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Vierundvierzigstes Capitel.

Walter suchte, sobald es ihm seine Zeit erlaubte, Leo in der neuen Wohnung auf und war nicht wenig erstaunt, als er das neue Doctorschild an dem Portal eines der stattlichsten Häuser der schönsten Straße des vornehmen Quartiers erblickte. Kopfschüttelnd erstieg er die mit einem Teppich bedeckte Treppe zur Bel-Etage und klingelte. Ein jugendlicher Diener in einfacher, kleidsamer Livrée öffnete die Thür: ob der Herr die Güte haben wolle, einen Augenblick in dem Vorzimmer zu verziehen, während er dem Herrn Doctor die Karte des Herrn bringe? Zufällig hatte Walter keine Karte bei sich; der Jugendliche schien darüber einigermaßen betreten und sagte mit sehr nachdenklichem Gesicht, er wolle sehen, ob der Herr Doctor noch zu Hause sei.

Das Vorzimmer war ein großes Gemach, in pompejanischem Styl decorirt: schwebende Gestalten auf den braunrothen Wänden, mit Arabesken, welche die einzelnen Gemälde umschlossen und verbanden; zwischen den beiden Fenstern in einer Nische eine schöne Büste des Aeskulap; in der Mitte ein zierlicher antiker Tisch, auf der Marmorplatte desselben Wassercaraffe und Gläser; ringsumher an den Wänden leichte Sessel und Bänke, die dem Geschmack der übrigen Ausstattung vollkommen angepaßt waren. Der Chamotteofen an der Wand dem Fenster gegenüber hatte die Form einer schlanken Säule, die oben mit einer Kugel, auf die eine geflügelte Victoria ihre Fußspitzen setzte, abschloß.

Walter war eben mit der Musterung dieser Herrlichkeiten fertig, als der Jugendliche wieder erschien und die Thür zum nächsten Gemach öffnete; der Herr Doctor werde sogleich erscheinen.

Die Einrichtung dieses nächsten Gemaches stand mit der classischen Einfachheit des Vorzimmers im auffallendsten Gegensatz: modern-bequeme Stühle und Sophas in verschiedenen Formen, elegante Möbel aller Art, an den Wänden kostbare Kupferstiche, Nippessachen auf dem Marmorsims des Kamins, schwere Vorhänge an den Fenstern in derselben Farbe wie die faltigen Portieren über den Thüren. Walter wußte nicht, was er zu diesem Luxus sagen sollte, und es kam ihm der Gedanke, er sei am Ende gar aus Versehen in eine falsche Wohnung gerathen.

Aus diesem Zweifel wurde er indessen von Leo selbst gerissen, der jetzt durch eine Tapetenthür herein trat und seinem Vetter die Hand entgegenstreckte.

Guten Tag, Walter! wie freundlich, daß Du den Flüchtling so bald aufsuchst. Willst Du nicht Platz nehmen?

Sogleich! sagte Walter; laß mich nur erst von meinem Erstaunen zu mir kommen.

Von Deinem Erstaunen? worüber? fragte Leo.

Nun wahrhaftig! rief Walter, Du verdientest, daß ich mich gar nicht wunderte, sondern dies Alles als etwas Selbstverständliches ansähe. Aber dagegen sträubt sich meine Ehrlichkeit, und so wundere ich mich denn, wie man sich nur immer wundern kann, und frage ganz naiv: Wie zum Teufel, Leo, kommst Du in diese luxuriöse Wohnung?

Ja so! sagte Leo; ich habe Dir bei der Schnelligkeit, mit der sich die Sache machte, nichts Näheres mittheilen können. Wie ich hierher komme? Auf die einfachste Weise von der Welt. Mein Vorgänger, oder vielmehr mein Wirth und der Besitzer dieser Kostbarkeiten, ist ein Attaché der französischen Gesandtschaft, Marquis de Sade, den ich nach Egypten geschickt habe. Aus Dankbarkeit hat er mir dieses sein Quartier zur Disposition gestellt. Ich fürchte nur, er stirbt, ehe er die Pyramiden sieht.

Aufrichtig, Leo, Du nimmst mir einen Stein vom Herzen, entgegnete Walter; ich dachte schon, Du hättest Dich auf eigene Rechnung und Gefahr, wie mein guter Rehbein sagen würde, in diese kostbare Speculation eingelassen.

Nun, ganz umsonst wohne ich auch nicht, sagte Leo; indessen steht der Miethspreis, den ich dem großmüthigen Marquis aufgenöthigt habe, in keinem Verhältniß mit dem Werth der Wohnung, die in jeder Beziehung für meinen Zweck, in möglichst kurzer Zeit ein sehr gesuchter Arzt zu werden, wie gemacht ist.

Und Du glaubst wirklich, diesen Zweck so besser zu erreichen?

