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Dreiundsechzigstes Capitel.

Leo hatte mit dem Eindrucke, daß der engherzige Bureaukrat nichts für ihn und die Sache, die ihm so sehr am Herzen lag, thun würde, das Hotel des Ministers verlassen. Er war auf diesen Mißerfolg vorbereitet gewesen, dennoch kochte es in ihm, wie er sich jetzt, während er an dem Rande des Parkes nach der Sommerwohnung des Generals von Tuchheim fuhr, sagen mußte, daß er abgewiesen sei, wie ein unverschämter Bittsteller – er, der Anwalt der Armen, der Anwalt der Zukunft; abgewiesen von einem dumm-pfiffigen Bureaukraten, in dessen enge Seele nie ein Strahl der Menschenliebe, nie ein Schimmer der Erkenntniß von dem, was da war und sein würde, gefallen war. Und doch steht dieser Zwerg wie ein Riese zwischen mir und meinem Ziele, wie zum Hohn für Walter's Theorie von der Ohnmacht der Einzelnen und her Allmacht der Masse!

Der Wagen hielt vor der Wohnung des Generals, die ein kleiner Garten von der Parkstraße trennte, auf welcher zu dieser Stunde prächtige Equipagen unaufhörlich rollten, elegante Reiter vorübersprengten und die Schaaren der Promenirenden hin und wieder zogen.

Leo hatte sich schon am Tage vorher schriftlich bei dem General angemeldet und wurde sogleich vorgelassen. Die Anmuth der Haltung, welche den General, wie alle Mitglieder seiner Familie, auszeichnete, stach sehr vortheilhaft gegen die plumpen Manieren ab, in denen sich Herr von Hey bewegte. Leo fühlte sich durch den verbindlichen Empfang angenehm berührt; er faßte wieder einige Hoffnung, er werde hier Verständniß für seine Ideen finden, und er trug mit Beredsamkeit seine Wünsche, seine Pläne vor. – Aber gar bald mußte er bemerken, daß der General mit ganz anderen Gedanken beschäftigt war.

Ich fürchte, ich mache meine Meinung Excellenz weniger deutlich, als es mir wünschenswerth ist, sagte Leo.

Doch, doch, mein junger Freund, erwiederte der General, ich bin Ihren so klaren, so überzeugenden Auseinandersetzungen mit der größten Aufmerksamkeit gefolgt; aber ich gestehe allerdings, daß mir eine Episode dieses Dramas noch ganz besonders nahe geht. Sie sagten, daß die Erklärung meines Bruders mehr als alles Andere die Leute bewogen habe, diesen Schritt zu thun. Ich ahnte vom ersten Augenblicke und erkenne es jetzt immer deutlicher, daß jener Schritt ein sehr verhängnißvoller war. Sie sehen, werther Herr Doctor, daß das Gerücht, welches Sie zum intellectuellen Urheber jener unglückseligen Erklärung macht, auch zu mir gedrungen ist – auf privatem Wege, wie ich hinzuzufügen wohl verpflichtet bin – durch meine Tochter, der es– ich weiß nicht, ob von meiner Schwester oder von meiner Nichte – im Hause meines Bruders mitgetheilt wurde. Ich frage nicht, ob diese Nachricht begründet ist, denn ich wünsche nicht, Sie zu einer Antwort zu drängen, der auszuweichen Sie vielleicht durch andere Rücksichten genöthigt sind.

Verzeihen Sie, Excellenz, unterbrach Leo den General, ich kann weder, noch will ich es leugnen, daß ich es bin, der den Freiherrn zu jener Erklärung bestimmt hat.

Aber was, um Gottes willen, bewog Sie dazu? rief der General in schmerzlicher Erregung.

Die Rücksicht auf das Gemeinwohl, Excellenz.

Der Sie die Ruhe einer Familie zum Opfer brachten

Verstatten Excellenz, daß ich eine Verantwortung ablehne, die offenbar eine Beleidigung der intellectuellen Fähigkeiten Ihres Herrn Bruders in sich schließt.

