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Achtzehntes Capitel.

Die Monde rollen dahin. Aus dem Winter ist Frühling, aus dem Frühling wieder Sommer geworden. Die liebliche Tuchheimer Landschaft prangt im vollsten Schmuck. Wälder und Felder, Wiesen und Gärten haben sich zu einem Riesenteppich vereinigt, durch den sich die Silberfäden kristallener Bäche schlingen. Unendlicher Thau fällt in den milden Nächten, und die Sommersonne, wenn sie nach kurzer Rast am wolkenlosen Himmel aufglüht, findet eine erfrischte Welt. In den blauen Lüften jubiliren die Lerchen; sie singen aus einer Brust, so voll der innigsten Lebensfreude; es scheint ein Wunder fast, daß diese kleine Brust nicht springt.

Unterdessen sorgen und schaffen die Menschen, wie sie's gewohnt sind und die Zeit es heischt. Der Freiherr hat den Winter hindurch viel gearbeitet und gerechnet; er hat sich entschlossen, die Güter, die zu Martini außer Pacht kommen, von da an selbst zu bewirthschaften. Er trägt sich mit großen Verbesserungsplänen; Fräulein Charlotte hat genug zu thun, seinen Eifer in Schranken zu halten, seine Aufmerksamkeit auf das Nothwendige zu richten. Der Förster kommt jetzt kaum vom Schlosse fort, und wenn er nicht auf das Schloß kommen kann, so steht des Freiherrn Pferd oft stundenlang im Schatten der Linde vor dem Forsthause. Fritz Gutmann weiß nicht blos seinen Forst zu verwalten, er kann eine Scheune oder einen Pferdestall projectiren, berechnen und billig herstellen trotz dem besten Architekten, und was die Landwirthschaft betrifft, so gilt er in diesem Punkt drei Meilen in der Runde für die erste Autorität. Da giebt es nun zwischen dem Freiherrn und ihm gar viel zu verhandeln und zu berathen. Der Freiherr wünscht, daß Fritz die Försterei aufgiebt, weil er ihm als Verwalter in Feldheim und überhaupt als Stellvertreter viel besser nützen kann; aber dazu kann sich Fritz nicht entschließen. Wenn der Freiherr ihm ein kräftiges und schnelles Pferd in den Stall stellen will, glaubt er alles Nöthige vollkommen gut besorgen zu können. Der Freiherr erklärt sich damit einverstanden, vorausgesetzt, daß Fritz sich eine bestimmte Summe als Zulage zu seinem bisherigen Gehalt gefallen läßt.

Diese Bedingung kann der Förster nicht annehmen: er meint, der Arbeiter sei freilich seines Lohnes werth; wenn aber Jemand über seine Arbeit hinaus bezahlt werde, so komme ihm das vor, als ob man Hasen mit der Büchse schießen wolle. Der Freiherr habe schon, indem er die Pension für die beiden Jungen bei dem Pastor bezahle, genug und mehr als genug gethan. Damit müsse aber der Freiherr seiner Güte ein Ziel setzen. Fräulein Charlotte, welcher der Bruder den Fall vorlegt, sagt, Fritz Gutmann habe vollständig Recht.

Silvia ist noch immer ein Gast auf dem Schlosse. Sie hatte ursprünglich nur während Leo's Krankheit auf einige Wochen aus dem niedrigen Hause in dem herbstlich-feuchten Walde entfernt werden sollen; aber man kann sich nicht so schnell von dem lieben Kinde trennen. Es sprechen auch gar so viele Gründe für ihr Bleiben. Die beiden Mädchen lieben sich so sehr – wenigstens behauptet Amélie, daß sie sterben müsse und werde, wenn man ihr ihre Silvia, ihre Silvi raube. Miß Jones ist aus pädagogischen Gründen ebenfalls gegen die Rückkehr Silvia's in ihr Vaterhaus. Sie behauptet, daß Tante Malchen sich zur Erzieherin eines so begabten und so gearteten Kindes genau so gut eigne, wie eine kleine Gartengießkanne zur Bewässerung eines Weizenfeldes; daß es ihres Wissens überhaupt nur eine Person gebe, welche diesem Unternehmen gewachsen, und daß diese Person eine Dame sei, deren Namen zu nennen ihr die Bescheidenheit verbiete.

