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Vierundfünfzigstes Capitel.

Und allabendlich bis tief in die Nacht hinein – manchmal die ganze Nacht hindurch bis an den hellen Morgen – konnte man von jetzt an den Schein der Lampe auf Leo's Studirtisch durch die Vorhänge der Fenster dämmern sehen. Der Handschuh war hingeschleudert und aufgenommen worden, die Fehde war entbrannt, und Leo war entschlossen, den Kampf bis zum Ende durchzuführen. Ja, der Gedanke, daß er – wenigstens in diesem Stadium des Kampfes, so lange nur noch mit Worten gestritten wurde – allein, so gut wie allein stand, war viel mehr geeignet, seinen Muth zu entflammen, als einzuschüchtern. Eine zweite Broschüre, die seinen Namen auf dem Titelblatte trug und in welcher er die Autorschaft jener ersten für sich reclamirte, machte selbst in Kreisen, die sich sonst herzlich wenig um Politik bekümmerten, das größte Aufsehen. Die schönen Seelen schwelgten in den Feinheiten dieses Styls und verglichen das Schriftchen mit einem blanken Dolch, der aus der Scheide fährt; der gemeine Mann las mit Verwunderung, zu welch' hohen Dingen, die man alle bis dahin vor ihm geheimgehalten hatte, er berufen war; die Gouvernementalen jubelten über die Grausamkeit, mit welcher der Autor alle Schwächen der liberalen Partei aufgedeckt hatte. Es war, meinten sie, wie wenn die Seitenwand eines Hauses plötzlich eingerissen wäre, und die Vorübergehenden könnten in alle Verborgenheiten des Haushaltes hineinsehen. Und nun erschien zu derselben Zeit in auswärtigen Zeitungen der Brief des Prinzen, der den Mann, auf welchen die Liberalen im Geheimen ihre Hoffnungen setzten, als einen eingefleischten Reactionär, als eine despotische Natur enthüllte.

Leo hatte die ungeheure Wirkung, die dieser Brief hervorbringen würde, richtig berechnet. Die liberale Partei gab sich den Anschein, als ob der Schlag nebenbei in die Luft gegangen sei, und zeigte dadurch, wie schmerzlich sie sich getroffen fühlte; die einsichtigen Anhänger des Prinzen mußten sich sagen, daß es Jahre dauern würde, bevor der schlimme Eindruck, den dieses unfreiwillige Selbstbekenntniß hervorgebracht hatte, sich verwischen würde. Aber selbst die Gouvernementalen, denen doch die Verdächtigung ihres mächtigen Gegners zumeist zu gute kam, waren wie betäubt von einer Kühnheit, die keine Schranken respectiren zu wollen schien, und nur der junge König, sagte man, sei entzückt über die angerichtete Verwirrung, aus der er, wie man weiter erzählte, als der Heiland und Retter hervorzugehen hoffe.

Ich habe es ja immer gesagt, rief Herr Rehbein, der mit Leo's neuer Broschüre: »Die Steinbrecher und die Baumeister« in der Hand von seinem Zuschneidetisch herab den eintretenden Freunden entgegen hüpfte, ich habe es ja immer gesagt: er hat nie etwas getaugt; er hat nie ein Herz für das Volk gehabt. Es ist ihm ganz gleich, was aus den Arbeitern wird, wenn er nur seine Rache befriedigen, seinem schändlichen Ehrgeize fröhnen kann. Er ist ein Judas Ischariot, ein Abtrünniger!

Walter schüttelte den Kopf und sagte: Richten wir nicht zu hart! Ist er ein Abtrünniger, so ist er es nicht aus gemeinen Rücksichten, so ist er es geworden, wie Satan, der der herrlichsten Engel einer war: aus gewaltigem Schaffensdrang, der in der Welt, wie sie nun einmal war, keinen Raum mehr für sich fand.

Ach was, entgegnete der kleine Mann hitzig: Schaffensdrang hin, Schaffensdrang her! Jeder ordentliche Kerl findet noch immer eine Stelle, wo er die Schulter an's Rad stemmen kann. Zum Kukuk! Ich will nicht von mir sprechen, obgleich ich den sehen will, der radikaler ist, als ich; aber da sind Sie selbst, da ist hier unser Doctor! Sind Sie denn nicht ganz in derselben Lage? Und fällt es Ihnen auch nur ein, den Großmogul spielen zu wollen und die ganze Karre kurz und klein zu schlagen, weil sie nun mal für den Augenblick feststeckt?