Ich sage nicht, daß Sie Unrecht haben, erwiederte der General; ich muß annehmen, daß Sie weder die etwas schwankenden Verhältnisse, noch das nur zu leicht bestimmbare Wesen meines Bruders hinlänglich kannten. Wenn Sie gewußt hätten, was eintreten würde und nun zum Theil eingetreten ist: der offene Bruch zwischen meinem Bruder und Herrn von Sonnenstein – ein beide Theile compromittirender Proceß, trotz Allem, was ich in diesen Tagen auf dem Wege der Vermittelung versucht habe – der sehr wahrscheinlich folgende Ruin meines Bruders, des Chefs einer der ältesten Familien des Königreichs –

Der General bedeckte sich die Augen mit der Hand; um Leo's Lippen zuckte ein tiefer Unmuth.

Verzeihen Excellenz, sagte er, wenn Jemand, der, wie ich, niemals so recht eigentlich dem Banne einer Familie angehörte, für Familienglück und Unglück nicht die lebhaften Sympathien anderer in dieser Hinsicht mehr vom Schicksal begünstigter Menschen besitzt. Mein Blick war von Jugend auf unverwandt auf die öffentlichen Interessen gerichtet; die alte Gewohnheit ist so mächtig, daß ich auch in diesem Augenblicke nicht davon lassen kann und mir erlauben muß, Euer Excellenz daran zu erinnern, daß ich in der so überaus wichtigen Angelegenheit, um derentwillen Sie mir eine Audienz zu bewilligen die Güte hatten, noch immer des Bescheides harre.

Der General bewegte die weiße, sorgsam gepflegte Hand nach dem Mund und affectirte einen leichten Hustenanfall, aber bevor er noch zur Antwort kommen konnte, trat der Kammerdiener herein, der ihm einen Brief überreichte und ihm dabei einige Worte in's Ohr flüsterte. Leo sah, wie der General sich entfärbte, während er, nachdem er sich flüchtig entschuldigt, den Brief durchflog. Er gab dem harrenden Kammerdiener einen Auftrag und sagte dann zu Leo gewendet:

Sie müssen mich für einen Augenblick entschuldigen, Herr Doctor; ich bin in der Lage, Jemanden in einer dringenden Angelegenheit empfangen zu müssen. Da aber auch Ihre Angelegenheit schleunige Erledigung heischt, möchte ich Sie ersuchen, so lange bei meiner Tochter einzutreten.

Der General sagte das mit einer gewissen Unsicherheit und Verlegenheit. Auch ließ er Leo keine Zeit zu antworten, sondern schlug hastig die Portiere zurück, öffnete die Thür und sagte, Leo vorstellend:

Herr Doctor Gutmann, liebe Josephe, von dem Du mir schon öfter gesprochen hast. Es wird Dir eine Freude sein, ihn einige Minuten unterhalten zu dürfen, während ich einen Besuch, den ich leider annehmen muß, abfertige.

Damit schloß er die Thür und Leo hörte, wie nebenan die Portiere wieder zugezogen wurde.

Josephe von Tuchheim hatte in einer tiefen Fensternische des großen, mit vielem Geschmack ausgestatteten Gemaches gesessen. Sie erhob sich auf die Anrede des Vaters und lud Leo, indem sie sich verneigte, mit einer Handbewegung ein, auf einem Sessel in ihrer Nähe Platz zu nehmen.