Ganz gewiß, erwiederte Leo; es giebt nichts Falscheres, als die Annahme vieler Leute, man könne mit einem kleinen Anlagekapital große Erfolge erzielen. Wer seine Carrière in einem Winkel anfängt, hat alle Aussicht, sie in demselben oder irgend einem anderen Winkel zu beschließen. Der Einsatz muß dem erhofften Gewinn entsprechen; aus nichts ist, so lange die Welt besteht, noch nichts geworden. Ich habe mit dem, was ich mitgebracht, und einem ausnahmsweise sehr anständigen Buchhändlerhonorar, das ich kürzlich eingenommen, für ungefähr ein halbes Jahr zu leben. Wenn ich nach dieser Zeit nicht so weit gekommen bin, – aber warum sollte ich es nicht! So lange ich auf eigenen Füßen stehe, habe ich immer der göttlichen Macht des Zufalls gläubig vertraut. Wollte ich jetzt anfangen, jeden Schritt vorsichtig abzumessen, jede Ausgabe ängstlich zu berechnen, so würde ich dadurch in Widerspruch mit mir selbst, das heißt, in das eigentliche Unrecht hinein gerathen und könnte allerdings dann nur lieber gleich das Spiel verloren geben.

Mag sein, erwiederte Walter mit freundlichem Ernst; aber auch der eigenste Charakter, der noch so sehr mit sich selbst übereinstimmt, kann in Verlegenheit, zumal in Geldverlegenheit kommen, und wenn dieser Fall je bei Dir eintreten sollte, so bitte ich Dich um Eins: Wende Dich an Niemanden, als an mich! Ich selbst habe, um einer doch möglichen Katastrophe in meinem Leben besser begegnen zu können, Einiges zurückgelegt, und was ich nicht selbst besitze, kann ich mir zu jeder Zeit von guten Freunden verschaffen, ohne daß auch nur Dein Name dabei genannt wird. Wenn ich doch einmal aus Deines Herzens Rath verbannt sein soll, Leo, so versprich mir dies zum wenigsten! Das bist Du dem Blut, das in meinen Adern wie in Deinen fließt, das bist Du dem Andenken an unsere Jugend schuldig.

Leo hatte keine Zeit, etwas zu erwiedern, denn, von dem Jugendlichen, dem er auf dem Fuße folgte, angekündigt, trat Ferdinand in das Zimmer und begrüßte – zu Walter's nicht geringem Erstaunen – erst Leo mit der Cordialität eines alten Bekannten, dann Walter mit feiner Höflichkeit in Haltung und Worten. Er habe Walter's Gesicht nicht vergessen und immer bedauert, daß er nicht schon an jenem Abend in der Weinstube seine persönliche Bekanntschaft gemacht. Er hoffe, daß ihm Walter Gelegenheit geben werde, das Versäumte nachzuholen.

Wir leben heutzutage zu schnell, sagte er, als daß man irgend etwas, es sei, was es sei, auf den morgenden Tag verschieben dürfte. Ach, diese Räume mahnen den, der sie kennt, mit sonderbar beredter Stummheit an die Flucht der Zeiten und die Vergänglichkeit aller irdischen Freuden! Es ist mir sehr lieb, Doctor, daß nicht ich an Ihrer Stelle hier zu wohnen habe; mich würden die Geister der Stunden, die ich hier verlebte, nicht schlafen lassen. Sie würden zu mir kommen in stiller Nacht. Da würde ich das verlockende Klingen von Goldstücken zu hören glauben, die von einer Seite des Tisches auf die andere rouliren; da würde sich mir die Luft anfüllen mit den feinsten Parfüms, wie mit magischen Wolken, und aus den magischen Wolken würden sie nach und nach hervortreten, die lieblichen, schönen Weiber mit den glänzenden Augen und den allzu nackten Schultern, und die braven Jungen, von denen mehr als Einer jenes sonderbare Spiel des Stirnmuskels über den Augenbrauen hat, das Hoffmann an seinem Don Juan bemerkte; und ach, zuletzt würde er selbst kommen, Mr. le Marquis, dieser aus der Sündfluth so vieler Revolutionen gerettete echte Brillant der Aristokratie mit den Facetten, wie sie nur in dem Faubourg St. Germain nach treu überlieferten Kunstregeln des ancien régime so fein geschliffen werden. Pauvre homme! Was konnte er dafür, daß Messieurs les Marquis, seine Ahnen, bei den Festen von Trianon und den Orgien des Palais Royal so wenig an ihre Nachkommenschaft gedacht hatten und in Folge dessen auf den Letzten des Hauses nur ein Minimum des Familienmarkes gekommen ist! Die unbeschreibliche Anmuth, mit der er sich ruinirte, war doch sein eigen, und sie wird ihn nicht verlassen, bis er den letzten Seufzer aus seiner müden, jungen Brust ausgehaucht hat.

Walter hatte, während Ferdinand so declamirte, seine Handschuhe angezogen; er war nicht gekommen, um geistreich zu schwatzen oder schwatzen zu hören; und dann klang hie und da in Ferdinand's Rede ein falscher, gemachter Ton mit an, der sein Ohr empfindlich beleidigte. Er nahm es seinem Vetter ernstlich übel, daß er seiner Gesellschaft den Umgang mit diesem Schwätzer vorziehe, und er empfahl sich mit einer kühlen Zurückhaltung, die bei ihm nicht eben häufig war.

