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Sechzigstes Capitel.

In derselben Mittagsstunde war Leo's Vorzimmer von einer Gesellschaft angefüllt, wie sie diese Räume schwerlich jemals gesehen: Männer mit schwärzlichen Gesichtern und knorrigen, unbehandschuhten Händen, in Kleidern, die offenbar aus den Werkstätten ehrbarer Dorfschneider hervorgegangen waren; zwölf an der Zahl, Alle die Hüte in den Händen, die Meisten mit dem Blick scheuer Neugier die Herrlichkeiten ringsumher betrachtend.

Das dauert lange, sagte einer der Männer, eine lange, hagere Gestalt mit einem ernsten, nachdenklichen Gesicht, zu einem jüngeren Manne von trotzigem, verwegenem Aussehen.

Ich hab' es ja gleich gesagt, daß wir nicht zu dem Rechten kämen, antwortete der jüngere mürrisch und fuhr dann nach einer kleinen Pause mit verbissenem Ingrimm fort: Ich weiß noch ganz gut, wie er immer an uns vorüberstolzirt ist, als ob unsereiner gar nicht auf der Welt wäre. Und ist denn das hier eine Wohnung für einen Volksmann?

Was meint Ihr? wird er mit uns sprechen? fragte ein Dritter, der eben herantrat.

Wenn er nicht will, läßt er's bleiben, sagte der mit dem verwegenen Gesicht grollend.

Die Thür zu dem Nebengemache ging auf, und statt des jugendlichen Dieners, der sie angemeldet hatte, erschien Leo's schlanke, hohe Gestalt auf der Schwelle. Sein Auge flog schnell über die Gesichter, die plötzlich alle auf ihn gerichtet waren, und ein Lächeln spielte um seinen Mund, als er jetzt auf den Hageren zuging und ihm die Hand reichte.

Sieh' da, Herr Krafft! das ist lange her, daß wir uns nicht gesehen; und auch Sie, Johann Brandt, wahrhaftig, ich hätte Sie kaum wiedererkannt.

Der Verwegene, der sich so plötzlich angeredet sah, machte ein verblüfftes Gesicht, legte aber doch, obgleich zögernd, seine Hand in Leo's dargebotene Rechte.

Ich weiß – zum Theil wenigstens – aus Ihrem gestrigen Schreiben, was Sie zu mir führt, meine Herren, fuhr Leo fort, und ich kann bis jetzt nur sagen: was in meinen Kräften steht, Ihnen zu dienen, oder vielmehr: uns Allen zu helfen – das soll geschehen. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort, und nun treten Sie näher, damit wir die Sache in aller Ruhe besprechen können.

Er lud mit einer Handbewegung die Männer ein, in das Studirzimmer zu kommen. Es dauerte einige Zeit, und er mußte seine einladende Geste noch manchmal wiederholen, bis sie Alle an ihm vorüber waren. Hatte die elegante Einrichtung des Vorzimmers schon das Staunen, zum Theil das Mißtrauen der einfachen Männer erregt, so war die Verwunderung, mit welcher sie die prachtvolle Ausstattung dieses Gemaches, der Anblick all' dieser kostbaren Möbel, Teppiche, Bilder und Büsten erfüllte, noch viel größer und prägte sich zu deutlich auf ihren Mienen, selbst in ihren Geberden aus, um von Leo nicht bemerkt zu werden.

Er sagte lächelnd:

Sie wundern sich, meine Freunde, einen Mann, der sich einen der Ihren nennt, in einer so luxuriösen Wohnung zu finden; aber ziehen Sie nicht auch Ihren besten Rock an, wenn Sie bei dem Pastor, dem Landrath ein Anliegen haben? Sie thun das nicht für sich – denn Sie wissen, daß Sie bleiben, wer Sie sind und was Sie sind – Sie thun es, weil jenen Herren gegenüber Kleider Leute machen, und eine Arbeitsblouse in den Augen derselben keineswegs, was sie doch sein sollte, die beste Empfehlung ist. Sehen Sie, so habe ich es gerade mit meiner Wohnung gehalten. All' dieser Plunder ist nur ein Kleid, das mich in den Augen des Bourgeoisphilisters zu einem Manne von Bedeutung erhebt, in demselben Maße, als er mich in Ihren gesunderen Augen verdächtigt. Ja, es ist sehr zweifelhaft, ob ich ohne dies traurige Mittel im Stande gewesen wäre, die Erfolge zu erringen, die ich den Bourgeois gegenüber denn doch errungen habe. Aber Sie wollten ja nichts von dem Kleide des Mannes, sondern von dem Manne selber. Lassen Sie mich nun in aller Ausführlichkeit hören, was Sie beabsichtigen, und dann wollen wir überlegen, was zu thun ist.