Leo war erstaunt über das ihm unerklärliche Benehmen des Generals, ja er fühlte sich verletzt in dem Gedanken, zu einer Unterredung, der er wohl sonst entschieden ausgewichen wäre, so gleichsam gezwungen zu sein. Dennoch konnte er nicht umhin, zum andern Male die Schönheit der Dame, der er jetzt gegenüber saß, zu bewundern. Er hatte sie seit jenem Abend bei Emma von Sonnenstein nicht wieder gesehen; aber er fand, daß er keine Einzelheit des Bildes vergessen hatte, nicht die schöne Form des Kopfes, den Glanz der dunklen Haare, die fast antike Harmonie der großen Züge, die Blässe des Gesichtes, welche seltsam mit dem Lichte der tiefbraunen, von langen Wimpern überschatteten Augen contrastirte. Und was ihm an jenem Abend entgangen war, wo Josephe ihre Gestalt in eine weite Spitzenmantille gehüllt hatte: der hohe, schlanke Wuchs entsprach dem edlen Gesicht; ja, die Contouren von Schultern und Büste, die ein enganliegendes, dunkles Gewand heute Morgen scharf und doch zart hervortreten ließ, waren von seltenster Vollkommenheit. Leo's Augen weideten sich an so viel Schönheit, die ihn um so sonderbarer bewegte, je weniger dieser Eindruck mit den Gedanken zu schaffen hatte, die seine Seele erfüllten; aber es war nur für einen Moment, dann empfand er diese ganze Scene nur als eine ungeschickte und unschickliche Unterbrechung seines Besuches beim General, und er betonte es, daß es durchaus nicht in seiner Absicht gelegen habe, die Muße des Fräuleins zu stören.

Man hat in letzter Zeit so viel von Ihnen sprechen hören, daß ich mich glücklich schätzen muß, eine Ungerechtigkeit, die ich mir gegen Sie habe zu Schulden kommen lassen, wieder gut zu machen, erwiederte Josephe mit einer Neigung des Hauptes.

Von welcher Ungerechtigkeit reden Sie?

Von der, Sie nicht hinreichend beachtet zu haben, als ich das erstemal das Vergnügen hatte, Sie zu sehen.

Wer, wie Sie vermuthlich, sich sehr viel in der Gesellschaft bewegt, hat das Recht, vorsichtig zu sein.

Das Recht – und auch die Pflicht.

Auch die Pflicht.

Ein Satz, den meine gute Cousine Amélie schwerlich unterschreiben würde.

Josephe sagte es in einem Tone leichten Hohnes und fuhr dann nach einer kleinen Pause in derselben Weise fort:

Die arme Amélie – Sie kennen sie ja von früher her und haben sie ja auch wohl in letzter Zeit öfters gesehen – sie weiß nichts von Vorsicht, das gute Kind. Dieser Zweig unserer Familie hat uns von jeher viel Sorge gemacht und scheint es ja in jüngster Zeit ordentlich darauf anzulegen, unsern Namen in die Oeffentlichkeit zu bringen.

In der That! sagte Leo, aber er hatte kaum verstanden, was das Fräulein sprach, denn sein leises Ohr hatte von nebenan eine Stimme gehört, die ihm sehr bekannt vorkam und nicht angenehme Erinnerungen in ihm wachrief. Vielleicht wurde die laute Stimme schnell beschwichtigt, denn man hörte sie jetzt nicht mehr, und das Fräulein fuhr fort:

Sie kennen ja die Familie meines Onkels so lange; war denn meine Cousine von jeher dieses schwärmerische, romantische Wesen, das immer nur in seinen Empfindungen lebt und von dem wirklichen Leben kaum eine Ahnung zu haben scheint? Und was mich sehr interessirt und worüber Sie mir gewiß Auskunft zu geben im Stande sind: meine Cousine, Emma von Sonnenstein, hat schon wiederholt auf ein zartes Verhältniß angespielt, das zwischen Amélie und einem jungen Gelehrten, den man mir als Ihren Vetter bezeichnete, existiren soll. Ist denn etwas daran?

Ich weiß es in der That nicht, erwiederte Leo zerstreut.

Josephe zog die schöngeschweiften Augenbrauen in die Höhe. Sie hatte auf eine bequeme Weise ihre Neugier nach den Verhältnissen der Familie ihres Onkels in der Form einer gnädigen Unterhaltung mit diesem Doctor befriedigen wollen; sie fand es unerhört, daß der Mann sich nicht einmal die Mühe gab, auf diese Unterhaltung einzugehen.