Ich habe Ihren Herrn Vetter vertrieben, sagte Ferdinand, sobald Walter zur Thür hinaus war; sonderbar, wie schnell sich Verwandtes findet und entgegengesetzte Naturen einander abstoßen. Ihr Herr Vetter und ich, glaube ich, würden nie Freunde werden.

Das glaube ich ebenfalls, meinte Leo trocken.

Aber weshalb ich eigentlich gekommen bin, fuhr Ferdinand fort, ich wollte mir einen neuen Beweis Ihrer Freundschaft und Ihres Vertrauens erbitten, und dieser Beweis sollte darin bestehen, daß Sie mir die Frage erlauben, ob Sie vielleicht jetzt, wo Sie gewiß ungewöhnlich viel Auslagen haben, baares Geld brauchen. Unsereiner braucht immer Geld, und Sie sind noch fremd hier und könnten leicht an die falsche Quelle gerathen. Geniren Sie sich nicht, ich habe in den letzten Tagen enormes Glück gehabt und weiß wirklich nicht, wo ich mit all' dem Zeug hin soll. Wollen Sie?

Ich danke, erwiederte Leo, Sie werden Ihren Ueberfluß schon wieder los werden, ich bin vorläufig reichlich versehen.

Das thut mir leid, sagte Ferdinand, denn ganz aufrichtig, ich hätte Sie mir gern verpflichtet und so von dem Dank, den ich Ihnen schulde, ein wenig abgetragen.

Dank? Und wofür Dank?

Für alles Mögliche! rief Ferdinand, für die schönen Stunden, die ich mit Ihnen verlebt, für die bessere Meinung, die Sie Even von mir beigebracht haben. Wem anders als Ihnen verdanke ich es, daß Eve jetzt gütiger und liebevoller gegen mich ist, als früher. Seitdem Sie des Abends ein paarmal dagewesen sind und vernünftig mit ihr gesprochen haben, ist das Mädchen wie ausgetauscht. Sie schmollt nicht mehr, sie kokettirt nicht mehr, und gestern hat sie mir mit dem reizendsten Lächeln von der Welt die Hand gereicht und dabei gesagt: Laß uns Frieden schließen, Ferdinand, ich denke, wir gefallen ihm so besser; und dann hat sie mich mit einem Blick angesehen, daß es mir wunderbar durch alle Adern rieselte. O, mein Freund, jetzt erst weiß ich, wie reizend dieses Mädchen ist! Sie ist hinreißend in ihrem tollen Uebermuth, ihrer unberechenbaren Launenhaftigkeit; aber mit dem sinnenden Ernst in den heißen Augen, auf den üppigen Lippen ist sie unwiderstehlich. Wer diesen schönsten Busen sich nur einmal so ahnungsvoll hat heben und senken sehen, wie ich es gestern sah, als sie mit mir im halbdunklen Fenster flüsterte – der ist auf ewig verloren. Helfen Sie mir dies Weib gewinnen, und ich will Zeit meines Lebens Sclavendienste für Sie verrichten! Aber nun muß ich fort. Ich habe um sieben Uhr ein Rendezvous, das ich versäumen würde, wenn ich nicht das Bedürfniß hätte, diese insipiden Liaisons alle Knall und Fall abzubrechen. Treffen wir uns später vielleicht bei Tavolini?

Schwerlich, ich bin für den Abend anderweitig versagt.

Sie Vielumworbener! Nun denn, auf baldiges Wiedersehen!

Ferdinand war schon an der Thür, als Leo plötzlich sagte:

Apropos, Herr Doctor! Ich habe noch immer den Brief.

Welchen Brief?

Den von neulich.

Ach so! Behalten Sie ihn nur. Ich mag ihn nicht wieder haben; jetzt zum wenigsten nicht, wo ich mit Eve so gut stehe. Adieu! Adieu!

Und Ferdinand eilte davon.

Leo ging in sein Schlafzimmer, sich umzukleiden.

Es ist nothwendig, murmelte er. Es muß ihnen der letzte Vorwand genommen werden, und dieser Brief wirft alle ihre feinen Argumente über den Haufen. Vielleicht bedarf es, wenn sie zur rechten Zeit Vernunft annehmen, gar nicht einmal, daß ich diesen Lippert opfere. Und wenn es nöthig wäre? Nun denn, so fliegt bei einer Explosion, die eine mächtige Bresche in den Wall des Feindes reißt, ein Narr mit in die Luft. Er ist ein Narr und nicht einmal ein amüsanter. Ich kann es Eve nicht verdenken, daß sie ihn nicht will, obgleich sie wahrlich nicht besser ist, als er. Nicht besser, aber klüger, und doch nicht klug genug.

Leo entließ den Jugendlichen für heute seines Dienstes und machte sich auf den Weg zu dem Bankier Sonnenstein, der ihn hatte bitten lassen, ihn heute Abend zu einer vertraulichen Unterredung zu besuchen.


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