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Erstes Capitel.

Es war an einem Spätsommerabend. Die Sonne stand schon hinter den Wäldern, aber ihre Strahlen erreichten noch den wolkenlosen Zenith, von dem ein Meer weichsten, mildesten Lichtes auf die müde Erde herabsank. Kein leisester Hauch regte die stattlichen Wipfel der prachtvollen Eichen und Buchen. In der lautlosen Stille vernahm man deutlicher das Zirpen der Schwalben, die mit ihren Jungen um den Giebel des Försterhauses kreisten. Die Glocke aus dem Dorfe Tuchheim, das jenseit des Hügelrückens und wohl eine halbe Stunde von der Försterei entfernt lag, klang so hell herüber, man konnte mit Bequemlichkeit die Schläge zählen.

Es ist sieben Uhr, sagte einer von den zwei Männern, die vor der Hausthür auf der Bank links unter der alten Linde saßen, indem er eine große Uhr in einem Doppelgehäuse von Tomback aus der Tasche seiner schwarzen Weste nahm und vor die kurzsichtigen Augen hielt; sieben Uhr, ich muß fort.

Nicht doch, lieber Anton, erwiederte der Andere. Malchen hat darauf gerechnet, daß Ihr zum Abend hier bleibt; Du hörst, wie sie in der Küche rumort; ich habe die Witterung von Eierkuchen – nicht wahr, Ponto?

Und er legte die braune Hand auf den Kopf eines schönen, langhaarigen Hühnerhundes, der sich schweifwedelnd an seine Kniee schmiegte.

Anton antwortete nicht; er ließ das Haupt wieder auf die Brust sinken und starrte auf den Boden. Von Zeit zu Zeit hustete er leise. Der Förster dampfte mächtig aus einer kurzen Meerschaumpfeife; seine scharfen blauen Augen blickten nach einem Raubvogel, der in ungeheurer Höhe seine Kreise durch den sonnig hellen Aether zog.

So saßen sie eine kleine Weile.

In Anton's düsterem Gesichte zuckte es unruhevoll. Ein Entschluß, der ihm schwer werden mochte, schien sich aus seiner Seele loszuringen. Er hüstelte stärker als zuvor, schaute verstohlen nach dem Bruder hinüber, setzte ein paarmal zum Reden an, hüstelte wieder und sagte endlich:

Höre, Fritz!

Was giebt's, Anton? erwiederte der Förster, ohne seine Augen von dem kleinen beweglichen schwarzen Punkte in der Höhe abzuwenden.

Du könntest mir einen Gefallen, einen großen Gefallen erweisen.

Von Herzen gern, sagte der Förster.

Wie stehst Du jetzt mit dem gnädigen Herrn?

Nun, ich denke, nicht schlechter als gewöhnlich – weshalb? erwiederte der Förster, die rechte, zusammengeballte Hand an die Backe legend und über den ausgestreckten Daumen nach dem Raubvogel visirend, den er jetzt deutlich als einen Bussard erkannte.

Ich – ich möchte Deine Vermittlung in Anspruch nehmen in einer Sache, deren Entscheidung allein oder doch fast allein von ihm abhängt, und an der mir, das heißt nicht sowohl meinetwegen als im Interesse Leo's, sehr viel gelegen ist. Aber Du hörst nicht, was ich sage.

Doch, doch, Bruder, erwiederte der Förster.

Der Bussard, seiner Beute sicher, fiel wie ein Stein in gerader Linie herunter und verschwand, hinter dem Walde. Der Förster wandte sich zu dem Bruder und wiederholte:

Doch, doch! Ich bin ganz Ohr. Du hast ein Anliegen bei dem gnädigen Herrn – sagtest Du nicht so?

Der alte Gemeindeschreiber Müller in Tuchheim ist gestern gestorben, erwiederte der Andere in einer Aufregung, die seine bleichen Wangen mit einer hektischen Röthe übergoß und ihm das Athmen hörbar erschwerte; es wird eine Neuwahl stattfinden; die Stelle bringt über fünfzig Thaler ein; wenn der Freiherr mir seine Stimme giebt und sich für mich beim Landrath verwendet, ließe es sich wohl machen, daß ich in diese Stelle rückte.