Leo merkte nichts von dem Verstoß, den er begangen hatte. Er war in keiner Weise zu einer medisanten Conversation aufgelegt, und überdies hatte er wiederum, und diesmal noch deutlicher als zuerst, die laute Stimme von nebenan vernommen. Es war ihm nicht länger zweifelhaft, wer der Besuch war, dem er so eilig hatte Platz machen müssen. Welches Recht hatte der Mann, dem General sein Anliegen in dieser Weise vorzutragen? Und welcher Art war dieses Anliegen?

Leo's Stirn zog sich in düstere Falten; das Fräulein blicke, halb von ihm abgewendet, durch die Spiegelscheiben auf die sonnige Parkstraße und schien seine Anwesenheit vergessen zu haben. Die Thür zu des Generals Zimmer wurde geöffnet, und der General erschien auf der Schwelle.

Entschuldige, liebe Josephe, daß ich Dich des Vergnügens der Unterredung mit dem Herrn Doctor so bald berauben muß. Darf ich bitten?

Leo stand auf, verbeugte sich vor dem Fräulein, das ihm mit einem kaum merklichen Nicken dankte, und folgte dem General in sein Cabinet.

Der General deutete nach einem Sessel, nahm selbst aber nicht Platz, sondern ging mit sichtbarer Unruhe auf und ab.

Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen eine Frage vorlege, die um so indiscreter klingt, als sie mit der Angelegenheit, die Sie zu mir führt, nicht direct zu thun hat. – Sie kennen die Familie des Castellan Lippert?

Ja, Excellenz.

Ich bin Ihnen, ehe ich weiter gehe, eine Erklärung schuldig. Die Familie hat mich von je interessirt, und stand und steht so zu sagen unter meinem Schutz. Die Frau, die kürzlich gestorben ist – Sie haben sie in ihrer letzten Krankheit behandelt, höre ich – war – ich spreche mit einem Mann von Ehre und darf offen sein – die Geliebte eines sehr, sehr lieben Freundes, des verstorbenen Ministers von Falkenstein. Der Sohn war der Protégé des Ministers; ich habe Grund, zu vermuthen, daß er zu dem Verstorbenen in einem noch näheren Verhältnisse stand. Auf jeden Fall war er mir ein theures Vermächtnis des Jugendfreundes; ich habe die Erziehung des Knaben überwacht, habe ihm zu der verantwortlichen Stellung verholfen, die er bis gestern bekleidete. Bis gestern! Lassen Sie mich kurz sein. Soeben war der junge Mann mit allen Zeichen der schrecklichsten Aufregung bei mir. Er theilte mir mit, daß er seit gestern aus dem Dienst Seiner Hoheit entlassen sei; noch mehr, er theilte mir den Grund mit, der diese Entlassung herbeigeführt hat; er gestand, daß er den Brief, dessen Mittheilung kürzlich so ungeheures Aufsehen machte, unterschlagen habe, daß aber – ich nehme Anstand, es auszusprechen – daß Sie, Sie mein Herr, die moralische Schuld an diesem entsetzlichen Vergehen tragen. Mißverstehen Sie mich nicht, ich sage nicht, daß dem so ist, im Gegentheil, ich harre Ihrer Erklärung, daß der Unglückliche – verführt durch ich weiß nicht welchen Schein, der gegen Sie sprechen mag – Sie fälschlich beschuldigt.

Der General blickte aus seinen dunklen Augen, die in diesen letzten Minuten tiefer in ihre Höhlen zurückgesunken waren, Leo forschend in das Gesicht. Leo erwiederte fest den spähenden Blick des Generals und sagte ruhig:

Auch ich habe die Ueberzeugung, mit einem Manne von Ehre zu sprechen, und so antworte ich denn: der Doctor Lippert hat Excellenz nur die Wahrheit gesagt; ich habe ihn veranlaßt, mir den bewußten Brief auszuliefern, von dem ich dann den Ihnen bekannten Gebrauch gemacht habe.

