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Siebenundzwanzigstes Capitel.

Der Freiherr war seinem Besucher bis an die Thür des Zimmers entgegengegangen und hatte ihn mit größerer Herzlichkeit, als es sonst wohl seine Gewohnheit gegen Leute, die er nicht leiden konnte, war, begrüßt; Fräulein Charlotte hatte sich zurückgezogen. Die Herren saßen sich am Frühstückstisch gegenüber; der Freiherr aß mit großem Appetit; Herr von Hey, der die Speisen kaum berührt hatte, schien ungeduldig darauf zu warten, daß der Andere seinen Hunger gestillt haben würde.

Warum essen Sie denn nicht? fragte der Freiherr, indem er sich einen anderen Teller reichen ließ; ich denke, Sie haben noch nicht gefrühstückt?

Ich danke verbindlichst, sagte der Andere; mein Appetit ist nie ausgezeichnet, besonders nicht, wenn ich, wie in diesem Augenblick, präoccupirt bin.

Ich habe Ihnen das schon angesehen, sagte der Freiherr; was ist es denn?

Der Landrath richtete seine Brillengläser nach dem Bedienten, der an dem Büffet beschäftigt war.

Du kannst uns allein lassen, Johann, sagte der Freiherr.

Herr von Hey verfolgte den Bedienten mit den Blicken, bis derselbe aus der Thür war; dann rückte er mit seinem Stuhl näher an den Freiherrn heran und sagte mit vorsichtig gedämpfter Stimme:

Wir leben in einer verhängnißvollen Zeit.

Es hat wenigstens schon harmlosere gegeben, erwiederte der Freiherr; worin sehen Sie gerade das Verhängnißvolle?

In dem Sichlossagen von aller Ueberlieferung und Autorität und in der frechen Neuerungssucht, die damit Hand in Hand geht, erwiederte der Landrath; danke, schenken Sie mir nicht mehr ein, mir ist der Kopf so schon warm genug.

Aber Sie machen mich ganz ängstlich, sagte der Freiherr, indem er sein Glas langsam füllte; es hat irgend etwas Besonderes gegeben, das ist sicher. Nun, kommen Sie zur Sache, und lassen Sie mich nicht wer weiß wie lange zappeln! Sie sehen, wie ich vor Neugier und Ungeduld fast vergehe.

Thäten Sie es doch nur, sagte der Landrath, ich gönnte es Ihnen von ganzem Herzen! Sie haben so lange keine Gefahr sehen wollen, haben uns Andere so oft mit unserer Schwarzseherei ausgelacht, uns so oft in unseren verständigsten, nothwendigsten polizeilichen Präventivmaßregeln gehindert, daß es Ihnen eigentlich ganz recht wäre, man überließe Sie ungewarnt dem Schicksale, das Sie sich gewissermaßen selbst bereitet haben.

Aber, Hey, nun hören Sie endlich einmal auf, in diesem Unglückston zu orakeln! rief der Freiherr ungeduldig; entweder Sie haben mir etwas Bestimmtes mitzutheilen, bon! oder Sie haben es nicht – dann lassen Sie uns von diesem Thema abbrechen.

Erlauben Sie mir nur die Eine Frage, sagte der Landrath: wie sind Sie mit dem Geist Ihrer Arbeiter zufrieden? Sind Sie sehr zufrieden?

Der Freiherr blickte überrascht auf.

Was war zum Beispiel nur gleich die Veranlassung, welche die zwanzig Leute, denen ich vor dem Schlosse begegnete, heute Vormittag – noch dazu während des Gottesdienstes – zu Ihnen geführt hat? Die Kerle sahen nicht aus, als ob sie in einer sonntäglichen Laune wären; es fehlte nicht viel, so hätten sie durch ihr wüstes Geschrei meine Pferde scheu gemacht.

Der Freiherr zog die Augenbrauen zusammen und richtete sich in den Hüften auf.

Herr von Hey, sagte er, ich kann nicht umhin, Ihnen zu bemerken, daß mir die Weise, in der Sie über Angelegenheiten, die doch schließlich meine Angelegenheiten sind, sprechen, nicht eben wohlthuend ist.