Der Förster nahm die Pfeife aus dem Munde, blickte den Bruder verwundert an, schüttelte dann den Kopf und sagte: Gemeindeschreiber in Tuchheim! Ei, ei, Anton, Du würdest es dabei so wenig aushalten als bei irgend einer andern Hantierung. Du würdest nach vier Wochen – was sage ich – nach vier Tagen, kommen und brummen: Mag Der oder Jener Gemeindeschreiber sein; der Teufel hole die langweilige Arbeit, die mich von meinen Büchern abzieht. – Nun, Anton, ich wollte Dich nicht kränken. Du bist ein gescheidter Kopf und hättest was Besseres verdient, als in dem elenden Nest, dem Feldheim, zu verkümmern; aber Du hast Dich nicht in's Leben finden können, Anton, nicht in die Menschen schicken können. Sie haben's auf dem Schlosse gut mit Dir gemeint, wie mit uns Allen. Du hast Dir dein Lager selbst machen wollen; es ist nicht meine oder eines Andern Schuld, daß es so hart gerathen ist.

Der Förster klopfte seine Pfeife aus, während er das sagte, und weil er dabei lauter sprechen mußte, um gehört zu werden, kam es wohl, daß seine Worte rauher klangen, als sie gemeint waren. Die hagere Gestalt des bleichen Mannes an seiner Seite zuckte zusammen; er schloß die Augen wie in einem plötzlichen physischen Schmerz.

Es ist hart, sehr hart gerathen, sagte er tonlos.

Nun, nun, beschwichtigte der Förster, wir haben Jeder unser Theil zu tragen. Wie wir's tragen – das ist die Hauptsache. Dabei hängt gar viel von uns ab: ob wir's auf die leichte oder schwere Achsel nehmen, und ob wir ein wenig Geduld haben oder partout mit dem Kopfe durch die Fangnetze wollen. Aber, um auf Deine Idee zurückzukommen – Bemühe Dich nicht, rief der Andere aufspringend; ich habe genug gehört; ich brauche Deine Vermittlung nicht; ich brauche des Freiherrn Gnade nicht; ich werde meinen Weg zum Grabe allein finden, wie ich meinen Weg durch's Leben allein gegangen bin. Es ist mir schwer genug geworden, daß ich den Mund geöffnet habe; ach, ich wußte es ja, welcher Theilnahme ich mich von den Menschen zu versehen hatte, hätte es wenigstens wissen können. Es ist gut, ich werde Dich nicht wieder belästigen.

Und er setzte hastig die Mütze auf, steckte mit zitternden Händen die hölzerne Tabaksdose und das Taschentuch ein und suchte mit den Augen nach dem Stock, der von der Bank, an welcher er gelehnt hatte, unter den Tisch gefallen war.

Aber Anton, sagte der Förster ärgerlich, ist das nun gehandelt und gesprochen – ich will nicht sagen wie ein Bruder, sondern wie ein Christenmensch und ein vernünftiger Mann? Komm', komm', Anton! Wir haben uns vor vierzig Jahren in den Haaren gelegen, wenn Du immer die Exempel richtig rechnetest und ich dafür die meisten Vogelnester wußte. Da waren wir eben dumme Jungen und verstanden es nicht besser; sollen wir uns heute noch zanken, wo wir graue Haare haben und Keiner zwischen uns den dritten Mann spielen kann, wie der Vater sagte, wenn er uns Beide beim Kragen nahm?

Die tiefe Stimme des Mannes klang ordentlich weich, als er so sprach und dem Bruder die braune, kräftige Hand entgegenstreckte. Den kostete es eine sichtbare Ueberwindung, die dargebotene Versöhnung anzunehmen.