Erhitzen wir uns nicht, lieben Freunde! sagte Doctor Paulus, soll er auch noch den Triumph haben, uns untereinander zu veruneinigen? Ich glaube, Sie haben Beide nicht ganz Recht: Walter nicht, wenn er Leo's Handlungsweise durchaus von dem Makel eines sträflichen Ehrgeizes reinigen möchte; Sie nicht, Rehbein, wenn Sie annehmen, es könne durch seine Agitation der guten Sache ein unwiederbringlicher Schaden zugefügt werden. Eine Idee ist nicht in solcher Weise von dem Thun und Lassen eines Einzelnen abhängig. Der Einzelne, und sei er noch so gewaltig, ist immer nur der Träger, nicht der Schöpfer einer Idee, und so kann er vielleicht die Idee auf eine kurze, sehr kurze Zeit verdunkeln, nimmermehr sie ganz aufhalten oder zerstören. In weltgeschichtlichen Dingen gilt immer noch das alte Wort jenes philosophischen Juden: Ist es von Gott, so wird es bestehen; ist es nicht von Gott, so wird es untergehen. Ja, ich möchte behaupten, daß Leo's Auftreten der guten Sache nur Nutzen bringen wird. Daß die liberale Partei einer gründlichen Reform bedarf, darüber sind wir ja Alle längst einig. Der von Leo hervorgerufene Sturm wird dazu dienen, die Spreu schneller vom Weizen zu sondern.

Und die Arbeiterfrage? fragte Rehbein, die Arbeiterfrage, die jetzt nach den neuesten Vorgängen in Tuchheim so brennend geworden ist?

Auch für die Arbeiterfrage, erwiederte Paulus, kann es nur vortheilhaft sein, wenn die Unausführbarkeit von Leo's socialistischen Doctrinen sich einmal wieder eclatant herausstellt. Die Köpfe werden sich erhitzen, die Geister werden aufeinander platzen, das ist natürlich. Es werden Spaltungen hervorgerufen werden, neue Parteien, neue Schulen sich bilden. Um so besser. Die Ansichten werden sich klären, das Licht wird heller werden, und ich für meinen Theil wüßte nicht, was ich mir Lieberes wünschen sollte.

Und Leo selbst? fragte Walter.

Leo selbst? erwiederte Paulus, und sein edles, durchgeistetes Gesicht nahm einen Ausdruck tiefer Traurigkeit an; Leo selbst wird, fürchte ich, die Richtigkeit meiner Diagnose mit seinem moralischen, vielleicht auch physischen Untergang bestätigen: Er wird sich eine Zeit lang halten, vielleicht eine glänzende Rolle spielen, und dann werden dem Zauberlehrling die Wasser, die er heraufbeschworen hat, über dem Kopf zusammenschlagen. Nach seiner letzten Rede in seinem neuen Arbeiterverein ist mir das nicht mehr zweifelhaft. Er weist die Arbeiter an den Staat, und der Staat ist ihm irgend eine Willkürherrschaft, mag sie sich nun comité de salut public, Directorium, Dictator oder Kaiser nennen. Aber, liebe Freunde, es handelt sich jetzt für uns um andere Dinge. Ich habe unseren Rechtsanwalt gebeten, hierher zu kommen; ich dächte aber, wir fingen immer an, es ist gar Manches zu erwägen.

Und die Freunde traten in Berathung über Walter's Angelegenheit, die allerdings bereits eine Wendung genommen hatte, welche die ernsteste Erwägung nothwendig machte.

Mit nicht geringerem Interesse, als in dem Rehbein'schen Hinterzimmer von den versammelten Freunden, wurde Leo's Thun und Treiben in dem Sonnenstein'schen Salon von den verschiedenen Mitgliedern der Familie besprochen.

Henri hatte Leo's Verkehr in dem Hause des Oheims stets mit scheelen Blicken betrachtet und aus der Abneigung, die er gegen den alten Schulkameraden empfand, seinen Verwandten gegenüber nie ein Hehl gemacht. Aber in der letzten Zeit hatte sich diese Abneigung zu einem Hasse gesteigert, der sich in den bittersten Ausdrücken kaum genug that. Er versicherte, wenn man dem anrüchigen Menschen nicht in aller Form das Haus verbiete, nie wieder einen Fuß über die Schwelle setzen zu wollen, und als Emma unter einem Strom von Thränen, aber mit nicht geringer Heftigkeit, erklärte, daß er durchaus freier Herr seiner Handlungen sei und thun und lassen könne, was ihm beliebe, gerieth er vollends außer sich.