Der Sprecher der Leute – jener hagere, ernste Mann – nahm nun das Wort.

Er sprach in anfänglich stockender, dann aber, je weiter er kam, immer leichter fließender Rede von der Lage der Arbeiter in den Tuchheimer und den benachbarten Fabriken, von der geistigen und leiblichen Noth, die schwerer und immer schwerer auf ihnen laste, so daß es schier nicht mehr zu tragen sei, und wie sie dann endlich, als Mahnungen, Bitten, Vorstellungen vergeblich gewesen wären, Alle zusammen – an die tausend Mann in den Tuchheimer und Feldheimer Fabriken, und vielleicht noch einmal so viel in den benachbarten – den Entschluß gefaßt hätten, die Arbeit einzustellen und nicht eher wieder aufzunehmen, als bis ihren bescheidenen Forderungen Genüge geschehen. Nun aber könnten sie in dieser Lage nur noch kurze Zeit verharren. Ihre kargen Vorräthe und Hilfsquellen seien erschöpft; sie müßten entweder sich unter das Joch beugen, oder zur Gewalt schreiten. In dieser äußersten Noth sei ihnen die Erklärung des Freiherrn wie ein Evangelium erschienen. Aus dieser Erklärung hätten sie ersehen, daß es doch noch große Herren gäbe, die ein Herz hätten für das arme Volk, und so wären sie auf den Gedanken gekommen, ein letztes Mittel versuchen zu wollen – zuzusehen nämlich, ob es einer aus ihrer Mitte erwählten Deputation möglich sein würde, in der Residenz auch andere angesehene Herren, besonders unter den Mitgliedern der noch tagenden Kammer, für ihre Sache zu gewinnen. Sollten sie dann auch erfahren, daß für den Augenblick keine Hilfe für sie sei, so wollten sie sich gern gedulden, falls man ihnen das Versprechen gäbe, sich ihrer ernstlich mit allen Mitteln und aus allen Kräften anzunehmen. – Das war, fuhr der Redner fort, in einer letzten allgemeinen Arbeiterversammlung in Tuchheim beschlossen worden; aber wir sahen auch alsbald ein, daß es nothwendig sei, einen klugen, uns wohlgesinnten Mann zu gewinnen, der uns in der großen Stadt in so schwierigen Dingen mit Rath und That zu Hilfe käme und gleichsam unser Anwalt in dieser Sache würde. Und da habe denn ich, und manch' geborner Tuchheimer mit mir, sogleich an Sie gedacht, der uns durch seine Schriften bewiesen hat, wie sehr ihm die Sache der Arbeiter am Herzen liegt, und der Sie ja überdies unter uns aufgewachsen und so recht eigentlich unser Vormann sind.

Der Hagere schwieg und wischte sich mit dem kleinen baumwollenen Taschentuch die kahle Stirn; die Anderen, welche die Rede ihres Sprechers mit gelegentlichem Beifallsgemurmel und manchem Kopfnicken begleitet hatten, blickten auf Leo.

Leo saß da, das Haupt in die Hand gestützt. Während er doch Alles hörte und genau faßte, was der Mann sprach, schweifte sein Geist in die Vergangenheit und in die Ferne. So war denn wirklich erfüllt der stolze Traum seiner Jugendzeit, daß die Kinder seines Dorfes kämen und sich vor ihm neigten? erfüllt der heiße Wunsch jener Jahre, wo er, aus der Heimath vertrieben, in der Fremde umherschweifte, der Wunsch: es möge ihm vergönnt sein, zurückzukehren und in dem Herzen seines Volkes für sein Volk zu streben und zu wirken – ein Tribun ihrer Rechte im Kampf gegen die Unterdrücker! Er hatte gestrebt und gewirkt, was er konnte; und hier war der Beweis, daß er es nicht vergeblich gethan; hier waren die Männer aus den Bergen und Wäldern seiner Heimath, und sie sprachen: sei Du unser Herzog, wir wollen Dir folgen, wohin Du uns führst.