Aber, um Himmels willen, wie konnten Sie das wagen! rief der General in dem Tone des höchsten und zugleich schmerzlichsten Erstaunens.

Ich glaubte, meiner Partei dies Opfer schuldig zu sein, erwiederte Leo; überdies war das Wagniß für mich minder groß, als es scheint. Ich war und bin überzeugt, daß der Prinz niemals daran denken kann, den oder die Thäter öffentlich zu verfolgen, weil er dadurch und damit eingestehen würde, daß der Brief echt ist.

Aber Sie hören ja, daß der Doctor Lippert auf diesen Grund hin seines Dienstes entlassen ist.

Ob auf diesen Grund hin, Excellenz, muß ich bezweifeln. Man wird sich irgend eines andern Vorwandes bedient haben. Und auch so ist diese Entlassung eines Mannes, auf den sich selbstredend der Verdacht concentrirt, eine Unvorsichtigkeit, die ich den Rathgebern Sr. Hoheit nicht zugetraut hätte, und die man, glaube ich, betreffenden höchsten Ortes sehr bald bereuen wird.

Der General stand ganz erstarrt. Er hatte in seinem Leben so manche Intrigue eingefädelt und durchgeführt; aber seine Nerven, die nie die stärksten gewesen waren, hatten immer sehr dabei gelitten. Die kühne Sicherheit, mit welcher dieser junge, nur auf seine Kraft gestellte Mann seine gefährliche Position behauptete, imponirte ihm durchaus.

Jedenfalls, fuhr Leo, da der General nichts erwiederte, fort, hätte ich geglaubt, mich um die Partei am Hofe, zu welcher man im Publikum auch Excellenz rechnet, durch die Veröffentlichung dieses Briefes gewissermaßen verdient gemacht zu haben.

Wie meinen Sie das? fragte der General.

Excellenz würden mich hinterher belächeln, wenn ich naiv genug wäre, diese Frage alles Ernstes beantworten zu wollen, erwiederte Leo.

Der General wußte am besten, wie richtig dies war. Hatte er doch Ferdinand nur zu dem Posten verholfen, um einen Mann, dessen Ergebenheit er mit so schweren Opfern erkaufte, in der unmittelbaren Nähe des Prinzen zu haben! Hätte er doch mit Vergnügen jeden Brief, der dem Prinzen in der öffentlichen Meinung schaden konnte, drucken lassen, wenn er den Muth dazu gehabt hätte! Vor Allem deshalb traf ihn die Entfernung Ferdinand s von seiner Stelle als ein harter Schlag. Und nun auch der Plan, Eve zur Maitresse des Prinzen zu machen, ein Plan, den er so fein ersonnen, so warm unterstützt, über dessen Gelingen er schon so triumphirt hatte, nun doch gescheitert – er hatte aus Ferdinands Bericht nicht recht abnehmen können, weshalb – das Alles war so plötzlich über ihn gekommen – der alte Höfling fühlte sich verwirrt, betäubt; er glaubte sich einer Ohnmacht nahe.

Verzeihen Sie, wenn ich Sie bitten muß, die Unterredung jetzt abbrechen zu dürfen, sagte er mit blassen Lippen; ich bin schon den ganzen Vormittag unwohl gewesen, und mein Kopfschmerz nimmt überhand. Ich werde mich freuen, Sie in nächster Zeit wieder bei mir zu sehen. Ueberdies habe ich so den Vortheil, mir die wichtigen Mittheilungen, die Sie mir gemacht haben, bis dahin reiflicher überlegen zu können.

Leo erhob sich.

Ich wäre gern mit einem bestimmten Bescheide von Ihnen gegangen, Excellenz, sagte er; auf Sonnabend Abend ist eine Arbeiterversammlung anberaumt. Wenn bis dahin nichts Entscheidendes in unserer Sache geschehen ist, dürfte es allerwegen zu spät sein.