Aber ist es denn möglich, rief er, ist es möglich! Habt Ihr Geldmenschen denn keine Eingeweide! Ein Mensch, der seine Laufbahn notorisch als Verbrecher angefangen und dann in den verdächtigsten Verhältnissen fortgesetzt hat, kommt hieher, um hier zu schwindeln, wie er überall geschwindelt hat. Ihr, anstatt ihn wie besudelndes Pech zu meiden, empfangt ihn mit offenen Armen; der Onkel setzt ihm seine besten Weine vor, Emma macht ihm jede Tasse Thee eigenhändig zurecht. Ihr lobt und preist ihn, daß die anderen Leute ordentlich stutzig werden – mit einem Worte: es ist ein Scandal. Dann zum Dank verräth der Mann Eure sogenannte Partei, macht sich über Deinen Vater öffentlich lustig – und was thut Ihr? Ihr ladet ihn weiter ein, während sich selbst Eure intimsten Bekannten von ihm zurückziehen. Und wenn ich Euch auf die Ungeheuerlichkeiten Eures Benehmens aufmerksam mache, wird mir zum Dank die Thür gewiesen!

Und Henri lief mit zornigen Schritten im Salon auf und ab.

Warum gehst Du denn nicht, wenn es Dir nicht bei uns gefällt? fragte Emma hinter ihrem Taschentuche hervor.

Aber Henri, ich begreife Dich nicht, sagte Herr von Sonnenstein; ich dächte, mein Verhalten wäre vollkommen verständlich und logisch. Ich habe den jungen Mann protegirt, weil ich ihn in der Angelegenheit mit Deinem Vater brauchen zu können glaubte; stellt es sich heraus – und ich muß das jetzt beinahe fürchten – daß er mir nicht helfen kann und nicht helfen will, so lasse ich ihn fallen. Voilà tout.

O, Ihr Barbaren, herzlose Barbaren! wimmerte Emma.

Habe ich denn nicht von vornherein gesagt, daß er Dich nur an der Nase führt! rief Henri, zu seinem Onkel gewendet, daß er mit Dir nur sein Spiel treibt, daß er Dich ausnützt, während Du ihn zu nützen wähnst? Aber ich sage Dir, Onkel, ich habe das Ding satt. Entweder Du trittst jetzt anders gegen den Papa auf und stellst ihm einfach ein Ultimatum, oder ich gehe selbstständig vor. Ich will nicht ruhig zusehen, wie der Papa mein Vermögen durch seine Finger laufen läßt; zum wenigsten will ich Klarheit haben, mag daraus werden, was da will.

Mein Gott! sagte der Bankier, glaubst Du denn, Henri, daß mir weniger als Dir daran gelegen ist, endlich zu wissen, woran ich bin? aber Du kennst doch die Lage; es wird ein furchtbarer Scandal, und Dein Vater ist der Chef der Familie.

Ueber kurz oder lang werde ich der Chef sein, rief Henri; und überhaupt: ein Chef, der die Familie nicht repräsentirt, wie es ihm die Pflicht gebietet, ist kein Chef.

O, Henri, das ist nicht schön, sagte Alfred, der auf dem Balcon gesessen hatte (das Wetter war seit einigen Tagen, besonders um die Mittagsstunde, außerordentlich lieblich gewesen) und jetzt wieder in das Zimmer trat.

Fange Du auch noch an! rief Henri, seinem Vetter einen halb zornigen, halb verächtlichen Blick zuwerfend.

Ich fange nicht an, sagte Alfred, ich mag nur nicht hören, daß Du so über Deinen Papa sprichst.

Bekümmere Dich nicht um Dinge, mon cher, die Du absolut nicht verstehst.

Da ist gar nichts zu verstehen, sagte Alfred; Papa ist Papa, und es ist unschicklich, sich so über seinen Papa zu äußern.

Alfred zündete sich eine Cigarette an und setzte sich wieder rittlings auf einen Stuhl auf dem Balcon, die Insassen der vorüber rollenden Wagen durch die Lorgnette musternd.

Also Ihr wollt nicht, wollt nicht? rief Henri, den Alfred's Zurechtweisung um den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung gebracht hatte.

Nein, nein! ich will nicht tyrannisirt sein, rief Emma schluchzend.