Ich danke Ihnen, meine Freunde, sagte er mit bewegter Stimme; ich hoffe Ihnen beweisen zu können, daß Sie Ihr Vertrauen keinem Unwürdigen geschenkt haben. Es sind Einige unter Ihnen, die da wissen, daß ich schon einmal treu zu Ihnen gestanden habe in einer ernsten, entscheidungsvollen Stunde. Ich habe damals, als ich an der Seite des wackern Mannes, dessen Andenken Ihnen theuer sein muß, von Ihnen ging, bei dem letzten Scheideblick von den Höhen hinab in mein Heimaththal, über dem der Morgen heraufdämmerte – ich habe mir damals mit heiligem Eidschwur gelobt, der Sache des Volkes treu zu bleiben bis in den Tod. Ich kann sagen, daß ich noch mit keinem Athemzuge diesem Schwure untreu geworden bin; aber gerade deshalb darf ich es aussprechen: es war ein thörichtes Beginnen, unser Aufstand an jenem Wintertage, und so sind Sie auch jetzt auf dem Wege nach einem falschen, trügerischen Ziel. Sie glauben, Freunde in den Menschen finden zu können, die von jeher Ihre bittersten Feinde gewesen sind. Diese Menschen haben Ihre hilflose Lage immer nur zu gut auszubeuten verstanden; haben immer nur zu gut gewußt, wann Simson schlief, um ihm die Locken seiner Kraft abzuschneiden und ihn des Lichtes seiner Augen zu berauben, daß der arme blinde Sclave sich ja nicht auflehnen könne wider den ungerechten Herrn. Von diesen Menschen Unterstützung, ja selbst nur Verständniß Ihrer Lage und Mitleid für Ihre Noth hoffen, hieße Feigen pflücken wollen von dem Dornstrauch. Sie haben meine Schriften gelesen. Wohl! so wissen Sie auch, daß es nicht der ohnmächtige Adel, nicht die in sich zerbröckelnde Kirche ist, die Ihren Ansprüchen auf ein menschenwürdiges Dasein sich entgegenstemmen, sondern die Bourgeoispartei, die Partei des allmächtigen Capitals, der ruchlosen, schrankenlosen Ausbeutung des Arbeiterstandes. Nun, meine Herren, und aus Anhängern dieser Partei besteht der Theil der Kammer, auf welchen Sie Ihre Hoffnungen setzen. Ja, was wollen Sie? Ihr Peiniger und Dränger, Ihr Fabrikherr, der Herr von Sonnenstein, ist ein und zwar sehr einflußreiches Mitglied dieser Partei. Wollen Sie bei den Hehlern über den Stehler Klage führen? Die Wenigen aber, die es besser meinen, wie Doctor Paulus und seine Gesinnungsgenossen, sind gute, aber unbedeutende Männer, die weder die geistige Kraft haben, die Frage bis in ihre Tiefe zu durchschauen, noch die moralische Kraft, auch nur das Wenige, was sie erkannt, zu verwirklichen. Ja, meine Herren, ich schwöre es Ihnen zu, es ist meine heilige Ueberzeugung, es giebt nur zwei Wege für Sie, die zum Ziele führen: den einen Weg wollen Sie nicht gehen, und, wie die Sachen jetzt liegen, würde eine gewaltsame Erhebung auch nur die Folgen haben, Ihnen das Joch fester auf den Nacken zu drücken. Der zweite Weg –

Leo schwieg und blickte scharf in die eifrigen Gesichter rings um sich her.

Der zweite Weg, begann er langsam von neuem, liegt scheinbar weit, sehr weit ab von jenem ersten und fällt doch schließlich mit ihm zusammen. Der erste Weg war die Revolution von unten; der zweite ist die Revolution von oben, die Revolution, die von der Macht ausgeht, welche von dem Schicksal dazu bestimmt ist, dem Volke zu dienen, während sie nur immer ihren eigenen Vortheil im Auge hat. Ich spreche vom Königthum; ich spreche vom König. Sehen Sie zu, daß Sie sich bei ihm Gehör verschaffen, er ist der Einzige, der Ihnen helfen kann.

Die Männer blickten staunend einander an; der mit dem verwegenen Gesicht lächelte höhnisch.