Ich bitte um Verzeihung, sagte der Landrath; ich habe nicht beleidigen wollen. Im Gegentheil, mich führt nichts hierher, als freundnachbarliches Interesse. Ich weiß schon seit längerer Zeit, daß hier, auf Ihren Gütern, auch auf meinem Gute, dann besonders in dem Hasenburg'schen Complex, vor Allem aber in den Dörfern, die weiter in den Wald hinauf liegen, also in Schwarzenbach, Fichtenberg und Tannenstädt ein Geist der Unzufriedenheit und Widerspenstigkeit unter den Leuten umgeht, der etwas sehr Beunruhigendes hat, weil in dem Dinge eine Art von System zu sein scheint. Beantworten Sie mir nur gütigst diese Eine Frage, Herr Baron: Waren die Leute, die soeben von Ihnen kamen, alle aus Tuchheim?

Nein, erwiederte der Freiherr, Charlotte hat auch schon dieselbe Bemerkung gemacht.

Was könnte dem Scharfblick des Fräuleins entgehen! sagte der Landrath höflich; aber da haben Sie wieder einen Beweis; und so wie hier, so ist es fast überall. Mein Bruder, der Hauptmann, hat auf der Controlversammlung vorgestern die gräßlichsten Erfahrungen gemacht. Er kam hernach auf's äußerste bestürzt zu mir und sagte, daß er ein widerspenstigeres, frecheres Gesindel noch gar nicht beisammen gehabt habe. Nun, und Sie wissen, daß das Bataillon hauptsächlich aus Ihren, den Hasenburg'schen, meinen Leuten und aus den Nagelschmieden der Gebirgsdörfer zusammengesetzt ist. Damit stimmen die Beobachtungen, welche meine Schulzen, meine Landjäger machen, genau; ja, es geht schon so weit, daß nur noch meine entschlossensten Leute kräftig durchzugreifen, zum Beispiel eine Verhaftung vorzunehmen wagen.

Der Freiherr hatte der lebhaften Auseinandersetzung des Landraths nachdenklich zugehört. Er konnte sich nicht verhehlen, daß das Bild, welches jener entwarf, wenn auch vielleicht im Einzelnen etwas dunkel gefärbt, im Ganzen mit der Wahrheit übereinstimmte.

Der Landrath, welcher die funkelnden Brillengläser nicht von dem Gesichte seines Wirthes abwendete, fuhr fort:

Wir haben uns selten über Verwaltungsmaximen einigen können, lieber Baron, und ich finde das begreiflich. Ihr Grand Seigneurs könnt Eure ehemalige Reichsfreiherrlichkeit nicht vergessen; Ihr möchtet das alte patriarchalische Verhältniß zwischen Euch und Euren Unterthanen aufrecht erhalten, respective wieder hergestellt wissen, und seht in uns, den Vertretern des modernen Staates, Eure natürlichen Widersacher. Aber es kommen denn doch Lagen, in welchen es sich klärlich zeigt, daß, nachdem einmal die Bande der Zucht und Sitte, der Gottesfurcht und des Gehorsams gegen die weltlichen Herren gelockert, ja zerrissen sind, ein anderes Bindemittel, wie wir es in unseren polizeilichen Einrichtungen haben, in Anwendung gebracht werden muß; und wenn mich nicht Alles trügt, ist die Lage, in welcher wir uns in diesem Augenblicke befinden, eine solche.

Wir wollen unseren alten Streit nicht von neuem beginnen, erwiederte der Freiherr verdrießlich. Er schenkte sich ein Glas Wein ein und trank es in einem Zuge aus. Dann fing er mit hinter dem Rücken zusammengelegten Händen an schweigend auf und ab zu gehen. Auch der Landrath wußte nicht gleich, wie er die abgebrochene Unterhaltung wieder anknüpfen sollte. Er verabschiedete sich, sobald er es schicklicherweise thun konnte, augenscheinlich nicht heiterer, als er gekommen war.


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