Aber so nehmt doch Beide Vernunft an! sagte der Bankier beschwichtigend.

Adieu!

Und Henri eilte aus dem Zimmer, die Thür unsanft hinter sich zuwerfend.

Er kommt nicht wieder! rief Emma, indem sie hastig das Tuch vom Gesicht zog.

Er wird schon wiederkommen, tröstete sie der Vater; die Leute kommen immer wieder, wenn sie Geld brauchen. Aber er hat Recht: die Affaire mit dem Leo muß entschieden werden, und mit dem Alten muß ich auch in's Klare kommen.

Emma, mach' schnell! rief Alfred vom Balcon; die Prinzessin Philipp Franz in offenem Wagen und deliciösem Frühlingscostüm.

Wo, wo? und Emma flog nach dem Balcon.

Henri hatte das Haus seines Onkels in einer fürchterlichen Stimmung verlassen. Ich will dem Dinge ein Ende machen, knirschte er durch die Zähne, als er sich in eine Droschke warf; soll ich ewig verdammt sein, in einem elenden Miethswagen zu fahren, während mein Herr Vater in seinen kindischen Launen das Vermögen, das nicht ihm, sondern der Familie gehört, vergeudet? Ich bin der Chef der Familie, ich! Ich will es ihm beweisen, ihnen Allen beweisen. Diese feigen Judenseelen sollen noch lernen, vor mir zu zittern; die alberne Emma soll mir noch auf den Knieen danken, daß ich sie aus den Händen dieses Menschen gerettet habe. Ihn in die Familie heirathen lassen! O ja! Das könnte ihm gefallen, dem Prahler! Und wie lange wird's denn der alberne Alfred noch treiben, der Schwächling! Und dann hätte er die Million beisammen. Wie er mich dann über die Achsel ansehen würde! Tod und Hölle! Er soll zu Boden; ich will über ihn weg, ich will!

Henri fuhr in seine Wohnung und schrieb dort an den ihm befreundeten Marquis de Sade, der, wie er wußte, Egypten bereits wieder verlassen hatte und sich jetzt in Nizza aufhielt. Er hielt es für seine Pflicht, dem Marquis mitzutheilen, daß leider seine Befürchtungen eingetroffen seien. Die Unwürdigkeit des Doctor Gutmann, vor dem er stets gewarnt hatte, sei jetzt erwiesen. Der Mann habe sich in die wildesten socialistischen Umtriebe eingelassen, ja, es bestehe der gegründete Verdacht, daß er in ein hochverrätherisches Unternehmen, das mit einem Depeschendiebstahl in dem Cabinet einer allerhöchsten Person begonnen, verwickelt sei. Alle Welt ziehe sich scheu von dem Manne zurück, den jeden Augenblick entehrende Zuchthausstrafe treffen könne. Der Marquis könne unmöglich noch einen Augenblick einen solchen Menschen in seiner Wohnung dulden. Ja, er gebe dem Marquis zu bedenken, ob er in seiner officiellen Eigenschaft durch Protection eines so anrüchigen Menschen nicht seine Regierung compromittire. Er bitte um die Vollmacht, dem Mißbrauch, den ein frecher Abenteurer mit der Gutmüthigkeit des Marquis getrieben habe, in geeigneter Weise zu steuern.

Das wäre ein kleiner Anfang, murmelte Henri, als er auf dem Wege zum Prinzen diesen Brief in einen Kasten warf.

Der Prinz war eben von dem Ausfluge nach seinem Jagdschlosse zurückgekommen. Die Briefaffaire hatte ihn, nachdem er sich eine Zeit lang eingebildet, die Sache ignoriren zu können, schließlich doch zur Rückkehr in die Residenz gezwungen. Henri wurde sogleich vorgelassen, aber er fand seinen hohen Gönner in der allerungnädigsten Laune. Henri hätte den Charakter des Menschen besser kennen, hätte wissen müssen, wozu dieser Mensch im Stande sei.

Und nun kann man den Kerl nicht 'mal einstecken, oder ihm den Proceß machen; ja man muß ihn vorderhand ganz unangetastet lassen, oder die verdammten Zeitungen schreien im Chore: Da haben wir's ja! der Brief ist also doch echt! Und das Alles verdanke ich Ihnen, mein lieber Tuchheim, Ihnen! Ich hätte mich von Ihrer so oft gerühmten Ergebenheit eines Besseren versehen.