Sie sind verwundert, mich so sprechen zu hören, fuhr Leo fort, und Einige unter Ihnen lächeln über mich, wie über einen Thoren oder entlarvten Betrüger; aber glauben Sie mir, Johann Brandt, wenn vor acht Jahren, als wir vor der Schänke von Tuchheim allen Adeligen den Tod schworen, ja nur noch vor einem Jahre, ein Freund so zu mir gesprochen hätte, wie ich jetzt zu Ihnen, ich würde es genau so gemacht haben, wie Sie. Es ist nicht eben mein Verdienst, daß ich jetzt ein wenig weiter blicke; die Erfahrungen, die ich in dem Lager der sogenannten Liberalen gemacht habe, hätten wohl Jedem, hätten auch Ihnen die Augen geöffnet, daß Sie die Lage der Dinge genau so sähen, wie ich sie jetzt sehe. Ich wiederhole es: nicht von der Kammer, die als solche ohnmächtig ist und Ihnen nicht helfen könnte, selbst wenn sie wollte; nicht von der Bourgeoispartei überhaupt, die leider nur zu mächtig ist, aber Ihnen ganz gewiß nicht würde helfen wollen, so gut sie es auch könnte – nur von dem Könige haben Sie noch zu hoffen. Erweist sich auch diese Hoffnung trügerisch, nun – die Revolution bleibt Ihnen noch immer.

Da möchte ich lieber gleich dreinschlagen! rief Johann Brandt, indem er heftig in die Höhe fuhr; kommt, Brüder, was wollen wir weiter hier!

Ich kann und will Sie nicht halten, sagte Leo, Sie sind gekommen, meinen Rath zu hören; ob Sie meinem Rathe folgen wollen oder nicht, steht natürlich bei Ihnen.

Der Hagere nahm wieder das Wort: Lieben Brüder, wir haben uns geschworen, treu zu einander zu stehen und keinen Streit oder Unfrieden unter uns aufkommen zu lassen, auch nicht rechthaberisch zu sein und mit heftigen Worten aufeinander loszufahren. Johann Brandt! Du bist der Jüngste von uns und hast nicht Frau und Kind und Niemanden, für den Du zu sorgen brauchtest, so kannst Du bald mit der Faust bereit sein. Nehmen Sie es ihm nicht übel, Herr Doctor, und sagen Sie uns weiter, wie Sie sich das denken mit dem König. Wir vermeinten immer, es würde nicht besser werden, als bis wir gar keine Könige mehr hätten, weder gute noch schlechte, sondern eine einzige große Republik wie in Nordamerika?

Ich sage nicht, daß dies nicht das Ziel und das Ende der ganzen Entwickelung ist, die sich jetzt in Europa vollzieht, erwiederte Leo, aber wie die Gebilde der Natur sich streng gesetzmäßig und allmälig entwickeln, so ist es nicht anders mit den politischen Gestaltungen. Das Königthum hat uns schon einmal geholfen, das Joch der Feudalherrschaft abzuschütteln, es muß uns auch helfen, die Fesseln des Capitals abzustreifen und mag dann, wenn es uns diesen letzten Dienst gethan, aus der Reihe der Mittel der Erziehung und Fortbildung des Menschengeschlechts verschwinden. Ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Morgen findet in der Kammer die Debatte über die Arbeiterangelegenheit statt. Faßt die Kammer einen Beschluß, wie Sie ihn von Männern erwarten müssen, die ein Herz für Ihre Sache, ja die nur eine Ahnung davon haben, daß die Zukunft Ihnen gehört, daß es nicht ein Stand, sondern die Menschheit ist, die in Ihnen und mit Ihnen nach einer menschenwürdigen Existenz ringt – ich sage: können Sie auch nur diese Sympathien, dieses Verständniß aus der Debatte heraushören – nun wohl, so verharren Sie in Ihrem Glauben, daß Ihnen die Bourgeosie helfen kann und will; ist das Resultat aber, wie ich voraussehe, so kommen Sie wieder zu mir, und wir überlegen dann gemeinschaftlich, was wir thun können.

So soll es sein, Herr Doctor, sagte der Hagere, indem er aufstand und die Uebrigen seinem Beispiele folgten. Wir sind es den dreitausend Brüdern schuldig, daß wir Alles ernstlich prüfen. Haben wir so lange berathschlagt und sind zu keinem Entschluß gekommen, so können wir auch wohl noch ein paar Tage zugeben. Adieu, Herr Doctor, und nichts für ungut.

Er reichte Leo die große, schwielige Hand mit treuherzigem Druck. Auch die anderen Männer traten einer nach dem andern heran; nur Johann Brandt hielt sich in mürrischer Ferne und drängte sich, einer der Ersten, zur Thür hinaus.


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