Sie drängen mich sehr, sagte der General.

Leo zuckte die Achseln. In drei Tagen läßt sich viel thun, Excellenz – wenn man will.

Nun, nun, ich werde sehen, werde sehen, murmelte der General. – Leo verbeugte sich und ging.

Die Sonne schien ihm hell in's Gesicht, als er auf dem braunen Kieswege zwischen den glattgeschorenen Rasenbeeten nach der Ausgangsthür schritt. Der Himmel blaute in unendlicher Tiefe; in den frischbelaubten Büschen und Hecken jubilirten die Vögel; auf der Parkstraße fuhren noch immer die glänzenden Carossen, sprengten noch immer auf schönen Rossen elegante Reiter; auf dem Fußwege, der neben der Fahr- und Reitstraße hinlief, promenirten noch immer die Schaaren der Damen und Herren – aber Leo sah von dem Allen nichts; er durchschnitt den bunten Strom, um die Einsamkeit des Parkes zu suchen. Ohne sich aufzuhalten, eilte er weiter und weiter, immer tiefer in das grüne Revier. Aber auch jetzt, als das Rollen der Wagen nur noch eben sein Ohr berührte, als er sich allein fand unter den ehrwürdigen Bäumen, kam die Ruhe, die er instinctmäßig mehr als absichtlich suchte, nicht über ihn. Seine Seele war voll Zorn, denn er mußte sich sagen, daß auch durch den General schwerlich seine Sache gefördert werden würde. Ueber die bedenklichen, kleinsinnigen Menschen, daß nicht Einer die Situation begreift! Nicht Einer! Elende Rücksichtnahme auf die Stellung hier, auf die lieben Verwandten dort! Und mit solchen Menschen soll man Geschichte machen!

Leo warf sich auf eine Bank, die im Schatten einer breitastigen Buche nicht weit vom Rande eines Teiches stand, dessen baum- und buschumgebene Fläche in den Sonnenstrahlen glitzerte.

Den Kopf in die Hand gestützt, versuchte er, sich die Unterredungen mit den beiden Staatsmännern noch einmal zu wiederholen, ob nicht doch etwa ein Wort gefallen sei, an das sich eine Hoffnung knüpfen ließe; aber je energischer er seine Erinnerung auf das eben Geschehene zu concentriren strebte, desto willkürlicher schien sie in das längst Vergangene schweifen zu wollen. Das Bild des Generals verwandelte sich immerfort in das seines verstorbenen Vaters, wie er an jenem Morgen, als er zum Landrath in die Stadt wollte, sich über den halb Schlummernden gebeugt hatte. Es mußte irgendwo eine Aehnlichkeit stattfinden – in den dunklen Augen vielleicht, die tief in den großen Höhlen lagen, oder in dem unruhigen Zucken der hageren, bleichen Züge.

Es war ein verhängnißvoller Morgen gewesen.

Als er sein Kämmerchen verließ, hatte er nicht gedacht, daß er die Schwelle desselben niemals wieder überschreiten würde. Dann war er in dem morgenfrischen Walde umhergeirrt, in grenzenloser Trauer, bis er an den Wasserfällen, von Hunger und Müdigkeit überwältigt, zusammenbrach. Weshalb war es nicht für immer gewesen? Weshalb mußte er erwachen, jenes lieblichste aller Bilder zu schauen – das reizende, badende Mädchen – eine trügerische Spiegelung gleichsam, mit der uns ein schadenfrohes Schicksal weiter und weiter in die Wüste des Lebens narrt. Nein! Noch ist die Hoffnung nicht verloren; und wäre sie es, so gilt es, weiter zu leben, weiter zu streben ohne Hoffnung; so gilt es, größer zu sein, als das Schicksal, das uns zermalmen, aber nicht erniedrigen kann!

Ein Rascheln in dem vorjährigen Laube dicht hinter ihm ließ Leo sich aus seiner gebückten Stellung aufrichten; im nächsten Moment stand Ferdinand vor ihm.