Henri war keineswegs in der Laune, Vorwürfe, und noch dazu wirklich ungerechtfertigte, geduldig hinzunehmen. Er erwiederte deshalb in etwas gereiztem Tone, daß er nichtsdestoweniger zu behaupten wage, daß königliche Hoheit keinen ergebeneren Diener habe, daß es ihm aber unmöglich gewesen sei, alle Folgen einer Intrigue, in die ihn königliche Hoheit überdies so spät einzuweihen die Gnade gehabt, zu übersehen. Er habe sich eifrigst bemüht, das Versäumte nachzuholen, und könne jetzt bereits mit Bestimmtheit versichern, daß Ferdinand Lippert in dieser unglückseligen Briefaffaire nur Werkzeug in der Hand eines weitaus bedeutenderen Menschen gewesen sei.

Henri machte nun den Prinzen mit Leo's Umtrieben – wie er sich ausdrückte – bekannt. Er würde das Unglück, mit einem solchen Menschen jahrelang zusammen erzogen worden zu sein, noch tiefer beklagen, wenn er eben in Folge dessen nicht auch wieder besser, als irgend Jemand sonst, in der Lage wäre, diesen gefährlichen Charakter beurtheilen und hoffentlich unschädlich machen zu können.

Der Prinz hörte sehr aufmerksam zu; er ließ sich aus Leo's Broschüren, die Henri mitgebracht hatte, die schlimmsten Stellen, die ihn speciell betrafen, vorlesen; aber Henri hatte heute das Unglück, es dem Prinzen nirgends recht machen zu können. – Warum kommen Sie damit jetzt erst, rief der Prinz; weshalb warnen Sie mich heute vor einem Menschen, den man vielleicht noch vor ein paar Wochen für ein Billiges hätte kaufen oder durch die Polizei aus der Stadt hätte schaffen können? Warum geschieht das nicht noch jetzt? Aber freilich, Herr von Hey ist mein Freund nicht, und Sie sagen, daß die Broschüre dem Könige gefallen habe? Ich glaube es gern. Aber er muß weg! Er soll weg! Sie sorgen mir dafür, daß er fortkommt. Zucken Sie nicht mit den Achseln. Ich sage Ihnen, er soll!

Ich bitte nur um die Gnade, mich zu einer diesfälligen Unterhandlung mit dem Minister, mit dem ich, wie königliche Hoheit wissen, noch von Tuchheim her bekannt bin, zu ermächtigen, erwiederte Henri.

Ja, ja, ich ermächtige Sie dazu; aber machen Sie es fein; ich kann mich dadurch nicht zu weiß Gott was für Concessionen verpflichten. Und Sie sagen, daß der Mensch sich auch in das Vertrauen Ihres Vaters einzuschleichen gewußt hat?

Ja, königliche Hoheit.

Nun wohl! so haben Sie ja eben so viel Interesse daran als ich, daß der Mensch aus der Stadt kommt. Ich hoffe, daß Sie für sich selbst scharfsichtiger und umsichtiger sind, als für mich. – Und nun muß ich Sie entlassen, ich habe noch ein paar Leute zu empfangen. Adieu!

Der ungnädige Empfang und die ungerechten Vorwürfe des Prinzen hatten Henri's Stimmung keineswegs verbessert. Er konnte, während er die Vorgemächer durchschritt, sich kaum enthalten, in laute Verwünschungen auszubrechen. Er verschwor sich, diesem undankbaren Prinzen nie wieder dienen zu wollen, und doch mußte er sich sagen, daß er des Prinzen Protection jetzt nöthiger habe, als je. Wenn man die Polizei auf Leo hetzen wollte, so mußte ein Mächtigerer dahinter stehen. Aber wem hatte er diese neue Demüthigung zu verdanken, als Leo! dann freilich auch dem Vater. Wer anders, als der Vater war Schuld daran, daß er auf eigenen Füßen nicht stehen, die Gunst der Großen nicht entbehren konnte? Der Vater hatte es leicht, den Militär-, Hof- und Beamtenadel zu verachten! Ist der arme Adelige nicht zum Dienen gezwungen? Und wer hatte ihn arm gemacht? Der Vater! – aber meine Geduld ist erschöpft; ich will mich nicht länger nasführen lassen.

Henri fühlte sich ganz in der Stimmung, seinem Vater gegenüber zu treten, und befahl dem Kutscher, nach dem Hotel des Freiherrn zu fahren.


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