Ich wollte, der Vater hätte mich todtgeschlagen, oder ich wäre nie geboren, sagte er, während er vor der Bank, auf welcher der Förster saß, mit heftigen Schritten auf und ab ging. Was hat mir das Leben gebracht? Kummer, Sorge, Krankheit! Ich bin ein schwächliches, häßliches Kind gewesen. Der Vater hat mich stets verachtet; Ihr Alle habt es gethan, obgleich Ihr es natürlich nie habt Wort haben wollen. Aber ich fühlte es wohl; ich wußte es wohl, und das hat mich frühzeitig so scheu und so feig, so versteckt und so stolz gemacht. Und doch hatte ich Euch lieb, ich hatte die Menschen lieb. Sie haben es mir nach ihrer Weise vergolten. Sie haben mich von sich gestoßen, und dann haben sie gesagt, ich wäre vor ihnen geflohen. Ja wohl, und mit wie offenen Armen hätten sie mich aufgenommen, hätte ich Erfolge gehabt! Ich habe keine gehabt – das ist es. Das verzeiht die Welt nicht. Arm und verhöhnt, krank und verachtet!

Der Förster schüttelte den Kopf.

Es ist das alte Lied, sagte er. Nun, nun, man kann von einem Vogel nicht verlangen, daß er die Weise umlernt, die er sein Leben lang gesungen. So wahr mir Gott helfe, Anton, ich habe Dich nie verachtet, im Gegentheil, ich habe immer einen großen Respect vor Dir gehabt, obgleich Du der Jüngere warst. Und daß Du ein Herz hast, das lieben kann, Anton – ei, das weiß ich auch. Hättest Du das nicht gehabt, Du würdest Dich nicht, Deiner seligen Frau zuliebe, in Dein Dorf eingeschlossen haben, Du, dem die ganze Welt offen stand. Und machst Du es nicht jetzt mit Deinem Jungen wiederum so? Du lebst nur für ihn; Du studirst Dir Deine armen schwachen Augen fast blind, damit er nur recht gelehrt wird; mein Walter sagt mir, es sei ganz erschrecklich, was der Leo Alles wisse; er könne jeden Augenblick nach Prima kommen. Warum nimmst Du mein Anerbieten nicht an? Ich habe Dir schon vor drei Jahren, als ich den Walter in die Stadt auf die Schule schickte, gesagt, Du solltest den Leo mitgehen lassen; ich wollte schon für die beiden Buben sorgen. Du hast es nicht gewollt; ich hätte an der Sorge für den Einen schon zu viel; nun meinetwegen; es wäre mir nicht leicht geworden, die Pension aufzubringen; aber jetzt steht die Sache anders. Walter hat genug lateinische und französische Vocabeln im Kopf; er muß jetzt ernstlich an seine Hantierung denken, sonst wird im Leben kein ordentlicher Forstmann aus ihm. Der Junge bleibt nun hier, und ich habe die Hände wieder frei, Leo kann in seine Stelle treten. Willst Du, Anton? Schlag' ein, alter Kerl!

Anton hatte sich wieder gesetzt; in seinem hagern Gesichte zuckte es wehmuthsvoll; offenbar hatte ihn des Bruders rauhe Herzlichkeit wohlthätig berührt. Er nestelte verlegen in seinem grauen dünnen Haar und sagte:

Ich glaube es, Fritz, ich glaube es, aber es geht nicht. Dein Junge wird Dich auch in Zukunft noch genug kosten, wenn er Soldat wird und was noch sonst dahin gehört. Dann mußt Du auch an Deine Tochter denken, die Du nicht immer wirst hier auf dem Lande bleiben lassen wollen. Schließlich hast Du für Malchen zu sorgen, und mich hast Du, die paar Thaler Pacht, die der Freiherr nicht von mir nehmen will, abgerechnet, auch noch auf dem Halse; deshalb wiederhole ich meine Bitte wegen der Gemeindeschreiberstelle. Fünfzig Thaler mehr sind in meinen Verhältnissen ein ganzes Vermögen; ich brauche wenig, mein Leo ist nicht verwöhnt. Ich kann ihn dann auf die Schule schicken, vielleicht später auf die Universität, ohne seine junge Freiheit durch Verpflichtungen gegen Andere zu lähmen. Willst Du also mit dem Freiherrn wegen meiner sprechen, so will ich selbst mich in der Stadt bei dem Landrath umthun. Man kann es mir nicht abschlagen; ich habe noch niemals um etwas gebeten. Vielleicht nimmst Du Dich, während ich fort bin, meines Leo an. Du siehst, ich kann auch demüthig sein und bitten, wenn es sein muß. Willst Du, Anton?