Der Förster hat nichts dagegen, wenn Silvia oben bleibt; er gönnt dem Kinde von ganzem Herzen die gute Gesellschaft, den guten Unterricht und die Liebkosungen, mit denen man sie von allen Seiten überhäuft, wenn er auch manchmal – besonders des Abends nach abgethanen Geschäften – schmerzlich nach seinem Liebling verlangt. Und dann sieht er sie ja doch auch alle Tage, oder so ziemlich alle Tage. Das muß ihm genügen. Was soll denn aus den Kindern werden, wenn die Eltern nicht die Entsagung haben, sie beizeiten der Welt abzutreten, für die sie geboren sind!

In dem Pastorhause ist, so viel man sehen kann, Alles beim Alten geblieben.

Doctor Urban zum mindesten sieht so stark und kräftig aus, wie nur je; auch hat sein Lächeln nichts von seiner Kälte verloren, haben seine Zähne nichts an ihrer Weiße eingebüßt. Frau Urban ist vielleicht noch einen Ton blasser geworden und ihre Augen etwa um ebenso viel röther; auch scheint ihr Verhältniß mit den Tellern und Schüsseln in der Küche noch immer kein ganz geregeltes zu sein; dafür ist sie aber von derselben Verbindlichkeit gegen Jedermann, Hoch und Niedrig, Reich und Arm, und noch immer kann ein freundliches Wort, das man ihr sagt, die geringste Aufmerksamkeit, die man ihr erweist, sie zu Thränen rühren.

Sie hat von dergleichen wenig zu erzählen, die arme Frau. Auf das Schloß oder überhaupt in Gesellschaft kommt sie sehr selten, da ihr Gemahl ihr gesagt hat, er habe nicht geheirathet, um anderen Leuten ebenfalls den Genuß der Ungeschicklichkeit und Unwissenheit einer gewissen Dame zu gewähren; und in ihrem eigenen Hause zittert sie vor ihrem Gatten, zittert sie vor Leo, der noch nicht drei Worte mit ihr gewechselt hat, zittert sie vor Henri, der ihr stets die Flaschen und Gläser bei Tische so stellt, daß sie sie umwerfen muß, zittert sie selbst vor ihren beiden Dienstmädchen, welche sie verhöhnen, sobald sie es wagt, einen Wunsch auszusprechen; und nur in Ein Paar treuer Augen blickt sie ohne Furcht, nur Eine Hand hält ihre bebenden Finger mit warmem, treuherzigem Druck. Dafür aber liebt sie auch Walter, wie sie ihre Zwillinge (wenn sie nicht gleich nach der Geburt gestorben wären) geliebt haben würde, und in ihrer einsamen Kammer vor dem Einschlafen vergißt sie nie zu ihrem Gott zu beten, er möge den lieben Walter tausend- und tausendfältig belohnen für seine Güte und Treue gegen eine unglückliche, von aller Welt sonst verlassene Frau.

Der arme Walter! Er ist gegen alle Menschen gut, und so würde er es ohne Zweifel gegen Frau Urban gewesen sein, auch wenn er sie weniger unglücklich gefunden hätte; aber daß ein Menschenkind ohne sein Verschulden so viel Leid erfahren könne – das bringt den armen Jungen, der bisher nur Liebe und Güte, Freude und Frieden um sich hat walten sehen, ganz außer sich. Er erklärt seinen Kameraden, daß er den Doctor für einen sehr gelehrten Mann halte, daß aber des Doctors Predigten von christlicher Liebe und Barmherzigkeit nicht mit seinem Thun übereinstimmten, und daß er für sein Theil einem Manne, dessen Handlungen nicht mit seinen Worten übereinstimmten, seine Achtung versagen müsse. So habe er es von seinem Vater gelernt, und so wolle er es – mit der Erlaubniß des Herrn Doctors – auch weiter halten.

Auf dergleichen Ausfälle pflegt Leo die Achseln zu zucken; Henri aber ruft: Was wollen wir uns über den alten Burschen noch streiten! Ihr mögt Euch über ihn den Kopf zerbrechen; das gehört zu Eurem Stande; ich, als Edelmann, weiß auch ohne das, was ich von dergleichen Leuten zu halten habe.

Leo hat, wenn Henri sich so gehen läßt, stets eine beißende Antwort in Bereitschaft; auch Walter ist nicht unempfindlich gegen den Hochmuth, der aus den Worten des Junkerleins hervorschaut; aber er verschluckt seinen Aerger; er darf es ein- für allemal mit Henri nicht verderben. Henri ist ihm so nothwendig wie Jemand, der in ein verschlossenes Haus will, der Schlüssel, der ihm das Haus erschließt; ja, er liebt Henri mit der ganzen Uneigennützigkeit. mit welcher ein sechzehnjähriger Knabe an dem Bruder des Mädchens hängt, das ihm tausendmal theurer ist, als sein eigenes, harmloses Leben.


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