Ein Blick sagte Leo, daß dies Zusammentreffen kein zufälliges, daß der Mann ihm vorsätzlich bis hierher gefolgt war. Ferdinand's schönes Gesicht war bleich, nur auf seinen Wangen brannten rothe Flecken, die dunklen Augen sprühten Zorn und Haß, die ganze Gestalt bebte, die Lippen zuckten, als er in heiseren, kaum hörbaren Tönen sagte:

Ich wünschte mit Ihnen zu sprechen, mein Herr.

Sie haben den Ort gut gewählt, es stört uns hier Niemand, erwiederte Leo.

Leo hatte sich erhoben und stand nun – ruhig, wie bei einer zufälligen, harmlosen Begegnung – vor seinem leidenschaftlichen Gegner.

Was haben Sie mir zu sagen? fuhr er fort, als Ferdinand ihn noch immer, ohne weiter zu sprechen, anstierte.

Was ich zu sagen, Ihnen zu sagen habe, murmelte Ferdinand durch die Zähne, das fragen Sie mich?

Lassen Sie die Phrasen und kommen Sie zur Sache, sagte Leo; ich habe keine Lust, am hellen Tage Blindekuh zu spielen.

Sie haben keine Lust? In der That? rief Ferdinand mit wildem Hohn; ich glaube es gern. Und ich sage Ihnen, daß ich ebensowenig Lust habe, weiter mit mir spielen zu lassen. Lächeln Sie nicht so verächtlich! Sie haben kein Recht, mich zu verachten! Sie haben an mir gehandelt, wie Sie nicht durften! Ich spreche nicht von dem Brief, obgleich Sie mir auch den nur wie ein geschickter Taschenspieler escamotirt haben. Ihnen war an dem Briefe sehr viel gelegen und an mir sehr wenig; und dann konnten Sie sich zur Noth damit entschuldigen: er ist alt genug, um wissen zu können, was er thut. Aber in einer anderen Angelegenheit haben Sie mich ganz einfach verrathen, und dafür sollen Sie mir Rechenschaft geben.

Wenn ich diesen Wunsch erfüllen soll, erwiederte Leo, muß ich zuvor bitten, Sie wollen sich in Ausdruck und Haltung einer größeren Ruhe befleißigen. Die Aufregung, in der Sie sich augenscheinlich befinden, beeinträchtigt die Klarheit der Auseinandersetzung und dürfte schließlich eine Verständigung unmöglich machen.

Ich werde sehr ruhig sein, sagte Ferdinand, indem er sich gewaltsam zusammennahm; ganz ruhig, Sie sollen keinen Vorwand haben, mir auszuweichen. Ganz ruhig und höflich frage ich Sie also: Warum haben Sie mir nie gesagt, daß Sie, als Sie noch in Tuchheim lebten, als Schüler schon ein intimes Verhältniß mit Eve hatten?

Weil ich damit eine grobe Unwahrheit gesagt haben würde.

Sie stellen es in Abrede? Auch dann, wenn ich es aus – aus Eve's eigenem Munde weiß?

Auch dann.

Gut. Sie kommen also hierher, kannten Eve – denn gekannt haben Sie sie doch wohl? – nur ganz oberflächlich. Nichtsdestoweniger betreten Sie nicht den einzigen, ich meine den einzig schicklichen Weg, sich in die Familie einzuführen, indem Sie dort einfach einen Besuch machten; Sie melden sich als ein Fremder, der die Galerie sehen will, und verweilen mit Eve wohl über eine Stunde in den Sälen – ich bitte um eine Erklärung.

Die sehr einfach ist. Es lag mir in jener Zeit viel mehr an der Bekanntschaft mit Ihnen, als an der mit Ihrer Familie; die letztere – Eve eingerechnet – war mir nur so weit interessant, als sie zur Befestigung der eben mit Ihnen angeknüpften Bekanntschaft beitragen konnte. Ich würde mich gar nicht zu erkennen gegeben haben, wenn ich nicht alsbald gesehen hätte, daß ein Ende des Fadens, dem ich nachging, in Eve's Hand war. Die Folge hat bewiesen, wie sehr ich Recht hatte.

