wir möchten ihn um Gotteswillen abschneiden, denn, Schuft wie er sei, das habe er doch nicht um uns verdient; und wie man genauer hinsieht, ist es gar kein Schlafrock, sondern ein guter alter Herr unserer Bekanntschaft in Kammerherrn-Uniform, der die Augen verdreht und mit den Beinchen zappelt, daß wir ihn schnell vom Nagel nehmen – und da rasselt uns ein Haufen Knochen vor die Füße. Warum soll mir dergleichen nicht passiren? Mir kann in dieser Welt Alles passiren, denn ich bin die Welt; in meinem Gehirn drehen sich Sonne, Mond und Sterne; – ich bin ich – und sie soll keine Götter haben außer mir. Sie denkt, weil sie meine schönste Bacchantin ist, könne sie mit mir, dem Gott Bacchus, spielen! Aber, bei meiner Götterschaft, das soll sie nicht! Ich will sie zerreißen lassen! Nackt will ich sie meinen Panthern vorwerfen – nackt, nackt!

Ferdinand hatte sich bei den letzten Worten erhoben; plötzlich sank er wie todt in seinen Stuhl zurück. Leo befahl dem Kellner, ein Glas Wasser zu bringen; als aber jener damit herankam, taumelte Ferdinand schon wieder in die Höhe und stand endlich aufrecht da. Er fragte mit lallendem Tone, ob Nachtdroschken da seien, versicherte Leo in trunken-verbindlicher Weise, daß er sich ausnehmend freue, eine so interessante Bekanntschaft gemacht zu haben, und schritt zur Thür hinaus, die ihm Jean dienstbeflissen öffnete.

Jean kam zurück, lächelnd.

Ist der Herr –

Immer so? I nun, er ist manchmal schlimmer; freilich immer erst, wenn er allein ist, dann geht's oft ein wenig wild zu, daß wir unsere liebe Noth mit ihm haben. Er darf sich mehr erlauben, als der reichste Graf oder Baron, denn mit ihm würden wir die halbe Kundschaft verlieren. Und das ist, wie gesagt, immer nur, wenn er zum zweitenmale kommt. Aber das erstemal in der feinen Gesellschaft – ei, da können sie Alle von ihm lernen! Und das Geld sieht er nicht an. Wenn er manchmal auch ein bischen ausfallend wird – er bezahlt's, und anständig. – Danke ergebenst, mein Herr!

Leo wanderte, in tiefes Sinnen verloren, die langen, geraden Straßen nach seiner Wohnung zurück. Er wiederholte sich die Reden, die er heute in der politischen Versammlung gehört hatte, er wog die vorgebrachten Argumente gegen einander ab. Es sind unpraktische Träumer, sagte er endlich zu sich, und ich will es ihnen beweisen, daß sie ihre Rechnung ohne den Wirth gemacht haben. Dieser Lippert kommt mir wie gerufen. Er wird morgen nicht mehr wissen, was er heute gesagt, aber er kann schon übermorgen in demselben Zustande sein, vielleicht bringt man ihn auf interessantere Themata, als über die er heute Abend radotirte. Ein alberner Mensch, der den großen Mann spielen will, ohne das Zeug dazu zu haben, und der sich wunder wie erhaben über andere Menschen vorkommt, wenn er als der letzte Gast aus der Kneipe geht. Man kennt das Gelichter! Aber brauchbar! sehr brauchbar!

Auf seinem Tische fand Leo einen Brief mit einem englischen Postzeichen.

Endlich! rief Leo, mit Lebhaftigkeit die Hand nach dem Briefe ausstreckend.

Aber er beeilte sich nicht, denselben zu erbrechen, sondern wog ihn sinnend in der Hand.

Auch Patroklus ist gestorben, murmelte er; einst war er mein Achill! Aber man wächst aus seinen Freunden heraus, wie ein Junge aus seinen Kleidern. Da liegt so ein Kleid! und er deutete mit einem melancholischen Lächeln nach der Thür, die zu Walter's Zimmer führte.

Der Brief lautete:

 

»Du siehst, ich habe es ohne Dich nicht lange in der Schweiz ausgehalten. Uebrigens war meine Anwesenheit hier dringend nöthig. Der Handstreich gegen *** mußte berathen werden; die Häupter **, **, **, alle waren hier! man wunderte sich sehr, Dich nicht auch hier zu sehen, noch mehr aber, als man den Grund erfuhr, der Dich bewogen hat, so Knall und Fall Deinen Posten in unserm Lager zu verlassen, und Dich in das der Feinde zu begeben. Man würde über Verrath geschrieen haben, wenn ein Anderer als Du dies gewagt hätte. Du darfst mehr, weil Du mehr kannst. Und dennoch! – Liebling meiner Seele, es ist lange her, daß ich meine Mentorschaft über Dich aufgegeben habe, aber heute laß Dir ein warnendes Wort gefallen; bedenke noch einmal, was Du thust! Du behauptest, daß wir mit unseren unorganisirten Kräften nicht von der Stelle kämen, daß Du eine disciplinirte Masse – wie sie die liberale Partei unseres Landes sei – und wäre sie noch so schwerfällig, noch so stupid, bei weitem vorzögest; daß man wenigstens den Versuch machen müsse, ob es nicht möglich sei, diese Macht in Bewegung zu setzen, ihr einen neuen Geist einzuhauchen, endlich eine Coalition derselben mit dem Arbeiterstande zu bewerkstelligen. zu diesem Zwecke sei es freilich nöthig, daß Du Dich für einige Zeit in einen Bourgeois verwandeltest, denn nur auf einen Menschen in rangirten oder scheinbar rangirten Verhältnissen würden sie hören; jeder Andere würde ihnen von vornherein verdächtig sein. So, oder ungefähr so, in kurzen Worten Dein Plan.