Der Förster war in großer Verlegenheit. Er wußte besser als irgend Einer, daß das neueste Project seines Bruders wiederum nichts als eine Seifenblase war, die bei dem ersten Anhauch der Wirklichkeit zerplatzen würde. Dennoch durfte er, wenn er den gerade heute besonders Verstimmten und unter dem Einflusse seiner Krankheit Leidenden nicht auf das Empfindlichste kränken wollte, kein Wort von seinen Zweifeln und Bedenken verlauten lassen. Er nickte deshalb eifrig und sagte: Natürlich, Anton, natürlich – ei, das versteht sich ja von selbst; aber seine Augen bewegten sich unruhig, als suchten sie einen Gegenstand, der dem Gespräche eine andere Wendung geben könnte.

Plötzlich flog es über sein wettergebräuntes Gesicht wie ein Sonnenstrahl. In dem tiefen Schatten der Bäume zwischen den mächtigen Stämmen bewegte sich eine leichte Mädchengestalt in hellem Gewande, jetzt halb verdeckt, dann ganz verschwindend, dann wieder hervortauchend und vollkommen sichtbar, wie die glänzende Mondessichel, die durch Wolken segelt. Sie bückte sich häufig nach feinen Gräsern und Moosen und schaute dann wieder an den Bäumen hinauf, in deren dichten Laubkronen hie und da noch ein Vöglein zirpte. So kam sie näher und trat jetzt aus dem Rande des Waldes in das rothe Abendlicht, so daß sie wie von einer Glorie umflossen dastand. Dem Vater hüpfte das Herz beim Anblick seines Lieblings. So schön war sie ihm noch nie erschienen. Wie schlank und zierlich die leichte Gestalt, und wie groß das dreizehnjährige Ding! Ordentlich wie ein erwachsenes Mädchen! Und wie kleidete sie der Eichenkranz, den sie lässig auf das hellbraune Haar gedrückt hatte, das in fast zu üppiger Fülle anmuthiger Locken von dem schön geformten Haupte herabfloß!

Silvia, rief er, komm' her, Mädchen!

Komm' Du hierher, Papa, sagte das Kind, es ist hier viel schöner als vor der Thür; wir wollen noch ein wenig umherlaufen.

Der Förster hatte sich schon halb erhoben.

Du verziehst Deine Kinder, Fritz, sagte der Anton in verweisendem Tone.

Ich glaube, Du hast Recht, erwiederte der Förster lächelnd, aber was ist da zu thun?

Wer sein Kind lieb hat, der züchtigt es, sagte der Andere.

Wenn der Onkel nicht mit will, so mag er bleiben, wo er ist, rief Silvia, die aus den Mienen der Männer den Inhalt ihres Gesprächs errathen hatte; ich habe ihn nicht zu kommen gebeten.

Schäme Dich, Silvia, rief der Förster.

In diesem Augenblicke erschien eine kleine bewegliche Frauengestalt in der Hausthür. Das schmale, altjüngferliche Gesicht, das von Gutmüthigkeit und dem Wiederschein des Küchenfeuers glänzte, war hie und da mit Mehlflecken betupft. Sie trug einen hölzernen Löffel in der Hand und rief, sobald sie die Schwelle betreten:

Fritz, Anton, Silvia! Wo sind die Jungen? Das Essen ist in zehn Minuten fertig. Wo sind die Jungen?

Wo sind die Jungen, Silvia? rief der Förster.

Dort, sagte Silvia, seitwärts in den Wald deutend, unter der großen Buche, ich will sie holen.

Thu' das, mein Mädchen! sagte der Förster. Komm', Anton, in der Laube ist gedeckt; ich wollte Dir meine Bienenstöcke zeigen; wir haben noch eben Zeit.


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