Gut. Sie sollen Recht haben. Und nun weiter! Ich machte Sie zum Vertrauten meiner Leidenschaft für Eve. Sie ließen mich selbst nicht einmal ahnen, daß Sie, Sie selbst sich um die Liebe des Mädchens bewarben, daß Ihre Bewerbung nur zu erfolgreich war, daß Sie geliebt wurden mit verzehrender Leidenschaft, daß Sie wieder liebten, oder sich wenigstens den Schein der Gegenliebe gaben, bis die Unglückliche Ihnen nichts mehr zu gewähren hatte; und weil das gerade in den Moment fiel, wo auch das Spiel, das Sie mit ihr spielten, zu Ende ging, zeigten Sie endlich Ihr wahres Gesicht, stießen die Aermste, die auf Sie gehofft, die Ihren Schwüren getraut hatte, von sich und trieben sie so der Verzweiflung und dem Prinzen in die Arme. Leugnen Sie das Alles? Auch dann, wenn ich es aus Eve's Munde habe?

Auch dann!

So sind Sie –

Behalten Sie, was Sie sonst zwischen den Zähnen haben, für sich: es trifft mich nicht. Aber unsere Unterredung ist hiemit zu Ende. Ich würde jedes Wort, das ich noch spräche, für verloren erachten, da Sie nicht Willens, vielleicht nicht einmal im Stande sind, das Gewebe von ganzen und halben Lügen, das Ihnen Eve so geschickt über den Kopf gezogen hat, zu zerreißen.

Und Leo wendete sich, um zu gehen.

Sie kommen nicht von der Stelle, murmelte Ferdinand, indem er Leo am Arm packte.

Leo machte sich mit einer raschen Bewegung los, trat einen Schritt zurück und sagte, indem er Ferdinand, der seinen Blick vergeblich zu erwiedern suchte, fest auf Stirn und Augen sah:

Ich rathe Ihnen zum Guten, Herr Ferdinand Lippert! Ich dächte, Sie kennen mich hinreichend! Was wollen Sie? Sich etwa mit mir schießen? Ich habe ganz andere Dinge zu thun, als daß ich mich von Ihnen oder Ihresgleichen todtschießen lassen könnte. Sehen Sie, Mann, Sie sind nicht nur ein Thor, sondern auch ein Feigling. Was hindert Sie, mir jetzt auf der Stelle die Kehle zuzuschnüren, oder mich hier im Teich zu ertränken? Die Stelle ist einsam genug, um Hilfe werde ich nicht schreien, und Sie sind offenbar, nach Ihrem Körperbau und Ihrer Muskulatur zu schließen, stärker als ich. Aber Sie sehen, meine Hand ist ruhig, und Sie, Sie zittern vom Kopf bis zu den Füßen; ich würde Sie, so gewiß, als die Sonne scheint, zu Boden schlagen, wenn Sie mir jetzt oder später einmal in den Weg zu treten wagen. Und nun gehen Sie hin und hetzen Sie Ihre vornehmen Patrone, oder die jungen Wüstlinge, mit denen Sie Ihre Orgien feiern, gegen mich, oder thun Sie, was Sie wollen – ich habe mit Ihnen nichts weiter zu schaffen. Aus dem Wege, sage ich!

Ferdinand wich zurück, wie ein Raubthier, das zum Sprunge Raum gewinnen will; aber er fand in dem bebenden Herzen nicht den Muth, zur Gewalt zu schreiten, und mußte sich begnügen, mit Blicken tödtlichen Hasses, wilde Drohungen zwischen den Zähnen murmelnd, Leo nachzustieren, der jetzt, ohne seine Schritte zu beschleunigen, den Weg einschlug, welcher aus den Büschen hinaus nach der belebten Straße am Rande des Parkes führte.


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