Ein schöner Plan – wenn er ausführbar wäre! Aber ist er das? Ich sage nein – und tausendmal nein! Mit diesen Menschen ist das Kanaan, nach dem wir streben, nicht zu erobern; sie müssen umkommen in der Wüste, sie müssen – und sie werden. Keiner vermag dies Schicksal von ihnen abzuwenden. Selbst Du nicht! Du wirst Dich bald genug davon überzeugen – hast Dich vielleicht schon jetzt davon überzeugt.

Das Ganze wäre also im schlimmsten Falle ein verfehltes Experiment.

Das möchte noch sein, obgleich es immer schade ist um die kostbare Zeit, die Du nutzlos darauf verwendet.

Aber, wenn die Leute erst einmal in's Experimentiren kommen, finden sie nicht leicht ein Ende. Und könnte es Dir nicht auch so gehen?

Könntest Du nicht – werde nicht zornig, Leo, sondern lies ruhig weiter! – könntest Du nicht auf den Einfall kommen, nun auch mit dem Königthum einen Versuch anzustellen? Das Eine würde in meinen Augen nicht schlimmer sein, als das Andere, wenn es nicht so viel gefährlicher für Dich wäre. Diese Täuschung dürfte länger dauern als jene erste, denn Du findest dort, was Du vor Allem respectirst: Macht! und Deine Sache wäre es dann, die Macht zu Deinen Zwecken zu verwenden.

Auch von diesem Irrthum würdest Du zurückkommen! Aber wie weit, wie weit wäre der Umweg!

Bleib' auf der geraden Straße, Leo! auf der, die Dein Fuß in jener Nacht betrat, als wir unserm Heimathsthal den Rücken wendeten, und die Flammen der Häuser, die sich an unserm Grimme entzündet hatten, uns den Pfad wiesen, den wir wandeln müssen! Zwischen uns und ihnen ist kein Bündniß! Wir sind, was wir sind, oder wir sind nichts. In der gänzlichen Lossagung von allen und jeden Vorurtheilen, die sonst die Menschen in ihrem Denken und Handeln binden, liegt unsere Kraft. Hier ist der archimedeische, feste Punkt, von dem aus wir die Welt aus ihren Angeln heben können. Leo, Leo! Raube Dir nicht den Glauben an Dich selbst!

Doch, was will ich denn? Und wohin treibt mich meine Sorge um Dich? Vielleicht lachst Du in diesem Augenblick über mich! Lache nur, ich will es gern verdient haben.«

 

Aber Leo lachte nicht, als er den Brief aus der Hand legte und mit leisen Schritten auf und ab zu gehen begann. Seine Stirn war in düstere Falten gezogen und die feinen Lippen wie in Schmerz übereinander gepreßt. – Den Glauben an sich selbst! Wie doch! Hat den nicht jeder Narr? Auch der Geck vorhin glaubte an sich selbst, an sein Geistreichsein, an seine Unwiderstehlichkeit. Was hilft der Glaube an uns selbst, wenn wir die Menschen nicht haben, mit denen wir unsere Idee in's Werk setzen? Was bringen jene Manchaner denn fertig? Was wird es sein, was sie in London einmal wieder aushecken? Irgend eine eclatante Dummheit, die ihnen den Helm des Mambrinus noch tiefer auf die tollen Schädel drückt!

Du bist der Edelste unter ihnen! Du wärest eines besseren Looses werth! Aber der Fanatismus hat auch Dich hohl gebrannt. Du hast nichts vergessen, aber Du hast auch nichts gelernt; hast nicht gelernt, daß, wer den Zweck will, auch die Mittel wollen muß. Wie lange wird es dauern, und auch wir werden aufgehört haben, uns zu verstehen! Es ist nicht meine Schuld. Wer nicht für mich ist, ist wider mich.

Er nahm den Brief wieder zur Hand. An dem Rande standen noch ein paar Zeilen.

 

»Ich vergaß, als wir schieden, Dir den Namen von Eve's Onkel zu sagen, bei dem sie sich, so viel ich weiß, noch befindet. Der Mann heißt Lippert und ist, glaube ich, Castellan oder etwas derart im Schlosse des Prinzen. Du thust mir die Liebe und siehst Dich nach dem Mädchen um. Ihr seid ja alte Bekannte«.

 

Das trifft sich sonderbar, sagte Leo; wenn ich abergläubisch wäre, könnte mich das fast stutzig machen.

Er lachte; es war kein heiteres Lachen. Von dem Thurme der nahen Kirche schlug es zwei Uhr. Es fing Leo an zu frösteln; er fühlte sich ermattet, seine Schläfen schmerzten ihn.

Er zählte die Schläge seines Pulses.

Kein Wunder, murmelte er, wie kann man, wenn man so fiebert, an sich selbst glauben!


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